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Rechner, Verstand und Formalismus
Das Kreuz mit der Deutschen Rentenversicherung


Don M. Barbagrigia. Rathenow. Als die Rechner im großen Umfang die Büroräume eroberten, war das vielfach mit der Hoffnung verbunden, dass sich viele prozessuale Vorgänge vereinfachen, dass die Rechner das behördlich-menschliche Miteinander vereinfachen würden.

Akten unterliegen in elektronischer Form einem schnelleren Zugriff, Sachverhalte und Notizen können schneller gefunden und aufbereitet werden, Formulare können am Rechner ausgefüllt und mit einem Knopfdruck sauber kopiert und gedruckt werden – schöne neue Welt!

Was niemand damals so recht wahrhaben wollte, die Arbeit mit dem Rechner, der so viele Arbeitsschritte effizienter bewältigt und den Bearbeitern abnimmt, führt offensichtlich dazu, dass die Hirne der Bearbeiter degenerieren, schrumpfen, umgekehrt proportional zur wachsenden Technikgläubigkeit schrumpfen.

Herr Hübner berichtete einst von einer Begebenheit, die ihm als Rettungsassistent auf den Straßen Spandaus widerfuhr: Er steuerte seinen RTW vom Krankenhaus Havelhöhe zum Krankenhaus in der Lynarstraße, an Bord einen etwa fünfundvierzigjährigen Mann, der im Rahmen der Verlegung beobachtungspflichtig war. Vielleicht handelte es sich um einen Seebären – die Brust war ordentlich behaart – wie dem auch sei, es war die Zeit nicht, diese Brust zu rasieren, damit die Klebekontakte des 12-Kanal-EKG richtig hafteten, was zur Folge hatte, dass sich derer etliche während der Fahrt lösten und den EKG-Monitor eine Nulllinie anzeigen ließen. Der Sani, der keine Fahrerlaubnis besaß und deshalb statt des Rettungsassistenten beim Patienten saß, bläkte nach vorne: „Herr Hübner, der ist dood!“

Erschrocken rief der Patient: „Watt bin ick?“ Herr Hübner hielt an und korrigierte die fehlerhaften Klebekontakte. Das EKG zeigte wieder eine beinahe normgerechte pQRS-Kurve, die Fahrt ging weiter. Nach der Übergabe nahm er sich den Sani beiseite, legte ihm väterlich die Pranke auf die Schultern und sagte: „Noch so ein Ding, und ich schicke dich zurück auf deine Baumschule, Abschluss nachholen!“

Man mag darüber lachen. Wenn aber die Deutsche Rentenversicherung (DRV) von einem Ehemann per Überweisung Zahlungen erhält, bezüglich derer im Verwendungszweck die Rentennummer der Ehefrau, die Phrase „Beiträge für freiwillige Rentenversicherung“ und dann die Monate und das Jahr angegeben sind und kurze Zeit später den Einzahler ein Brief der DRV erreicht, man könne mit diesen Zahlungen nichts anfangen und man möge doch noch einmal die beiden beigelegten Formulare ausfüllen und ankreuzen, ob es sich dabei um eine Pflicht- oder freiwillige Rentenversicherung handelt und für welchen Zeitraum diese Zahlungen gedacht seien, dann wird die Sache achtungserheischend!

Es steht auch in dem Schreiben, dass die Angaben im Verwendungszweck durchaus vollständig gemacht wurden, die Banken diesen Verwendungszweck jedoch nicht in derselben Vollständigkeit übermitteln, im Endeffekt aber bedeutet dieses von allen Seiten rechnergestützte Desaster einen nicht zu verantwortenden Mehraufwand an Ressourcen, wie Arbeit, Aufwand, Porto …

Nun möchte man einwenden, die Sache ließe sich bei einer so großen Institution doch sicher vor Ort in einer der vielen Dependancen der DRV klären, zumal ja eine dieser Beratungsstellen exakt drei Etagen über dem Büro des Einzahlers liegt – im selben Gebäude, man stelle sich das vor.

Im Aufzug die „4“ gedrückt und schon steht man während der Sprechzeiten vor – der verschlossenen Türe. Über eine Telefonnummer solle man einen Termin vereinbaren. Blöd nur, dass diese Telefonnummer zielgerichtet in eine Warteschleife führt, aus der man exakt zwölf Minuten später raus gepfeffert wird, weil alle Leitungen überlastet seien. Und das wieder und wieder und wieder.

Das ist mehr als unbefriedigend – das ist inakzeptabel. Eine personelle Grundausstattung, die so insuffizient ist, dass man nicht einmal von schlechtem Service, sondern eher von gar keinem Service sprechen kann, in Verbindung mit rechnergestützten Fehlleistungen – das scheint ein weiterer Indikator dafür zu sein, dass mit der Einführung von Algorithmen die gesamtgesellschaftliche Situation signifikant verschlimmbessert wurde.

Das scheint den Trend zum Niedergang des Landes im Allgemeinen zu bestätigen. Ein solches Versagen befördert den Unmut der Bevölkerung und es fragt sich, wie lange das noch gut geht. Vielleicht gibt es auch schon Algorithmen, die solche vorrevolutionären Entwicklungen treffsicher berechnen können – das wäre doch mal was. Das wäre ein echter Fortschritt. Dann könnte man – wie bei einer Wetterprognose – das Hoftor abschließen und sich im Keller verbarrikadieren, bis der Sturm vorüber ist.

28. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
28.03.2023