Bürokratie
und Absatz
oder: Folgen Sie der Spur des Geldes!
Don M. Barbagrigia
Einst trällerte Udo Lindenberg: „Das hält das ganze Haus im Kopf nich
aus …“
Besser kann man es nicht ausdrücken … In medias res:
Eine nicht näher zu nennenden Bevölkerungsgruppe muss in regelmäßigen
Abständen ein Antragsverfahren bei einer deutschen kommunalen Behörde
durchlaufen.
Die dafür erforderlichen Anträge umfassen acht Seiten und viele, viele
Angaben.
Nun wäre es im Sinne der ökologischen Nachhaltigkeit zweckmäßig, die
Anträge online als ausfüllbares PDF vorzuhalten, um sie dann ausgefüllt
elektronisch versenden zu können.
Dieses Formular aber stellt die Chur- und Hauptstadt der Mark Brandenburg
nicht ins Netz. Warum nicht? Nun, wir werden noch sehen, dass dort seitens
der Stadtverwaltung weder Bosheit noch Ignoranz Pate stehen. Die Kommunalbeamten
dürfen nicht!
Hä??? Doch, wirklich,
sie dürfen nicht.
Der Angestellte, der den Applikanten hilft, diese Anträge korrekt auszufüllen,
scannt ein leeres Formular ein und füllt es am Rechner aus.
Vorteile:
1.) Leserliche Maschinenschrift.
2.) Verschreiben ist gar kein Problem, so etwas lässt sich am Rechner
spurlos korrigieren.
3.) Bei erneuter Antragstellung müssen nicht die gesamten acht Seiten
neu ausgefüllt, sondern nur die aktuellen Daten geändert werden. Das
sind nur ein paar wenige … Es geht ruckzuck und spart viel Zeit.
4.) Der ökologische Gewinn ist nicht von der Hand zu weisen: Es werden
Zentner Papier gespart und die Behörde spart Raummeter von Aktenschränken.
Zugriffe auf die Formulare erfolgen bei entsprechender Archivierung
innerhalb von Sekunden.
Nachteile:
Nun ja, die Datenschutz-Fanatiker werden wieder elektronische Datenlecks
wittern. Das ist alles.
Ist das alles? Wenn ja, warum sperrt sich dann die Behörde gegen die
Annahme dieser elektronisch ausgefüllten Formular-Bögen? Eine Behörde,
die einer effektiven und umweltschonenden Arbeit nachgerade von ihrem
Dienstherren verpflichtet wurde …
Ja, warum? Die Antwort ist so simpel wie erschütternd. Deep Throat –
der geheimnisvolle Informant der Watergate-Affäre gab sie einst, als
er mit seiner tiefen Stimme ins Telefon raunte: „Folgen Sie der Spur
des Geldes!“
Wenn man dieser Spur folgt, dann stößt man auf die Verleger der Formulare:
Das ist der Fachverlag Jüngling aus Unterschleißheim. Die Fachverleger
drucken auf jedem Formular deutlich sichtbar den Satz:
Nachdruck, Nachahmung,
kopieren und elektronische Speicherung verboten!
Da haben wir’s! Es geht ums Geld. Es geht um den Absatz. Würde die Stadt
Brandenburg an der Havel das Formular als ausfüllbares PDF ins Netz
stellen, gingen dem Verlag möglicherweise erhebliche Summen verloren,
die sich aus dem Druck und dem Vertrieb der Formulare generieren lassen.
Nun könnte man ja sagen: Gut, soll die Kommune doch einen Lizenzvertrag
mit dem Verlag abschließen der in etwa dem durchschnittlichen Abkauf
der Formulare entspricht.
Aber da wäre der Verlag ja schön blöd. Denn gerade die Zielgruppe dieser
Formulare verschreibt sich oft und gerne und benötigt daher noch ein
zweites oder drittes Formular. Und wie wir bereits oben erfuhren, wäre
das Verschreiben auf einem elektronischen Formular gar kein Problem.
Wie die Kalamität zu umgehen wäre?
Nun, auch in Brandenburg an der Havel sitzen kluge Köpfe und entweder
der Städtebund tut sich zusammen und zwingt den Verlag zu einer Denk-
und Handlungsweise, die den ökologischen und Einsparerfordernissen unserer
Zeit gerecht wird oder man setzt sich hin, entwickelt eigene bundeseinheitliche
Formularbögen und stellt diese im Netz den Bürgern und anderen Antragstellern
zur Verfügung, wie das schon mit sehr vielen Formularen geschehen ist.
Doch dieser Idee scheint wieder der gutgemeinte Dezentralismus der Bundesrepublik
Deutschland im Wege zu stehen – der sich an manchen bundesweit und zentral
organisierten Institutionen die Zähne abreibt.
Wenn dieses Beispiel pars pro toto steht, dann wird ersichtlich, warum
die Menschheit verdammt ist, sehenden Auges zur Hölle zu fahren. Eisberg
voraus – aber die profitorientierte Einstellung Einzelner verhindert,
dass die richtige Entscheidung zur rechten Zeit getroffen und umgesetzt
wird. Statt dessen, weihevolles, zukunftsweisendes Gelaber aus der politischen
Ecke, Absichtserklärungen und kleine Kinder im Umgang mit Ressourcen
schulen, damit diese dann als Erwachsene erkennen müssen, dass ihr anerzogener
guter Wille an der Dummheit, Gier und Ignoranz anderer zerbricht.
Um noch einmal den eingangs
erwähnten Udo Lindenberg zu zitieren: … und ich glaub', dass unser Dampfer
bald untergeht … überhaupt ist alles längst zu spät und der Nervenarzt
weiß auch nicht mehr wie's weitergeht.