Öko-Wirtshaus
im naturbelassenen Spreewald
Oder wie acht Unverzagte mit dem Schrecken
davonkamen
Michael
L. Hübner
Wer den Spreewald besucht, der kommt wohl um eine der obligatorischen
Kahnfahrten durch die malerischen Haupt- und Nebenarme der Spree
kaum herum. Ganz klar, dass sich auch eine illustre Truppe ehemaliger
Klassenkameraden aus Brandenburg entschloss, am 2008er Tag der
Deutschen Einheit eine solche Partie zu buchen. Man hatte sich
in diesem Jahre im zauberhaften Burg (Spreewald) getroffen und
vom Burger Hafen nahm denn auch das Vergnügen seinen Lauf.
Vorneweg –
es war wirklich eines. Das Wetter meinte es gut, der Fährmann
war Spitze – die acht saßen beieinander und amüsierten
sich wie Bolle. Nur eines vermochte während dieses Ausflugs
das kollektive Vergnügen zu trüben: Das aber war just
die einstündige Pause. Der Kahn hielt im Burger Ortsteil
„Kolonie“ an, direkt vor der „Kolonie-Schänke“.
Die inzwischen Einheimische unter dem fidelen Oktett beschwor
und lobte dieses Restaurant noch in den höchsten Tönen.
Vor Jahresfrist wohl war sie schon einmal dort gewesen. Gute
und solide deutsche Küche zu moderaten Preisen, sehr empfehlenswert…Doch:
sic transiet gloria mundi!
Ein oder zwei
Jahre genügen völlig, um einen Haufen Unfug anzustellen.
Und siehe, die Zeit wurde vom Wirt des Gasthauses entsprechend
genutzt. Das Erste, was irritierte, war das aufdringlich platzierte
Schild „Bio“ über dem Eingangsgiebel. Ein unangenehmes
Gefühl bemächtigte sich der Magengegend. Das roch
nach Tofu und Hirnerweichung. Letzteres war die weitaus größte
Bedrohung. Man vergegenwärtige sich – die Reisegesellschaft
bestand mehrheitlich aus studierten Leuten, Ingenieuren, Lehrern,
Oberärzten, Beamten, Journalisten.
Das sind Menschen,
die mit beiden Beinen fest im täglichen Leben stehen, mit
dem Kopf arbeiten und gewohnt sind, selbst Entscheidungen zu
treffen. Seltener aber lassen sie solche Entscheidungen für
und über sich zu, sie seien denn wohlbegründet. Die
verordnete Zwangspause inmitten des Nirgendwo förderte
daher einen bösen Verdacht: Konnte es sein, dass der Kahnfahrtbetreiber
mit dem Wirt der Kolonieschänke einen Kuhhandel abgeschlossen
hatte, des Inhaltes, dass alle Touristen vor seiner Tür
abgeladen würden? Zwangsläufig müsste die Mehrheit
der Gäste, nicht wissend was mit der Stunde anderes anzufangen
sei, in die Schänke strömen und dort – nunmehr
wohl wissend – dass man ihnen dieses Obdach nur ungern
ohne die Gegenleistung eines umsatzkräftigen Verzehrs gewährt
– für ebenjenen durch entsprechende Bestellungen
sorgen. Manus manam lavat, spricht der alte Römer. Und
auch bei unseren acht hellen Köpfen schlug die Masche zunächst
an. Man nahm brav und gehorsam im Kellergeschoss des Gastraumes
Platz. Man wäre avisiert, hieß es.
Die Speisekarten
wurden verteilt. Zwei Karten, um genau zu sein – für
acht Mann. Später fand eine drittes Exemplar den Weg an
den Tisch. Es bedurfte ihrer recht eigentlich nicht mehr. Was
nämlich in den Karten zu lesen stand, war schnell erfasst
und schien grusliger als die Apokalypse des Johannes und Bram
Stokers „Dracula“ zusammen. Da wurde eine, wenn
auch Gottlob nur sehr geringe Auswahl von Gerichten offeriert,
die teilweise aus unaussprechlichen und nördlich des 52.
Breitengrades gänzlich unbekannten Naturalien zusammenkomponiert
waren. Niemand wollte dafür haften, dass sich dahinter
nicht vielleicht ein naturbelassener Kugelfisch verbarg. Rein
„Öko“, versteht sich. Mit diesen beiden Prädikaten
waren überhaupt alle der Speisen und eine Vielzahl von
undefinierbaren Getränken versehen. Dazu führte das
Haus „Warsteiner“ im Schilde. Nun gut, wer’s
mag!
Mit den öko- und naturbelassenen Produkten aber kamen schwere,
alptraumhafte Gedanken auf. Unwillkürlich entsann man sich
der späten Sechziger und frühen Siebziger, als die
distinguierte Damenwelt Westdeutschlands von Heim und Herd aus
zusehen musste, wie ihre Geld verdienenden Männer die lüsternen
und ewig willigen Sekretärinnen reihenweise bestiegen und
der Gattin daheim zum Ausgleich einen Pelzmantel verehrten.
Während nun die gefrusteten und ungeliebten, derhalben
in ihren tröstenden Pelz vernarrten, alternden Frauen von
Tierschutzaktivisten zunehmend brutaler attackiert wurden, wuchs
sich ihre Neurose – sie hatten ja nun wirklich gar nichts
mehr – so schrecklich aus, dass die Töchtergeneration
in einer Art reaktiven Gegenbewegung Hals über Kopf in
die Reformhäuser stürzte und die beidergeschlechtliche
Enkelgeneration zum Ballett, zur Geige, zum Tennis und auf die
Waldorfschulen zwangen.
Dort lernten
die traumatisierten Kinder alsbald, antiautoritär ihren
Namen zu tanzen. Da ging dann der Rest des gesunden Menschenverstandes
flöten. Zeitgleich wollte Shell die Bohrstation „Brent
Sparr“ im Nordatlantik verklappen und die Japaner ließen
die Wale nicht in Ruhe. Den von skrupellosen Norwegern gejagten
Heulern war zum Heulen zumute und die Ökobewegung begann
Körner fressend auf Birkenstock-Sandalen Amok zu laufen
und wie ein wild gewordener Derwisch im Dreieck zu hopsen. Aus
gesunden Denkansätzen heraus entspross beinahe über
Nacht wild die Pathologie der ökologischen Massen-Neurose.
Das Ganze begann skurrile Züge anzunehmen. Am Ende saßen
acht intelligente Märker schier verzagt in einem bedrohlichen
Kellerraum wie in einem Verließ ängstlich beieinander
und durchforsteten mit wachsender Verzweiflung die in alte Klemmordner
eingeheftete Menükarte nach etwas Genießbarem.
Kellnerin und
Ober aber ließen sich so schnell nicht wieder blicken.
Das war auch gut so. Denn dieses sichere Zeichen gastronomischer
Insuffizienz förderte in diesem Falle blitzartig den Konsens,
gemeinschaftlich aus dem Wirtshaus im Spreewald auszubrechen.
Gesagt, getan – vorbei an der grummeligen Bedienung, wenige
Sekunden später atmeten die acht Tapferen ungeschröpft
die Freiheit. Die Wolken taten sich auf, die Sonne schien hindurch
– und siehe, die slawischen Götter des Spreewaldes
hatten ein Einsehen und gaben Lichtbeschienen den Blick auf
das Werbeschild eines Restaurants, in unmittelbarer Nähe
am anderen Flussufer gelegen, frei.
Der Mut und
die Courage der acht fast um ihre Lebensfreude Geprellten, wurden
mit einem herrlichen Kaffee und einigen „Lumumbas“
(Kaffee mit Rum) belohnt. Man hätte gern dort gespeist,
doch der Fährmann drängte bereits wieder zur Weiterfahrt.
Im Wasserfahrzeug saßen leicht fröstelnd die übrigen
Teilnehmer der Kahnpartie, neidisch auf die Entschlossenen Acht
blickend, die den Ausbruch erfolgreich wagten. Sie fluchten
leise vor sich hin. Hatten sie sich doch den teuren Biokram
durch den Gaumen quälen müssen. Die Geldbeutel jammerten
nicht minder. Gerechter Lohn der Feigheit. Hierher? Nie wieder!
Verstohlene, blitzende Blicke trafen den Fährmann: Warum
er die Existenz dieses zweiten Hauses vor seinen Gästen
verheimlicht habe?
Er dürfe
es nicht nennen. Sein Chef hätte solche Hinweise strikte
verboten. Honi soit qui mal y pense! In diesem Falle aber ist
es doch wohl eher kein Schelm, sondern ein kühler, nüchterner
Kopf, wer Arges dabei denkt. Was ist nun dem Herrn Dirk Meyer,
Betreiber der Kahnfahrten, und dem Wirt (Anja Linse?) der Kolonieschänke
zu wünschen? Nun, dass auch einmal der sorbische „Nationalheilige“
Pumphutt den Weg zum Burger Hafen finden und eine solche Tour
buchen möge. Den Landboten würde es dann diebisch
freuen, über dieses Ereignis im Nachgang berichten zu dürfen.