Viel zu klein und
viel zu teuer
für eine unbekannte, kleine Madonna
aus der Brandenburger „Platte“
B. St. Fjøllfross
„Das ist zu teuer“,
ruft eine zarte und dennoch bestimmte Mädchenstimme hinter
dem Nachbarregal des Supermarktes. „Such dir da vorne
etwas aus!“ Ein paar Sekunden später stiebt ein etwa
vierjähriger Hosenmatz vorbei in die angegebene Richtung.
Ein kleiner Plüschbär, nicht größer als
das Brottäschchen, das dem Knaben am Halse baumelt, findet
sein Interesse. Ehe die beiden aber zueinanderkommen dürfen,
wartet das Bürschlein, obschon ungeduldig, dennoch brav
vor dem Spielzeugregal. Erst muß die große Schwester
ihr Einverständnis geben. Sie gibt es. Der Junge ist glücklich,
der Teddy auch, das Mädchen macht hingegen ein ernstes
Gesicht und geht mit gerunzelter Stirne noch einmal den Einkaufszettel
durch. Halblaut rechnet sie vor sich hin. Reicht der Etat, den
ihr Mutti mitgegeben hat? Oder muß der Bruder sich am
Ende doch wieder von dem Teddy trennen? Hat sie etwas vergessen
oder liegt schon alles im Korb? Bei der Menge kann man schon
mal den Überblick verlieren.
Der kleine Mann hüpft indessen durch die Regalreihen. „Hierher“,
ruft die Schwester. Keine Reaktion. „Ich habe gerade etwas
gesagt!“ Das klingt schon schneidender. Jetzt stutzt das
Brüderchen, hält inne und kommt tatsächlich angetrottet.
Etwas langsam, etwas behäbig, aber - da ist er! „Na
komm! Wir gehen bezahlen!“ Das klingt schon versöhnlicher.
Der Junge faßt seine Schwester bei der Hand. Sie stellen
sich an. Der Junge hampelt und wartet auf seinen Teddy. Eigentlich
darf die Verkäuferin das Mädchen gar nicht abkassieren.
Denn sie ist erst beschränkt geschäftsfähig und
der Einkauf ist weder vom Taschengeld bezahlt noch für
den Eigenbedarf ersichtlich und auch nicht altersüblich
oder geringfügig. Das ist ein knallharter Einkauf für
den Familienkühlschrank, den das Mädchen da mit sich
schleppt.
Die Verkäuferin kennt das Kind, oder sie kennt das Gesetz
nicht oder es ist ihr egal – jedenfalls nimmt sie das
Geld, sortiert es in ihre Kasse und gibt dem Mädchen das
Wechselgeld heraus. Dieses zählt flink nach, während
die andere Hand schon mit dem Verstauen des Einkaufs in einem
viel zu großen Beutel befaßt ist. Und obwohl sie
zählt und einpackt, läßt sie doch den Bruder
keinen Augenblick aus den Augen. Dieser wuselt bereits gefährlich
nahe im Eingangsbereich. Große Erwachsenenbeine scheinen
ihn nicht weiter wahrzunehmen und er sie nicht und jeden Augenblick
werden ihn wohl geschäftig hin und her eilende Menschen
über den Haufen rennen.
Das Mädchen
packt die letzten Artikel in den Beutel, hebt ihn vom Tisch,
wird bald von der Last umgerissen, fängt sich jedoch sehr
schnell und eilt dem Bruder entgegen, der mit seinem Teddy tanzend
Zwiegespräch hält. Sie nimmt den Jungen bei der Hand.
Krumm und schief ist sie unter der Last des Beutels. Aber die
andere Hand gehört dem Bruder. Es geht auf die Straße.
Sie läßt ihn nicht los. Er versucht auch nur ein
einziges Mal zu quengeln. „Jetzt ist Schluß! Jetzt
biste artig!“ Der brüderliche Protest verstummt augenblicklich.
Sie hat ihn im Griff. Keine Frage. Mit ihrem trotz des schweren
Beutels festem Schritt, ihrem unkindlich und dennoch gesetzt
wirkenden Ernst, ist diese kleine Madonna in diesem Augenblick
weniger die große Schwester des kleinen Bürschleins:
Sie ist seine Mutter, eine Mutter von acht Jahren!