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Junger
Pfarrer an altem Dom
Über Gottvertrauen und Zuversicht des Jens
Jacobi
Ehrwürden Pfarrer Jens Jacobi vor dem
Altar des Hauptschiffes im Dom zu Brandenburg an der Havel
Michael L. Hübner
Auf den ersten Blick kontrastieren
sie beide miteinander – der wuchtige, altehrwürdige Dom der
Havelstadt und der junge Mann, der gegenwärtig die vakante Pfarrstelle
innehält. Aber wirklich nur auf den ersten Blick. Als Dompfarrerin
Radecke-Engst ihren bisherigen Wirkungskreis verließ, wollte die
Gemeinde ihre Pfarre nicht lange unbesetzt lassen. Einen Kandidaten hatte
man auch schon bei der Hand. Da war dieser Endzwanziger, ein heller, aufgeweckter
und engagierter junger Mann, der in der vergangenen Zeit schon dem Pfarrer
Martin Gestrich in den Beetzseedörfern zur Hand gegangen war. Der
damalige Vikar hatte auch schon bei Projekten in der Domgemeinde mitgewirkt
– man kannte ihn also und war sehr angetan.
Jens Jacobi heißt der junge Geistliche und aus Berlin kommt er.
Aus Neukölln, genauer gesagt. Dort wuchs er im Schmelztiegel der
Religionen auf, links die Böhmische Gemeinde, rechts die Moslems,
hier die Protestanten, dort die Katholiken. Und man kam miteinander aus.
Richtig gut sogar. Für das Christentum begann er sich allerdings
erst relativ spät zu interessieren. Da muss er wohl schon 15 gewesen
sein. Schlüsselerlebnis? Nee…, aber trotzdem war es für
ihn von nun an klar: Pfarrer wollte er werden. Unbedingt! Dass das Theologiestudium
zu den schwersten, anspruchsvollsten Studiengängen zählt, das
focht ihn nicht an. „Mit meinem Gott springe ich über die Mauer“,
jubelt schon der Psalm 18,30. Bildlicher kann man wohl das Gottvertrauen
eines guten Juden oder Christen nicht fassen. Vorher aber wollte er Auslandserfahrung
sammeln. Kaum hatte er das Abitur absolviert, da war er auch schon in
North Carolina, an der U. S. amerikanischen Ostküste. Für ein
halbes Jahr arbeitete er in einem christlichen Camp, sah erstaunt, wie
modern und angepasst die Amerikaner ihren Gottesdienst feiern, mit christlichem
Hardrock teilweise. Er sah aber auch ein Amerika, dessen Bild seltener
von Hollywood vermittelt wird: Armut und Rednecks, Intoleranz und Ku-Klux-Klan.
Das schärft den Blick. Irgendwann kam er zurück. Der Wehrdienst
wartete auf ihn. Der Wehrdienst? Ein zukünftiger Pfarrer und Wehrdienst?
Kein Zivildienst? Nein, kein Zivildienst. Der Wehrdienst ist eine sinnvolle
Sache und „wenn sie mich in einen Panzer gesteckt hätten, dann
wäre ich eben Panzer gefahren.“ Leicht fiel ihm der Dienst
an der Waffe zwar nicht, aber er hat ihn geleistet. Man steckte ihn ein
Sanitätsbataillon, Gottes Weisheit oder die des Kreiswehrersatzamtes…?
Heimgekehrt ging der blutjunge Jens Jacobi in die Politik, trat einer
der großen Volksparteien bei, zog für sie ins Neuköllner
Bezirksparlament ein, vergleichbar der Brandenburger SVV, wurde Fraktionsvorstand,
Ältester, Geschäftsführer der Fraktion. Das sah ganz nach
einer steilen, politischen Karriere aus. Doch seinen alten Traum vom Pfarramt
gab der Jungpolitiker deshalb keineswegs auf. So stieg er irgendwann aus
der Regionalpolitik aus und ging auf dem Petersberg bei Halle/Saale in
ein evangelisches Kloster. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus. Ein
evangelisches Kloster also… So etwas gibt es? Wirklich? Ja, die
Communität Christusbruderschaft Selbitz, die das Kloster bewohnt,
nahm den Bruder Jens als Novizen auf. Anderthalb Jahre blieb er dort.
Aber dann entschied er sich doch für die seelsorgerische Tätigkeit
außerhalb der Klostermauern. Der Bruderschaft jedoch blieb er mit
Herz und Hand verbunden. In der Nähe, in der alten Salzstadt Halle,
arbeitet immer noch seine Frau, denn er ist, wie sich das für einen
ordentlichen evangelischen Pfarrershaushalt gehört, brav verheiratet.
Sein großes Vorbild Martin Luther hätte Gefallen an ihm. Mehr
noch, seine Frau, eine studierte Historikerin und Theologin, die gerade
an ihrer Dissertation arbeitet, ist seine härteste Kritikerin. Wenn
Jens Jacobi von der Kanzel herabsteigt, dann wird die Predigt noch einmal
gründlich ausgewertet. Ein leiser Stolz auf seine Frau schwingt in
seiner Stimme mit. Nach seiner Tätigkeit bei Pfarrer Gestrich also
kam er an den Brandenburger Dom St. Peter und Paul, die Mutter aller Märkischen
Kirchen, das Epizentrum der brandenburgischen Geschichte, der Dom Bischof
Stephans. Ob ihm nicht flau wird bei dieser Vorstellung? Ach was! „Mit
meinem Gott springe ich…“ Und außerdem ist die Gemeinde
prima aufgestellt. Kompetent und rege bei der Sache. Besser hätte
er’s kaum treffen können.
Im Pfarrbüro hängen viele DIN-A4-Bögen, Stadttürme
darauf, eine fiktive Stadt symbolisierend, Kinderhandschriften unter den
Türmen, ungelenk, orthographisch fragwürdig, aber – man
sieht es den Bögen an: die Kinder waren rege bei der Sache. Das macht
ihm Freude, dem Pfarrer Jacobi: Mit den Kindern von der Grundschule zusammenzuarbeiten,
vorher hat er Gymnasiasten unterrichtet. Jetzt die Jüngsten also.
Das ist so seine Welt. Wie er einem da so gegenüber sitzt, ja, so
stellt man sich einen protestantischen Pfarrer vor. Na gut, den Talar
noch und die Beffchen…. Mehr noch aber macht diesen jungen Pfarrer
die Herzenswärme aus, die er ausstrahlt, die trotz der jungen Jahre
immense Klugheit, die hinter der kleinen runden Brille aus den Augen schaut,
das Zuhörenkönnen. Man sitzt ihm gegenüber und man könnte
losplaudern, über Gott und die Welt und alles andere, stundenlang.
Doch wenn dann er ins Erzählen kommt, flüssig und eloquent und
Stilsicher, ohne Ähs und Ahs, dann hört man selbst gerne zu.
Man ist fasziniert und neugierig auf seine Predigten. Die Zeit in der
Politik war dem Pfarramt sehr dienlich, erklärt er lachend. Da lernt
man das Reden.
Momentan bereitet er sich auf das Gedenken am 9. November, dem 70. Jahrestag
der Reichspogromnacht vor, das er gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde
abhalten will. Im Dom wird man gemeinsam mit den Juden einen Gottesdienst
feiern, man wird die Erinnerung an die schrecklichen Geschehnisse im Jahre
1938 zusammen schultern, den Tag Hand in Hand verbringen. Einem solch
erschütternden Anlass ins Auge zu sehen, ist auch für einen
jungen Gottesmann nicht leicht, doch „…mit meinem Gott werde
ich über die Mauer springen!“ Und zwar über jede!
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