Jörg Haiders letzte
Fahrt
ein Landeshauptmann rast besoffen in den Tod
- und hoffentlich nicht in die Unsterblichkeit
B. St. Fjøllfross
„Wenn die Soldaten durch
die Stadt marschieren, öffnen die Mädels die Fenster und die
Türen – hei-di, hei-du, hei-di, Haider…“. So
sang einst die marschierende Deutsche Wehrmacht auf ihrem zerstörerischen
Weg durch Europa. Ihre Mission war die Unterwerfung des Kontinents unter
die Knute des deutschen Nationalsozialismus. Man weiß, der Irrsinn
ging gründlich schief. Das heißt aber nicht, dass sich nun
alle Menschen als Vertreter einer „vernunftbegabten Spezies“
vom nationalsozialistischen Wahn verabschiedet hätten. Denn dieses
würde ja bedeuten, dass der Nackte Affe wirklich ein lernfähiges
Vieh wäre. Nein – das nun denn doch nicht. Da gibt es beispielsweise
ein Land in der Mitte Europas, das sich viele Jahrzehnte als eines der
prominentesten Opfer des deutschen Nationalsozialismus definierte –
Österreich! Als die Wehrmacht in die Alpenrepublik einmarschierte,
wurde sie als „Ostmark“ dem Altreich angeschlossen. Der
Führer verkündete dies stolz vom Wiener Opernplatz. „Tja,
wir wurden halt gezwungen mitzumachen…“, verkündeten
die Österreicher fortan. Und man glaubte ihnen. Österreich
bekam in den Fünfziger Jahren seinen Friedensvertrag, das unbombardiert
gebliebene Wien verlor seinen Viersektorenstatus, der Berlin bis ins
Jahr 1990 erhalten blieb. Das aber zeitigte ein merkwürdiges Phänomen:
Während Ostberlin fest in antifaschistisch verordneter Hand war,
zog Westberlin Pazifisten, Wehrdienstverweigerer, Kommunarden, Alternative
und Revoluzzer magisch an. Für Nazis ein ganz schlechter Mutterboden.
Den Österreichern aber attestierte schon in den sechziger Jahren
eine Anekdote einen unseligen Hang zur „guten, alten, braunen
Zeit“, die davon berichtet, dass junge Filmkomparsen in SS-Uniformen
von einem geschockten, zufälligen Beobachter der Dreharbeiten als
ehemals wirkliche Mitglieder der mörderischen Eliteorganisation
identifiziert wurden. Trotzdem, man mochte es noch immer nicht so recht
glauben. Das habsburgische Vielvölkerreich, das doch über
Jahrhunderte der friedlichen Devise: Tu felix Austria nube! folgte,
sollte unter der Oberfläche radikal und seine Mitmenschen verachtend
brodeln? Vielleicht gerade deshalb. Denn immerhin hatte das habsburgische
Imperium nie im Sinn, die einverleibten Völker auch zu integrieren.
Es ging lediglich um die Ausbeutung menschlicher und ökonomischer
Ressourcen und eine territoriale Gewichtung im europäischen Spiel
der Mächte. Die unterjochten Völker waren das, was sie seit
jeher für dumme Unterjocher sind: der letzte Dreck – und
das auch noch Zweiter Klasse.
Die Unterjochten aber gedachten in ihrer Ohnmacht das Potential Wiens
wenigstens in dem ihnen möglichen, bescheidenen Maße zu nutzen
und strömten in die Hauptstadt des k. u. k. Glanzes. Das aber wollte
den Eingesessenen so gar nicht recht passen. Und so blühte auf
den Almen der Alpen bald nicht nur der Enzian, sondern auch der dumpfe
Fremdenhass.
Wer hätte diesen kompetenter transportieren können, als die
Rechtspopulisten, oder wollen wir sie „angepasste Neonazis“
nennen?
Der Haider Jörg war so einer. Er neigte sein Ohr der geistig retardierten
Bevölkerung zu und hörte sich willig an, was man sonst nur
unter vorgehaltener Hand zu tuscheln wagte. Es war halt nicht fein und
gern gehört in der Welt. Zu schlimm war das für andere Völker,
was man mit den Juden angestellt hatte. Und wenn man sich auch nach
wie vor im Recht wähnte, so erkannte man doch das Faktum an, dass
der Rest der Welt eben anders dachte und sein Denken auch mit dem entsprechenden
wirtschaftlichen und militärischen Auftreten zu untermauern verstand.
Aber der Haider Jörg, der traute sich. Das war ein Mannsbild! Hinter
dessen Fähnlein konnte man sich schon versammeln. Wir können
auch getrost von „zusammen rotten“ sprechen.
Wie dem auch sei. Jetzt ist das propere Mannsbild und mittlerweile zum
Kärntner Landeshauptmann avancierte Haider Jörg überraschend
zum ewigen Reichsparteitag abberufen worden. Ein wenig hatte er dieser
Delegierung allerdings nachgeholfen. Als zum Vorbild verpflichteter
Landesvater fuhr er stockbesoffen mit 1,8 Promille im Turm wie der Wilde
Jäger (142km/h bei erlaubten 70km/h) über die Chausseen seines
Heimatlandes. Dessen Gesetze mochte er glauben biegen zu können,
bei denen Naturgesetzen versagte auch die scheinbare Allmacht des Kärntner
Landeshauptmanns. Denn der Vater aller Naturgesetze, der österreichische
Herrgott, bewies, dass Katholizismus eben nicht unbedingt in die Nähe
zum Nationalsozialismus zu rücken ist, wie man das ja aus der Geschichte
des Nachbarlandes Slowakei abzulesen geneigt ist. Er setzte dem Spuk
abrupt ein Ende. Na ja, nicht so richtig: Es schien gar so, als flackerte
dieser Spuk gerade mit dem Tod des Mannes erst noch einmal richtig auf,
um dessen Namen es international wieder ruhiger geworden war. Wie sie
zum Sarge wuselten, die heulenden und flennenden Österreicher!
Das stimmte bedenklich. Hier trat das braune Magma an die Oberfläche.
Selbst der sozialdemokratische Bundeskanzler der Alpenrepublik, Herr
Alfred Gusenbauer, hielt sich bei der Trauerrede vornehm zurück.
Das war wohl nicht nur einer Pietät dem Toten gegenüber geschuldet,
sondern vor allem der knurrenden Menge, die bei kritischeren Tönen
erst auf dem Platz, dann an den Wahlurnen wütend explodiert wäre.
Wir stutzen: Undenkbar, dass deutsche Sozialdemokraten, schon in Dachau,
Buchenwald und Sachsenhausen einsitzend, eine Gedenkrede zu Gunsten
des toten Röhm gehalten hätten – was für eine bemerkenswerte
Persönlichkeit usw. Oder etwa doch nicht…? Ist die alte Arbeiterverräter-Tante
SPD bzw. SPÖ schon so senil, dass sie dem Todfeind Elogen hinterherklampft?
Wie fantasiert die jaulende, Herrn Dr. Haider ins Grab geleitende Menge
aber ist, lässt sich daran ablesen, dass sie sogar das letzte Lichtbild
ignoriert, das von Haider eine Stunde vor seinem finalen Unfall aufgenommen
wurde: in einer bekannten Schwulenbar. Und das, wo dieselben Heuler
und Flenner in bester christlich-katholisch-konservativer Manier am
liebsten jede Schwuchtel stantepede und ohne viel Larifari auf den Scheiterhaufen
schicken würden. Wenn’s aber um ihren angebräunten Messias
geht, dann wird ein solches Verhalten schon mal kollektiv ausgeblendet.
So san’s, die Ösis! Aber leider nicht nur die. So sind sie
überall. Und das ist das Schlimme!
Man sagt, Haiders Partei wäre der Verlust ihres Frontmannes stark
geschwächt. Gott geb’s! Vielleicht blenden die Ewiggestrigen
endlich mal nicht den Sachverhalt aus, dass das Regime des Nationalsozialismus
eine Regierung der Arbeitslosen durch die Arbeitsscheuen war, wie das
mal ein kluger Kopf formulierte. Die konnten sich nur eine gewisse Zeit
mit nie da gewesenem Raub, Mord und Totschlag über Wasser halten.
Mit gnadenloser Sklavenhalterei. Das musste zum Teufel gehen! Wer das
zurücksehnt, ist wirr im Kopf oder nie richtig erwachsen geworden.
Oder beides. Na, Österreich, Ostmark, Kärnten…?