König
Davids Enkel
Michael D. Kröner - ein deutscher Jude in Brandenburg
Michael L. Hübner
Als Oberbürgermeister
Dr. Sievers seiner Gauleitung am 13.4.1942 die Stadt Brandenburg
an der Havel „judenfrei“ meldete, hatte der nationalsozialistische
Vernichtungswahn die letzten Mitglieder der jüdischen Gemeinde
der Havelstadt um ihre Heimat gebracht. Doch schon kurz nach
dem Kriege stellte sich heraus, dass das deutsche und europäische
Judentum zwar einen grauenhaften Blutzoll entrichtet hatte,
dass es aber, wie schon so oft in der Geschichte, wieder einmal
seine Peiniger überlebt hatte. Alle, die sich in den drei
vergangenen Jahrtausenden am Judentum vergingen, Ägypter,
Babylonier, Assyrer, Perser, Römer und Nazis, verschwanden
wieder.
Das jüdische
Volk aber, das der Hirtenjunge und spätere König David
aus einem Haufen bettelarmer Wüstennomaden zu einer Nation
zusammengeschmiedet hatte, behauptete tapfer seine Existenz
und bewahrte seine Identität. Die Länder, in denen
die Juden sich seit ihrer letzten großen Vertreibung aus
dem Gelobten Land durch die römischen Legionen ansiedelten,
erfuhren allesamt durch sie eine große kulturelle und
wissenschaftliche Bereicherung. Gelohnt wurde es den Juden oft
übel. Doch selbst in Deutschland, dem Land, das ihnen in
ihrer ganzen Geschichte am feindseligsten entgegengetreten war,
hielten sie fest an der Heimat, die auch immer die ihrige war.
Als Michael D. Kröner 1961 im Alter von 10 Jahren mit seinem
Vater aus Westberlin nach Brandenburg übersiedelte, da
gab es noch den alten Herrn Kiwi, den letzten Überlebenden
der alten Gemeinde. Herr Kiwi aber starb und so war Michael
Daniel Kröner über Jahrzehnte der einzige halachische
Jude der Stadt und des Landes Brandenburg. Die Halacha besagt,
dass jemand zum Judentum gehört, wenn er oder sie von einer
jüdischen Mutter geboren wurde. Michaels Mutter und Großmutter
waren Jüdinnen. Der Großvater überlebte Auschwitz.
Es gibt Briefe des Großvaters aus dem fürchterlichsten
Vernichtungslager aller Zeiten. All das Grauen, das diesem Volk
unverschuldet angetan wurde, atmen die vergilbten Blätter
aus. Der Enkel aber, Michael Daniel Kröner, war in Brandenburg
das sichtbare Zeichen dafür, dass das jüdische Volk
auch diese schwerste aller Prüfungen überstanden hatte.
Die junge DDR scherte sich nicht sonderlich darum. Für
sie waren alle Insassen eines KZ unterschiedslos Antifaschisten.
Den latenten und unterschwelligen Antisemitismus, der sich im
Arbeiter- und Bauernstaat erhalten konnte, bemäntelten
die Genossen mit ihren Hasstiraden gegen den israelischen Zionismus.
Den
kleinen Michael Daniel Kröner jedoch ließ man zufrieden.
Ein Jude – was macht das schon? Viele wussten es, keinen
interessierte es. Als der in Berlin-Pankow geborene und in Moabit
aufgewachsene junge Rebell 1976 gegen die Ausbürgerung
Biermanns öffentlich Stellung bezog und mit einem Plakat
um den Hals im Foyer der Zentralpoliklinik protestierte, dauerte
es keine Viertelstunde, da wurde wieder ein deutscher Jude von
Mitarbeitern einer deutschen Geheimpolizei verhaftet. Nein –
diesmal nicht um seines Judentums willen – wie gesagt,
das interessierte niemanden. Staatsfeindliche Hetze warf man
ihm vor. Weil er sich aber in Anbetracht seiner Frau und der
beiden kleinen Kinder reumütig zeigte, verurteilte man
den U-Häftling des berüchtigten Potsdamer „Lindenhotels“
Kröner in nichtöffentlicher Verhandlung „nur“
zu zweieinhalb Jahren Gefängnis auf Bewährung. Er
war gewarnt. Die kommunistischen Funktionäre ließen
keinen Zweifel daran, wie ernst ihnen die Geschichte war.
So kam
der junge Kröner zurück in seine Heimatstadt, schloss
Frau und Kinder in die Arme, zog den Ausreiseantrag zurück
und erarbeitete sich sein täglich Brot als Hausmeister
und Straßenbahnfahrer. Offiziell trug man ihm die Sache
nicht weiter nach. Immerhin hatte er den Luftstreitkräften
der DDR drei Jahre lang als Flugzeugwart gedient und war nie
in seinem Leben straffällig geworden. Sogar eine bescheidene
Karriere ließ man ihn machen: Bei einem städtischen
Dienstleister hatte er Bootsmotore und Kinderwagen repariert,
bei Paul Filipski war er als Fahrradmechaniker, seinen Industriemeister
für Maschinen und Anlageninstandhaltung durfte er machen,
beim VEB Folienerzeugnisse, der alten Feinjute, hat er es gar
bis zum Transportleiter gebracht. „Nachwuchskader“
nannten das die Genossen. Er leitete eine Brigade, wurde Obermeister
und ging dann für zwei Jahre „an die Trasse“.
Das war sicher ein Privileg, um das ihn viele beneideten. Doch
in der Ukraine, wo er arbeitete, lernte er Antisemitismus pur
kennen. Eine bittere Erfahrung – umso unverständlicher,
als die Ukrainer ja ebenfalls zu den Völkern gehörten,
die am schlimmsten unter dem deutschen Faschismus gelitten hatten.
Zurückgekehrt übernahm er bei den „Technischen
Gasen“ die Stelle eines Allgemeinen Verwalters –
einen Posten, der mit der politischen Wende von 1989 ersatzlos
wegfiel. Und so sattelte er noch einmal um, wurde Außendienstler
und vertritt seither gegenüber kommerziellen Abnehmern
chemische Produkte.
Und als 1997/98 die ersten Juden aus den Tiefen der ehemaligen
Sowjetunion nach Brandenburg an der Havel kamen und sich anschickten,
eine neue jüdische Gemeinde aufzubauen? „Da war ich
neugierig! Das habe ich erst einmal beobachtet. Aber gefreut
hat es mich sehr“, sagt Kröner. „Immerhin hoffte
ich dort eine geistige Heimat zu finden. Musste ich doch bis
dahin nach Berlin in die Synagoge in der Rykestraße fahren,
wenn ich andere Juden treffen wollte.“ Anfänglich
ließen sich die Dinge auch gut an. Zum stellvertretenden
Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde wurde Kröner gewählt.
Doch die Sprachbarriere und das sich zunehmend eintrübende
Verhältnis zum Vorsitzenden führten dazu, dass sich
Kröner nach zwei Jahren aus der Vorstandsarbeit zurückzog.
Wenn sich die jüdische Gemeinde heutigentags über
zuwenig Aufmerksamkeit von Seiten der Stadt beklagt, resigniert
Kröner: „Und wieviel Aufmerksamkeit widmen sie mir
– ihrem Gemeindemitglied? Ich möchte wie jeder andere
auch meinen Gemeindebeitrag auf das Gemeindekonto überweisen
– nicht einmal die Kontonummer bekomme ich zu erfahren.“
Diese
Entwicklung bedauert Kröner zutiefst. So sehr wäre
er daran interessiert, die Gemeinde zu einem pulsierenden und
lebendigen Bestandteil des kommunalen Lebens aufzubauen, an
die Zeit vor den Nationalsozialisten anzuknüpfen, als Gemeindemitglieder
zu den Honoratioren zählten und einer es sogar bis zum
Ehrenbürger brachte. Er würde sich wünschen,
dass die Gemeindemitglieder, unter ihnen viele hochqualifizierte
und kluge Leute, verstärkt deutsch lernen, um sich intensiver
in ihre neue Heimat einbringen zu können. So unbefriedigend
für viele die Situation sein muss, trotz hoher Abschlüsse,
die ihnen in Deutschland selten adäquat anerkannt werden,
von Sozialleistungen leben zu müssen, dürfe man nicht
in Resignation und Rückzug verharren. Deshalb unterstützt
Kröner auch das jüngste Projekt der Sozialbeigeordneten,
das sich im Rahmen der „Sozialen Stadt“ mit dem
Leben und den Wünschen der jüdischen Neubürger
befasst. Dabei lässt er sich, wie er es nie anders handhabte,
auch nicht von Widrigkeiten entmutigen. Sein zweiter Name Daniel,
der ihm anlässlich seiner Beschneidung verliehen wurde,
bedeutet: „Gott ist mein Richter!“ Und dieser Gott
wird anders über Michael Daniel Kröner richten als
einst die Kommunisten. Er wird sicher sagen: „Dieser jüdische
Mann hat den Bund gehalten, den ich einst mit seinem Volke einging.
Dieser Michael D. Kröner wurde für aufrecht und für
gut befunden!“