Unmut wider deutsche Ämter
zum Verhalten der Zentrale
Bußgeldstelle Gransee
Don M. Barbagrigia
Es ist der 7. April des Jahres 2008, als unser Kollege H. im
Redaktionsautomobil von einer Dienstbesprechung in sein Büro
zurückkehrt. Er ist noch in Gedanken bei seinem Projekt,
da blinkt in seinem Rückspiegel der Hinweis eines Polizeiwagens,
der ihn zum Anhalten auffordert. H. behält seine Hände
auf dem Lenkrad, lässt den Beamten ans Auto treten und
erst, als dieser ihn auffordert, den Wagen zu verlassen, löst
er den Gurt, steigt aus und überreicht dem Polizeimeister
O. seine Papiere. Dieser weist ihn auf eine nicht vollständig
geschlossene Motorhaube hin. H. bedankt sich und will wieder
einsteigen, da fragt ihn der Polizeimeister nach seiner Gurtbefreiung.
H. besitzt keine.
Als
Rettungsassistent hatte er früher eine, wenn ein Patient
im RTW (Rettungstransportwagen) saß oder lag, aber er
ist alleine im Wagen, dieser ist kein RTW und H. ist auch nicht
als Rettungsdienstler unterwegs sondern als Journalist und Projektmanager.
Und er ist verdutzt. Was die Frage soll? Er sei doch angeschnallt
gewesen. Ja, ja, jetzt, vorhin aber nicht. Wann vorhin? Als
die Polizisten ihn gesehen hätten. H. gibt auf. Man kann
mit dänischen Polizisten diskutieren und mit schwedischen,
spanischen und arabischen und wenn man weiß, wie, dann
sogar mit britischen. Aber mit deutschen? Zeitverschwendung.
Der
Polizeimeister will kassieren. H. lehnt ab. „Schreiben
Sie’s auf“, sagt er. Der Polizist schreibt. Unser
Mitarbeiter setzt gelassen seine Fahrt fort. Am 30. April hat
er dann den Bußgeldbescheid im Briefkasten. Frau H. von
der Zentrale Bußgeldstelle Gransee, Oranienburger Straße
31, möchte statt der vom Polizeimeister geforderten €
30,- nunmehr € 53,50, weil eine „Prüfung im
Bußgeldverfahren zu keiner Entlastung Ihrerseits“
führte. Was denn für eine Prüfung. Was ist das
denn für ein Blödsinn? Wer behauptet denn da auf einem
amtlichen Schreiben allen Ernstes, da sei irgendetwas geprüft
und abgewogen und für den Delinquenten entlastende Gesichtspunkte
auch nur ansatzweise in Betracht gezogen worden? Diese Leute
wollen wir uns mal näher betrachten.
Die Polizeibeamten seien außen vor gelassen. Sie mögen
ihre Uniformen wechseln wie sie wollen. Mit Tschako oder „sozialistischem
Wegweiser“, als Genosse Volkspolizist oder „Kontaktbereichsbeamter“
– inwendig sind das immer dieselben. Das ändert sich
nicht. Die hat unser Vater Tucholsky schon seziert. Das brauchen
wir nicht zu tun, sowenig wie wir vor Ort mit ihnen zu diskutieren
brauchen. Der uniformierte Polizist hat dem Bürger gegenüber
immer Recht. Per se!
Das
in Deutschland ein Naturgesetz. Wenn das mal nicht der Fall
sein würde, wäre der ohnehin schüttere Rest seiner
Autorität dem Volke gegenüber in Gefahr. Aber was
soll’s? Diese Autorität ist doch eh schon zum Teufel!
Wer nimmt denn noch einen deutschen Polizisten für voll?
Das tun doch nicht mal die Banditen! Ach Gottchen, was für
ein armer Haufen… Lassen wir sie in Ruhe!
Doch was ist mit der Bußgeldstelle der Polizei? Zunächst
einmal die Frage: Für welche Untat büßt das
deutsche Volk mit solchen Bußgeldstellen. Was hat es verbrochen?
Hat man ihm im Dreißigjährigen Krieg nicht schon
genug die Gedärme aus dem Leib gedroschen, dass es jetzt
auch noch Bußgeldstellen ertragen muss? Denn dort sitzt
kein Bürger, der sich mit den Anliegen von Bürgern
befasst. Dort sitzen auch keine Menschen, die mit ihren Mitmenschen
menschlich verhandeln. Dort sitzen Beamte und Angestellte und
sie entscheiden gegen gesichtslose Nullen. Und die sollen sich
mal wagen…!
Doch sie wagen es mitunter. H. zum Beispiel nahm sich einen
Anwalt. Und das ist jetzt die Kategorie, wo die Subalternen
aufhorchen: Ein Anwalt! Nicht, dass sie diesen jetzt als vollwertigen
Menschen akzeptieren würden. Nein, nicht doch! Aber ein
Anwalt ist einer, der kann ihnen kompetent widersprechen, der
ist geschult das Haar in der Suppe zu finden, für den sind
Paragraphenzeichen keine abstrakte Bedrohung wie für den
normalen Bürger, sondern sein täglich Brot. Der kann
Akteneinsicht fordern. Holla! Das RA unter dem Absender macht
Bange, was? Der Rechtsanwalt Dr. K. verlangt also folgerichtig
Akteneinsicht und trägt der Bußgeldstelle vor. Diese
könnte jetzt wirklich prüfen. Jetzt ist etwas da zum
Prüfen! Substanz, verstehen Sie!
Der Rechtsanwalt trägt viel Entlastendes vor: dass sein
Mandant ein zwanghafter „Gurter“ sei, der als gedienter
Rettungsassistent selbst auf dem RTW nur in Ausnahmefällen
auf den Gurt verzichtete; dass er an diesem Tage eine dicke,
dunkle Wildlederjacke über einem anthrazitfarbenen Sakko
trug, das Interieur des Automobils in Anthrazit gehalten ist;
dass der Gurt mitunter unter den wuchtigen Umschlagkragen der
Jacke rutscht und dann kaum zu sehen ist, etc., etc.
Jetzt könnte die Bußgeldstelle Vernunft beweisen
und die Sache aufgeben. Tut sie aber nicht. Sie gibt es an ein
Gericht weiter. Jetzt wird das Ganze richtig teuer. Dort kommt
es, wie es kommen muss: H. meldet noch einmal seine Argumente
an, bekräftigt seine Ausführungen, er sei angeschnallt
gewesen, legt Beweismaterial vor. Der Polizeiobermeister P.,
als Zeuge geladen, kann sich an nichts mehr erinnern. Die Richterin
entscheidet nach Sachstand und dem felsenfesten Grundsatz „in
dubio pro reo“ - im Zweifel für den Angeklagten.
Die Sache
geht aus wie das Hornberger Schießen: außer Spesen
nichts gewesen. Der Steuerzahler trägt die Gesamtkosten
des Verfahrens, die Bußgeldstelle träumt ihren €
58,50 bis zum St. Nimmerleinstage hinterher. Eine Rechtschutzversicherung
zahlt den Anwalt. Warum? Weil zu einem Freispruch auch der andere
Zeuge noch hätte gehört werden müssen. Hübner
verzichtete darauf, um den Wahnsinn einfach zu stoppen. So wurde
„nur“ das Verfahren eingestellt.
Man könnte diesem Unfug nur Herr werden und die Bediensteten
der Bußgeldstelle zu verantwortungsvollem Umgang mit denen
Affären erziehen, wenn man sie an solchen Verlustgeschäften
ohne Wenn und Aber prozentual beteiligen würde. Jeder Arbeiter
in der Produktion kann von seinem Chef gleichermaßen in
die Pflicht genommen werden, wenn er fahrlässig einen Schaden
verursacht.
Es wäre dabei nur nötig, dass der oben zitierte Satz
aus dem Bußgeldbescheid mit Leben erfüllt wird und
nicht länger als hohle, standardisierte Phrase daherkommt.
Diese Beamten und Angestellten sind keine Halbgötter, die
aus ihren Wolken herab über das Schicksal unmündiger,
großer Kinder entscheiden. Sie haben nicht das Recht,
den Steueretat der Gesellschaft fahrlässig zu strapazieren.
Das muss man ihnen unmissverständlich klar machen! Sie
sind oft nur seelenlose Jobmacher, als solche werden sie in
der Bevölkerung auch wahrgenommen.
Wir wissen, wie sie reden, wenn sie nach Feierabend um ihren
Grill in der Laubenkolonie zusammenhocken: Sie gegen die anderen!
Und denen werden sie es zeigen, wer hier am längeren Hebel
sitzt. „Was die sich einbilden!“
Und wie sie sich aufspulen, wenn sie mal auf der Kundenseite
eines Tresens stehen. Als Patient vor einer kleinen Arzthelferin
beispielsweise, die nicht gleich einen Termin parat hat. Sie,
die subalternen Staatsdiener, sie sollen sich hier unterordnen?
Na, das fehlte noch! Es ist ein unangenehmer Menschenschlag.
Und man beginnt die Alten zu verstehen, die den Büttel
und seine Knechte ausgrenzten, ihn als „unehrlich“
ansahen und selbst die Berührung mit ihm mieden. Man versteht
aber auch mit viel gutem Willen die Enkel der Büttel, dass
sie irgendwann einmal begannen zurückzuschlagen. Aber hat
das noch mit der Vernunft eines menschlichen Miteinanders zu
tun? Alle machen sich gegenseitig das Leben schwer, versuchen
sich zu bevormunden und zu schurigeln, wo sie immer nur können.
Das ist krank! Und es macht die Menschen krank – die vor
und auch die hinter dem Tresen. Das sollte man einmal in einer
ruhigen Stunde überlegen. Vorausgesetzt natürlich,
man verfügt über die nötige Masse Hirn und Herz.
Beides sind immer noch seltene Objekte in deutschen Amtstuben
– leider!