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Siebzig Jahre nach dem Terror
zum Gedenken an die Reichspogromnacht

S. M. Druckepennig
Vor siebzig Jahren tobten die nationalsozialistische Kanaille und der Mob durch die Städte Deutschlands. Sie jagten und hetzten unsere jüdischen Brüder und Schwestern, droschen deren Eigentum kaputt und bestahlen sie in unvorstellbarem Ausmaß. Wenn das deutsche Judentum bis dahin fürchterlich repressiert wurde, das Datum der Reichspogromnacht markiert den Wendepunkt hin zur Vernichtungspolitik ebenso wie die Wannseekonferenz. Doch ein anderer Kulminationspunkt wurde mit diesem Tage erreicht. Es ist der Nadir einer tausendjährigen Verfolgungsgeschichte durch das „christliche“ Abendland.
Am siebzigsten Jahrestag nun nahm ein Vorsitzender einer Brandenburger Jüdischen Gemeinde im Dom zu Brandenburg das Wort und las vor der Gemeinde aus dem Psalter. Das ist eine Sensation. Das ist ein Zeichen, das uns unglaubliche Hoffnung gibt. Im Vorfeld und während der Predigt bekannten sich Vertreter der evangelischen Kirche zu ihrem beispiellosen Versagen gegenüber ihren jüdischen Brüdern und Schwestern während der Zeit des Grauens. Sie bekannten sich damit und deutlich und wörtlich zu ihrem Verrat am Rabbi Joshua, den die Christen Jesus nennen. Sie verrieten ihn nicht minder, als Petrus den Rabbi verraten hatte. Weniger war es der Verrat des Judas. Und wir sagen bewusst: weniger. Dass sie sich aber dazu bekennen und das Mea Culpa, Mea Maxima Culpa rufen, das erfüllt uns mit dem Glauben, sie würden es auch weiterhin mit dem ersten Bischof von Rom halten und das nächste Mal standhaft bleiben. In diesem denkwürdigen, Geschichte schreibenden Gottesdienst hieß es: die Christen glauben an Jesus, die Juden glauben wie Jesus. Dieser Satz scheint uns fundamental zu sein. Dazu sagen wir AMEN.
Während dieser Text geschrieben wird, gehen wir unsichtbar an der Seite der letzten deportierten Brandenburger Juden durch diesen traurigen Tag des 13. April 1942, gehetzt vom Schweinehund Kriesche. Wir sind ein Teil von ihnen. Wir hatten nichts verbrochen, nur, dass wir der Geburt nach dem Judentume zugehörten. Wir waren hier zur Schule gegangen, hatten einen Beruf gelernt, hatten uns bis zum heutigen Tage ehrbar durchs Leben gebracht. Jetzt werden wir „umgesiedelt“, in den Osten, in die Fremde, in den Tod. Alles, woran unser Herz hängt, bleibt hier zurück, in Brandenburg an der Havel. Während wir gehen, durchwühlen schon fremde Menschen unsere Wohnungen. Sie raffen zusammen, was ihnen von Wert scheint, werfen unsere Unterwäsche durcheinander, treten auf unsere Photoalben. Wir leiden, wir leiden. Herr, unser Gott, aus der Tiefe rufen wir: Was haben wir denn verbrochen, warum hast Du uns verlassen?
Als der Gottesdienst abgehalten wurde, saßen wir im südlichen Seitenschiff, den Blick auf das Epitaph Bischof Stephans. Der 37. Brandenburger Bischof war als ausgewiesener Hebräist und aufrechter Freund der Juden bekannt. Ihm wird der große Magen David, der riesige Davidstern am Westgiebel des Domes zugeschrieben, wenngleich der Magen David zu dieser Zeit noch nicht die Bedeutung hatte, wie zur Zeit Theodor Herzls. Bischof Stephan hätte die Teilnahme eines Juden an einem christlichen Gottesdienst trotz aller Verbundenheit zu seiner Zeit sicher nicht geduldet. Hätte er aber mit eigenen Augen gesehen, was in seiner Domstadt vor siebzig Jahren geschah, er hätte – dessen sind wir überzeugt – den Vorsitzenden Feliks Byelyenkow höchstpersönlich vor den Altar geleitet. Wir sind froh und glücklich. Shemah Jisroel – Adonai Elohim Adonai Echod! AMEN!


12. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008
09.11.2008