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Der 4. Brandenburger Türmetag
am 12. September 2004

J.-F. S. Lemarcou
Einige bedeutende Städte des Mittelmeerraumes heißen in ihrer griechischen Übersetzung Tripolis. Das bedeutet „Dreistadt“. Ein Name, der auch auf Brandenburg an der Havel durchaus zutreffen würde. Ist es doch eine der Besonderheiten der märkischen Metropole, daß sie aus drei souveränen und autarken Siedlungen gleichen Namens hervorging: Da hatten wir zum Ersten die Altstadt Brandenburg, die sich um die slawisch-deutsche Kaufmannssiedlung Parduin gruppierte, sodann am südlichen Havelufer die Neustadt Brandenburg, die planmäßig von konkurrierenden Kaufleuten wenige Jahre später Ausgangs des 12. Jahrhunderts gegründet wurde und schließlich der auf den Trümmern der wendischen Hauptburg entstandene Brandenburger Dom. Jeder dieser drei Stadtteile hatte eine eigene Verwaltung, eigene Wehranlagen, eine eigene Infrastruktur, eigene Rechts- und Zollhoheiten.
Dieser kostspieligen Trinität machte erst der Soldatenkönig 1715 mit dem Befehl zur Vereinigung aller drei Orte zur gemeinsamen Stadt Brandenburg an der Havel ein Ende.
Geblieben aus dieser Zeit sind uns große Teile der beiden Stadtmauerringe, vier Tortürme, einige Kirchen, respektive deren Ruinen, bis 1945 zwei Rathäuser. Das alles eingebettet in eine zauberhafte, von der Havel geprägten Landschaft, die vom zentral gelegenen Harlunger- oder Marienberge dominiert wird.
Natürlich kann der interessierte Bürger oder Besucher Brandenburgs all diese Sehenswürdigkeiten zu Fuß erkunden, den mittelalterlichen Gassen folgend die oft liebevoll restaurierten Zeugen einer bedeutenden Vergangenheit bestaunen. Welches Potential in der vereinigten Chur- und Hauptstadt steckt, wird aber eigentlich so recht erst aus der Vogelperspektive sichtbar.
Nun ist es nicht jedermann gegeben, sich in ein Flugzeug oder einen Ballon zu setzen, um zu solcher Aussicht zu gelangen. Das Panorama, das sich von der Friedenswarte auf dem Marienberg bietet, bringt uns diesem Ziel schon näher.
Aber es macht auch neugierig: Wie sieht dieses oder jenes aus einem anderen Betrachtungswinkel aus. Dieser Wasserlauf dort oder jenes Haus da, leider verdeckt, aber vom Rathenower Torturm aus, von den Höhen St.Gotthardts oder der Katharinenkirche aus müßte es zu sehen sein.
Der Brandenburger Türmetag, eine sehr lobenswerte Institution seit 2001, macht’s möglich! An einem Sonntag im Spätsommer öffnen Sehenswürdigkeiten der alten Dreistadt an der Havel ihre Pforten für das breite Publikum zu luftigen Aussichten.
Der Andrang beweist Jahr für Jahr, wie sehr diese Attraktion von den Brandenburgern und ihren Gästen angenommen wird. Eine Stunde Wartezeit an besonders begehrten Punkten, wie dem Rathenower Torturm, dem neustädtischen Mühlentorturm von Baumeister Nicolaus Craft aus Stettin, den Kirchtürmen vom Dom und beiden Hauptkirchen St.Gotthardt und St.Katharinen wird ohne Murren und Klagen in Kauf genommen für die nur oft wenigen Minuten einer exponierten Aussicht. Allerorten das nicht verebben wollende Geräusch der Photoapparate und Kameras. Klick, Klack, sssss…, und immer wieder: „….da, schau mal!“ und: „Das ist doch das Haus von Sowieso, na da hinten, hinter dem Giebel da, sieh mal an, Menschenskind, komm mal her, dort drüben….“
Und man staunt, wieviel Heimatfachwissen den Brandenburgern noch immer zu eigen ist.
Auf dem Turm der Gotthardtkirche beispielsweise kann man, nach Westnordwest blickend, die Sicht nachempfinden, die einst Zacharias Garcaeus, der Stadtschreiber der Altstadt und Rektor der Lateinschule, im Jahre 1582 in Wasserfarben aufs Papier brachte. Unverändert steht er da, der Rathenower Torturm; dort, im Pfarrgarten ist noch immer der Stumpf des Wehrturmes sichtbar, die alte Lateinschule ist in ihrer Fassade noch immer deutlich erkennbar; nur oben auf dem Berg, wo das Brandenburger Kleinod – die viertürmige Marienkirche stand, da grüßt nur noch etwas verloren die Friedenswarte. Nach Südosten zu erkennen wir deutlich den großen Davidstern, der den Westgiebel des Langhauses des Domes ziert und den Herr Baumeister Schinkel so schamhaft hinter einer neugotischen, von Zinnen gekrönten Zierblende zu verstecken suchte.
In der Ferne schimmert das Blaßblau der Höhenzüge des Fläming, bei guter Sicht von der Friedenswarte aus grüßen gar von weitem die Richtantenne auf dem Zehlendorfer Schäferberg und die historische Antennenanlage von Nauen. Wiesen, Dörfer, Wälder, und immer wieder die vielen Buchten und Seen und Arme der Havel – wir leben in einer Region, in der Andere ihren Urlaub verbringen würden. Es ist ein Geschenk von wahrhaft grandioser Schönheit!
Doch legen wir für einen Augenblick das Fernglas aus der Hand und widmen uns den Dingen, die sich direkt unter uns ausbreiten:
Man erkennt von St.Gotthardt die sich an die Havel schmiegende Tropfenform der Altstadt, wie man vom Turm von St. Katharinen den fast kreisrunden Grundriß der Neustadt erahnt. Wie von zwei senkrecht zueinander verlaufenden Bändern, Haupt- und Steinstraße, in vier Quadranten geteilt – durchdacht und bewußt konzipiert – wir begreifen, daß wir auf das Erbe hinabblicken, das uns von unseren Altvorderen hinterlassen wurde – und das nicht nur in architektonischer Hinsicht.
Wir sehen in erschütternder Klarheit, wie wenig achtungsvoll mit diesem sowohl materiellen als auch geistigen Erbe zu früheren Zeiten umgegangen wurde: die Ruinen des Dominikanerklosters St. Pauli und des Franziskanerklosters St.Johannis sprechen eine deutliche Sprache. Wo ist der Glanz der alten St.Annenstraße, wo das neustädtische Rathaus in all seiner gotischen Schönheit, wo unser Storbeck’sches Kurfürstenhaus? Sie fehlen im Stadtbild so sehr, wie die Marienkirche auf dem Berge fehlt.
Und ihr Fehlen ist Mahnung und Ansporn zugleich. Ansporn, das, was uns geblieben ist, um so sorgsamer zu bewahren.
Insofern leistet der Brandenburger Türmetag einen wertvollen Beitrag, die Beziehung der Brandenburger zu ihrer Heimat zu festigen und Gästen die Schönheit dieser ganz besonderen Stadt unvergeßlich anzupreisen. Wie wichtig eine solche Verbundenheit ist, kann in unseren von schweren Wirtschaftskrisen, anhaltender hoher Arbeitslosigkeit und Abwanderung nicht genug betont werden.
Wer sich seines Erbes bewußt ist, der wird es nicht verlassen, sondern daran festhalten und es für seine Kinder hegen und pflegen. Das ist unserer Ansicht nach eine Grundvoraussetzung für einen gesunden Lokalpatriotismus und damit auch ein wirtschaftliches Engagement hier, bei uns.
Man kann also den mutigen Initiatoren und ihren freiwilligen Helfern nicht genug danken. Solcher Ideen bedarf die Stadt!
Vielleicht wäre sogar eine entsprechende Investition zu überlegen, die restlichen drei Tortürme dauerhaft begehbar und somit zu Außenstellen des Stadtmuseums zu machen – begehbar über einen touristischen Rundkurs mit einer „Viertürmekarte“. In den Türmen könnte die Entwicklung der Dreistadt und ihrer Wehranlagen nachgezeichnet werden – die verschollenen Bauten, wie Ehebrechertorturm, altstädtischer Mühlentorturm und St.Annentor könnten zumindest im Modell wieder auferstehen.
Ist uns ein wenig Träumen erlaubt, so wäre sicherlich auch der Turm des Altstädtischen Rathauses eine Besteigung wert – und in absehbarer Zukunft eventuell sogar der Turm der Klosterkirche von St.Pauli. Wenn man dann noch einige dieser Aussichtspunkte öfter im Jahr erklimmen und seinen Gästen präsentieren könnte, wäre ein weiterer gewichtiger Schritt nach vorne getan, die Attraktivität Brandenburgs zu steigern.
„Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung“, lehrte uns seinerzeit der große Franzose Antoine de SaintExupery. Der vierte Brandenburger Türmetag bot seinen Besuchern solche Wechsel von Standpunkten und Blickrichtungen in Hülle und Fülle. Mit dieser „Aussicht“ blicken sechs begeisterte „Türmer“ vom „Preußischen Landboten“ dem 5. Brandenburger Türmetag im nächsten Jahr entgegen.

3. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004