Baaks

zurück zum Landboten

 

Amtsdeutsch

Wir gestatten uns im Hinblick auf den folgenden Artikel, auch auf den Beitrag Herrn Ludwig Börnes,
"Würde des Bürgers"
in den externen Beiträgen des Preußischen Landboten zu verweisen.

B. St. Fjøllfross
Im Briefkasten lag der Amtsbescheid. Die Antwort des Amtes auf das Gesuch des Bürgers, nennen wir ihn Michel Lehmann. Als er ihn öffnete, hatte Lehmann das Gefühl, er hätte die Seite einer arabischen Tageszeitung vor sich – der Inhalt verschloß sich ihm weitestgehend. Alles was er verstand, war, daß der Antrag abschlägig beschieden wurde. Warum?
Nun, das geht doch ganz deutlich aus der Begründung hervor: Nach §34 Abs.2 KGB, Komm. Dirkholz II. Bd. 1986 S.85ff. bzw. § 125c Abs.1 Viertes AnStGb (AnStGB IV) i.V.m. §§224, 225 Sechstes Buch Antragsformulierungsgesetz (AFG VI)* ist davon auszugehen, daß der Antragsteller bei der Formulierung des dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhaltes in mehrfacher Hinsicht… (*Die entsprechenden Gesetzesverweise sind von uns frei erfunden, um Spitzfindigkeiten aus dem Wege zu gehen. Nicht so die Form, in der sie abgefaßt wurden.)
Wir unterbrechen an dieser Stelle den kleinen und unerquicklichen Ausflug ins Juristen- und Amtsdeutsch. Lehmann kam sowieso nicht bis an diese Stelle, ebensowenig, wie Millionen anderer, die täglich mit den deutschen Amtsstuben zu tun haben.
Wozu dieser verbale Mummenschanz? Ganz einfach: Um dem Michel weiszumachen, er sei ein mündiger Bürger, der die im Bescheid getroffenen Aussagen jederzeit überprüfen könne um sich so von der Richtigkeit der Entscheidung zu überzeugen.
Aber das ist Blödsinn. Das ist die scheinheilige Kulisse des ganzen Spektakels. Eigentlich ein genialer Schachzug. Denn erreicht wird das Gegenteil: Die Verfasser dieses Kauderwelsches sind sich durchaus darüber im Klaren, daß kaum ein Lehmann da draußen in der Lage ist, aus dem Stegreif noch eine Abschlußprüfung Achte Klasse Elementarschule erfolgreich zu absolvieren, geschweige denn, mit derart kryptischen Paragraphenverweisen zu jonglieren. Hier knallt ein Holzhammer auf den Kopf unseres Michels. Und dumpf tönt in seinem Schädel das erwünschte Ergebnis: Die sind sowieso im Recht, die kennen sich aus, ich nicht, gegen die habe ich ja gar keine Chance. Bumm!
Hakt man vorsichtig beim Amte nach, so beeilen sich die Beamten zu versichern, das alles sei so von Rechtsanwälten geprüft und damit wasserdicht.
Ach Gottchen! Wer hat denn diese Rechtsanwälte für ihre prüfende Tätigkeit bezahlt, lieber Michel? Ja, ja, ich weiß – du von deinen Steuergeldern! Aber als Auftraggeber und Geldanweiser trat das Amt an die Damen und Herren Juristen heran – nicht du! Und so werden sich diese begünstigten Damen und Herren Juristen tunlichst bemühen, den Anforderungen des Amtes gerecht zu werden, nicht den deinen. Und jetzt greine nicht: Daß Ämter dazu da sind, dem Bürger zu dienen, das muß dir mal deine Großmutter erzählt haben, als sie aus Versehen Grimms großes Märchenbuch verbasselt hatte. Ämter sind dazu da, die Maßgabe ihrer Vorgesetzten zu erfüllen! Nichts sonst! Und ihr Vorgesetzter in letzter Instanz ist der Staat, der große abstrakt-imaginäre Götze. Du, lieber Michel, glaubst, du seiest der Staat, der Souverän, der Wähler. Ha, ha! Noch so ein Ammenmärchen, was man dir pausenlos einredet. Dein Name dient nur der legitimierenden Bemäntelung für diejenigen, die seit altersher bestimmen, wo’s langgeht. Damit du deine Knochen hinhalten kannst, wenn es denn schief geht. Ansonsten besteht der Staat an seinen Grenzfesten zu dir hauptsächlich aus Ämtern. Und die haben dich Barbaren kurz zu halten! Du sollst sie ernähren, nicht umgekehrt. Damit dir das auch verständlich wird, wurde im Laufe der Jahrhunderte dieser Gesetzesdschungel gepflanzt. Das heißt, gepflanzt wurden nur einige überschaubare Gesetzesstämme. Hammurabi von Babylon war so ein Pflanzer. Aber du, Michel, wolltest ja diese Stämme unbedingt und jederzeit umgehen. Gutes Recht war vor allem dein gutes Recht! So war man von der Gegenseite naturgemäß bemüht, den Dschungel dichter und dichter zu machen. Im Prinzip wucherten all die Kommentare, Erläuterungen, Präzedenzen von ganz alleine. Und überhaupt: actio gleich reactio – nicht wahr?
Das deutsche Gesetzeswerk ist längst so ein ausgeuferter, lichtloser Dschungel; weitaus undurchdringlicher als der, welchen Livingston seinerzeit in Afrika als Herausforderung auserkoren hatte.
Mittlerweile werden wir überflutet von einem so aberwitzigen Haufen von Gesetzen, Kommentaren, Präzedenzen, Verweisen, daß nicht einmal ausgefuchste Juristen diesen Irrsinn mehr zu überblicken im Stande sind – geschweige denn, ihn zu beherrschen.
Es gibt doppelt soviele juristische Wahrheiten, wie es Rechtsanwälte gibt: zu jedem Sachverhalt mindestens zwei. Das ganze multipliziere man mit der Anzahl der deutschen Richter und schon hat man das deutsche Recht klar umrissen. So klar, daß man vielerorts hört: Vor Gericht und auf Hoher See sind alle Menschen in Gottes Hand.
Und da kommen dir die Ämter mit Paragraphen? Natürlich tun sie das. Pro forma sind sie mit dem Rücken an der Wand – alles ganz korrekt. Und die Bibliothek deines zuständigen Gerichtes steht dir doch offen! Ich meine, natürlich machst du nur davon Gebrauch, wenn sich das Sechste Buch Antragsformulierungsgesetz (AFG VI) aus irgendeinem unerklärlichen Grunde gerade nicht in deiner Privatbibliothek befinden sollte. Michel, etwas besser sortiert könnte dein heimisches Büchersortiment schon sein, nicht wahr?
Nein, hier geht es um Machtausübung. Hier wird mit demonstrativer Seelenlosigkeit eine Mauer aus Sprache aufgebaut. Ebenjener lichtloser Gesetzesdschungel, mit dem die Sachverständigen von eigenen Gnaden unentwegt drohen: Paß auf, wenn du nicht artig und folgsam bist, kleiner Michel, dann gehst du ab in den dunklen Wald! Und das zieht. Die Rechnung ist einfach: Resignieren auch nur fünfzig vom Hundert, so rentiert sich das böse Spiel schon doppelt und dreifach.
Aber wir wollen auch nicht versäumen, eine Lanze für die andere Seite zu brechen. Wir wissen wohl um die Zanksucht und die notorische Rechthaberei des deutschen Volkes. An der Stelle des laissez faire sitzt beim Deutschen ein Rechtsanwalt. Wo andere sich bei einer Flasche Rotwein einigen, rennt der ewig kleine Kindergartenmichel sofort zum Onkel Richter und plärrt. Was anderes können also Ämter machen, als sofort mit der Paragraphenkeule zum Präventivschlag auszuholen, wollen sie nicht in einem ermüdenden Kleinkrieg ersaufen.
Eines kann leider die deutsche Regelungswut nicht leisten: Per Gesetz den Deutschen auf beiden Seiten des Amtstresens Herz und sachlichen Verstand verordnen und das Bewußtsein, daß der Gegenüber auch nur ein Mensch ist.

3. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004