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Die Tucholsky-Stiftung
und der „Preußische Landbote“

Ein Drama in zwei Akten
(der 100. Artikel des Preußischen Landboten)

 

Don Miquele Barbagrigia 
Als ich im Frühjahr des Jahres 2004 in der berliner Lübecker Straße weilte, im Stadtbezirk Moabit, um auf Geheiß des Padrones unseres kleinen Blattes einige Aufnahmen von Tucholskys Geburtshaus zu machen, da habe ich den „Schutzheiligen“ des Landboten um ein knappes, lausiges Jahrhundert verpaßt. Verflucht!
Hätte ich ihn nämlich angetroffen, so wäre mir wohl die einmalige Gelegenheit zuteil geworden, von ihm die Exklusiverlaubnis zu erwirken, aus seinen künftigen Werken nach Lust und Laune zitieren zu dürfen, ohne erst lange mit den eingetragenen Erben feilschen zu müssen.
Damals, als er im Matrosenanzug um die Häuserblocks Moabits wetzte, wird er sich seiner künftigen Berühmtheit wohl noch keineswegs bewußt gewesen sein. Es war die Zeit, bevor er seinen Kaiser auf einer Flöte pfeifen ließ. Aber was nicht ist, ist nicht. So ist das nun mal.
Unterdessen ist Herr Tucholsky ein weltberühmter Schriftsteller geworden, was ihn auch nicht davor bewahrte, daß die Welt, die ihm heute zu Füßen liegt, ihn gestern seelenruhig im Schweden des 1935er Jahres dem persönlichen Bankrott entgegenrutschen lies. (Er war Ausländer im nordischen Königreich und selbiges scheute sich, den weitbekannten Mann zu naturalisieren, was ihm wenigstens ein Quentchen wirtschaftlicher Sicherheit in Aussicht gestellt hätte. Danke, liebe Schweden! Was habt ihr seid König Täves Zeiten nicht alles getan, damit man respektvoll den Hut vor euch lüfte. Und hätte ich ein Glas Schwedentrunk zur Hand, ich würde es erheben auf euer ganz Persönliches!)
Von der Haltung der deutschen Nation einem ihrer brillantesten Söhne gegenüber wollen wir besser zur Gänze schweigen. Etwas Schändlicheres läßt sich kaum denken.
Aber jetzt, nach seinem Tode! Da ist alles ganz anders. Da hat man irgendwann entdeckt, daß man mit Tucholsky wieder Geld machen kann – richtig Geld! Der Meister ist in den Himmel aufgefahren wo er sitzet zur Rechten Siegried Jacobsohns und sein irdisches Erbe wanderte flugs in einen großen Reliquienschrein, wo er von den Wallfahrern ehrfürchtig bestaunt werden kann – gegen Bares selbstredend! Schließlich befinden wir uns im christlichen Abendland und das hat eine Tradition von Wallfahrtsorten zu verteidigen.
Unser Pilgerziel heißt Tucholsky-Stiftung Hamburg. Wir wollen nämlich einen kurzen, klitzekleinen Text aus den Q-Tagebüchern abdrucken. Aber wir sind vorsichtig: Da hält doch ganz gewiß jemand seine Hand drauf. Schließlich sind wir immer noch in Deutschland. Und in Deutschland, da geht das nun mal alles nicht so einfach. Da hat immer irgendwer irgendwelche Rechte und gnade Gott, wenn man die verletzt. Weit gefehlt, wer da glaubt, Gartenzäune zögen sich nur um deutsche Schrebergärten…
Also fragen wir an. Zunächst einmal im Hause Meister Rowohlts. Die Leute dort sind uns freundlich gesonnen. „Das ist alles gar kein Problem. Wo erscheinen Sie? Nur im Internet? Ach herrje! Na dann, na so…da sind wir nicht…, da haben wir nicht…, da leite ich das mal an den Herrn Professor Raddatz von der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft weiter. Der muß das entscheiden. Denn an solcher Art Publikation hält die KTG die Rechte. Aber ich sage Ihnen gleich, das wird gar nicht so einfach. Der Professor ist kein Freund von Internetveröffentlichungen.“
Und so war’s dann auch. Wir erhielten von Herrn Professor Raddatz das folgende Anschreiben:

Sehr geehrter Herr Fjøllfross, sehr geehrter Herr Bajun,

Ihre Anfrage an den Rowohlt Verlag landet bei mir, weil das Urheberrecht an Tucholsky generell von der KURT TUCHOLSKY STIFTUNG wahrgenommen und verwaltet wird. Tatsächlich müßten Sie für die in Aussicht genommenen Zitate (die Sie mir bitte im einzelnen noch vorlegen möchten) unsere Genehmigung einholen und auch ein Honorarangebot machen. Gewiß haben wir nicht die Absicht, Ihnen - wie Sie schreiben - das Genick zu brechen, aber ganz ohne Honorar können nun einmal Tucholsky-Texte nicht publiziert werden, auch und gerade nicht im Internet.

Mit freundlichem Gruß
KURT TUCHOLSKY STIFTUNG
Prof. Dr. Fritz J. Raddatz

Na bitte! Wer sagt’s denn? Kohle ist das Zauberwort. Wir haben keine. Und das schreiben wir retour:

Sehr geehrter Herr Professor!
Für die prompte Beantwortung unseres Gesuches stehen wir in Ihrer Schuld!
Bitte fassen Sie unser resignierendes Schulterzucken nicht als kleinlichen Versuch auf, den Preis zu drücken. Wir können einfach nicht. Wir haben nichts.
Unser Blatt erscheint lediglich ausschließlich im Internet, weil das die für uns einzig tragbare Publikationsplattform darstellt. Die Zahl des Lesens Kundiger nimmt täglich ab, das deutsche Bildungsniveau inflationiert erschreckend - wir hätten als Printmedium nicht die geringste Überlebenschance.
Unser geistiger Vater Dr.Tucholsky und dessen langjähriger Freund und Mentor Herr Jacobsohn hätten uns aus eigener Erfahrung verstanden - des' sind wir sicher!
Hatte doch auch die Welt- respektive Schaubühne oftmals ähnlich schwer zu kämpfen.
Wir (insbesondere ich) indes ermangeln vollständig einer vermögenden Herausgebersgattin oder Mäzenen aus dem Bankgewerbe.
Unser primäres Anliegen entnehme man unserem Zeitungskopf sowie den Zeilen unter unserem Impressum auf der Titelseite des "Preußischen Landboten". Wir wollen die Erinnerung u.a. an die Herren Tucholsky, Jacobsohn und von Ossietzky mit unserer mehr als bescheidenen Arbeit aufrechterhalten, die sich Seite für Seite, Wort für Wort in unserem törichten Idealismus gründet. Das bringt uns keinen Pfennig ein und wir wollen auch nichts daran verdienen! Keine Werbeeinlagen, kein Honorar - nur unsere Gesinnung! Und unser Wunsch, nach unseren Kräften zum gesellschaftlichen und politischen Leben dieses Landes beizutragen. Sonst nichts.
Kämpfen können wir - betteln nicht! Wir verstehen Ihren Standpunkt - aber wir können eben nicht. Weil wir arm sind. Daher bitten wir um Ihr Verständnis, wenn wir von unserem Vorhaben, ein originales Zitat unseres Meisters einstellen zu wollen, schweren Herzens Abstand nehmen und uns hinsichtlich unserer Leserschaft auf entsprechende Literaturverweise beschränken.
Ihre Rechte zu kränken sei uns ferne!
Wir verbleiben Sie freundlichst grüßend und Ihnen nichtsdestotrotz herzlich für Ihre Mühen dankend.

Ihr B. St. Fjöllfross;
Chefredakteur

Kotofeij K. Bajun
Ressortleiter Kunst und Literatur

Was wollen wir mit dem Landboten? Das, zu dem wir uns in seinem Zeitungskopf bekannten. Ein Erbe der Weltbühne wollen wir sein und das Gedächtnis an unseren geistigen Vater Dr.Kurt Tucholsky wachhalten. Wir geben zu, unser Weg ist nicht jedermanns Weg. Wir gehen keine ausgetretenen Pfade. Konformismus ist unsere Sache nicht. Wir nähern uns der Persönlichkeit Kurt Tucholskys auf unsere Weise und kriechen vor niemandem zu Kreuze. Und darauf sind wir stolz! In ihrer Vorstellung verficht die KTG dasselbe Anliegen – die Verbreitung Tucholsky’schen Gedankengutes. Man kann sich im Sinne der gemeinsamen Sache dabei unterstützen oder man kann sich untereinander abkassieren.
Letzteres aber dürfte nach unserem Verständnis weder im Geiste Tucholskys geschehen, noch halten wir es für sehr klug, eine Front zu zersplittern, die angesichts des übermächtigen Feindes einer Geschlossenheit und engen Schulterschlusses aller Waffenbrüder bedarf, selbst, wenn derer einige nur in der Lage sind, eine Lanze zu schwingen, statt einen Panzer zu fahren.
Doch wir, die wir ohne akademisches Renommee oder pralle Geldkatze einherkommen, haben in dieser Frage nun einmal nicht das letzte Wort. Schade eigentlich!
Doch den anderen wollen wir es auch nicht lassen. Dazu sind wir nun mal zu rechthaberisch und zu eigensinnig.
Lassen wir es doch Herrn Tucholsky! Zitieren dürfen wir ihn nicht, nur nennen. (Noch nicht, denn am 22.Dezember 2005 sieht das alles ganz anders aus.)
Daher verweisen wir abschließend auf einen Artikel, der den Gesellschaftern der KTG nicht unbekannt sein sollte. Mit ihm, mit seinem Artikel lassen wir den Rechtsanwalt Dr.Kurt Tucholsky für uns Partei ergreifen: „Ein einfacher Lehrer“, erschienen 1927!

3. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004