Folter
J.-F. S. Lemarcou
Ein widerliches Thema! Unerquicklich!
Eigentlich wollen wir seine Existenz wegleugnen, ach, nicht mal das.
Denn das Wegleugnen ist doch eine gewisse Beschäftigung und selbst
die wollen wir der Folter nicht zubilligen.
Aber wir werden es wohl müssen. Folter ist eine der Hauptwaffen
des Feindes: der menschlichen Dummheit! Sie ist seit altersher Zwang
des Nackten Affen gegen seinesgleichen. Schmerzhafter, quälender
Zwang – ausgeübt, um den seelischen Widerstand des Gegners
zu brechen, ihm Geheimnisse zu entlocken, ihn zu bewegen, seine Kameraden,
Ideale, Wertvorstellungen zu verraten, ihn zu demütigen und ihm
seine hilf- und machtlose Lage unmißverständlich zu demonstrieren.
Sie kann über lange Zeiträume dosiert angewandt werden, seelisch
wie physisch, sie kann brachial und vernichtend einherkommen und –
sie hinterläßt in jedem Falle Spuren. Tiefe Veränderungen.
Der Mensch ist hinterher nicht mehr derselbe.
Angesichts der beginnenden globalen Auseinandersetzungen, die Samuel
Huntington in seinem berühmten „clash of civilisations“
vorhergesagt hatte, rückte die Beschäftigung mit dieser ekelhaftesten
aller menschlichen Beschäftigungen wieder in das Blickfeld der
breiten Öffentlichkeit. Wir wollen an dieser Stelle anmerken, daß
Folter in keinem einzigen Augenblick der Menschheitsgeschichte nicht
zugegen gewesen wäre.
Nun aber, da „fortschrittliche Demokratien“ aufgeklärter
und mündiger Bürger meinen, diese archaische Form des Miteinanders
im Umgang mit der eigene Spezies überwunden zu haben, erreichen
uns aus Mesopotamien, quasi von der interkulturellen Frontlinie Bilder,
die uns mit Unverständnis reagieren lassen, die wir nicht einzuordnen
vermögen, denen wir ratlos gegenüberstehen.
Stantepede hebt sie an: die unvermeidliche Frage nach der Legitimität
der Folter.
Vorneweg und vielleicht zur Erschütterung unserer Leserschaft:
Wir wissen keine Antwort!
Natürlich lehnt ein jeder von uns diese Form der zwischenmenschlichen
Auseinadersetzung ab. Wir sind Preußen. Und in Preußen ist
die Folter per Dekret abgeschafft worden. Im Kopfe eines echten Preußen
war sie sowieso nie vorhanden. Hört sich gut an, nicht wahr?
Aber wieviel Substanz hat diese Aussage? Wurde sie aus der Geborgenheit
eines noch weitestgehend intakten Gesellschaftssystems getroffen, oder
einer Grenzsituation? Hat einer von uns schon jemals eine Grenzsituation
erlebt? Unser Schriftleiter weiß wie das ist, wenn man den Lauf
einer Maschinenpistole im Genick hat. Aber das war nur eine Polizeikontrolle
in Nordirland. Niemand hatte vor ihn als Geisel zu entführen, mit
dem geplanten Ziel, ihn zu verstümmeln oder umzubringen.
Und selbst diese Erfahrung fehlt dem Rest unseres Haufens. Was denn,
wenn ein durchgeknallter Irrer mir, dem Monsieur Lemarcou, eröffnet,
seine Leute hätten meine Familie in der Gewalt, oder eine Paketbombe
an unsere Redaktion geschickt und ich hätte keine andere Möglichkeit,
lebensrettende Informationen aus ihm herauszupressen als durch Anwendung
existentieller Gewalt? Würde da in mir, einem Hugenotten, ein christliches
Ethos obsiegen? Wirklich?
Deshalb fällt es uns schwer, in das allgemeine Getöse einzufallen,
das über die Beteiligten aus jenem Gefängnis zu Bagdad vorbehaltlos
den Stab bricht.
Wo aber aus Lust und Laune gefoltert wird, da erübrigt sich jede
Diskussion. Wie etwa im Falle jener dummen Göre namens Lyndie England,
deren martialische Posen um die Welt gingen. Worum ging es dieser Hilfsamazone?
Jetzt im Nachhinein, da die Welt ihr Antlitz nur noch mit Ekel und Schaudern
zur Kenntnis nimmt, jetzt schreit sie nach Mama und überhaupt:
die bösen Vorgesetzten haben doch befohlen… Dabei waren es
ihre Truppenteile, die im Nürnberg des Jahres 1946 angesichts der
übelsten Verbrechen, über die bis zu jenem Zeitpunkt jemals
gerichtet wurde, festlegten, daß es künftig keinen Befehlsnotstand
mehr gäbe. Zumindest was ausgewiesene Verbrechen gegen die Menschlichkeit
anlangt, deren Rechtswidrigkeit klar erkennbar ist.
Was also geht vor in den Köpfen jener, die von der dussligen Göre
Lyndie England repräsentiert werden? Rache für von Bomben
und Schüssen zerfetzten Kameraden? Die dunkle Seite in uns, die
wohl in einem jeden Menschen unter dem ständigen exorbitanten Druck,
der ständig präsenten Todesangst, wie sie in Kriegseinsätzen
nun mal Alltag sind, hervorbricht? Wollte sie es den islamisch-patriarchalisch
erzogenen „Turbo-Machos“ mal so richtig zeigen, die sich
sonst gegen ihre Frauen so selbstherrlich aufführen und die islamische
Frau wie ein Stück Dreck behandeln? Wollte sie diesen männlichen
Stolz brechen?
Gegenfrage: Was weiß denn eine so retardierte Göre vom Islam
und seinen Lebensgrundsätzen? Was weiß sie, wie sich das
Leben hinter einer islamischen Tür organisiert? Weiß sie
genug, um ein treffsicheres Urteil zu fällen? Ist sie eine ausgewiesen
Orientalistin? Nein, ist sie nicht. Sie ist einfach nur stockedoof.
Stockedoofe Leute haben oft Spaß an der Gewalt. Die muß
keinem bestimmten Ziel folgen. Und wenn doch, so kann man sich im Nachhinein
immer noch eines aus den Fingern saugen.
Kluge Leute, Kenner der Materie, haben selten noch das Verlangen nach
schnellen und pauschalen Urteilen. Noch viel weniger legitimiert sich
aus einem von ihnen getroffenen Urteil eine Rechtfertigung für
brutales Vorgehen. Denn die Ambivalenz, die der Dynamik menschlichen
Handelns innewohnt, rechtfertigt auch immer ein Stück weit das
Gegenteil. Frei in den Handlungen des Henkers ist nur derjenige, der
sich bar jeden ernsthaften Gedankens ans Werk macht.
Und doch… Und doch…
Wieder erhebt sich die Frage: Ja, wenn das FBI damals die Daumenschrauben
angezogen hätte, wären die Türme von Manhattan mit all
den Menschen in und bei ihnen zu retten gewesen? Wenn ja, wäre
das nicht eine hinreichende Rechtfertigung für die Anwendung außergewöhnlicher
Maßnahmen?
Wir wissen es nicht. Wir wissen es nicht.
Sicher, die Türme wären eventuell nicht am 11.September eingestürzt.
Vielleicht ein paar Wochen später. Die Gründe für diesen
rigiden Stadtumbau liegen ja auch ganz woanders. Das an dieser Stelle
zu untersuchen, ist auch nicht Ziel dieses Artikels. Nur insofern, als
sich aus der Betrachtung der Vorgänge von damals ein einziger sicherer
Parameter ergibt, der Gewalt nicht nur rechtfertigt, sondern sogar erfordert:
Wenn sich der Nachbar in den Kopf gesetzt hat, dich unter seinen Willen,
unter seine Anschauung, unter seine Herrschaft zu zwingen – dann
ist Widerstand erlaubt. (Was im übrigen auch nota bene für
die Araber, die Neger und die gesamte Dritte Welt gilt, die die Macht
der amerikanischen und europäischen Konzerne im Nacken haben und
von dieser Macht bis aufs Blut ausgebeutet und geschunden werden.) Gewaltloser
Widerstand, wie ihn Mahatma Gandhi propagierte? Hat was! Kostet aber
unseres Dafürhaltens zu viele Opfer. Und zwar auf der Seite der
Opfer.
Und daher nächste Frage: Wer dämmt die Formen des Widerstandes
ein? Setzt ihm Ziel und Maß? Schlafentzug oder „paar in
die Fresse“? Daumenschrauben, oder chinesische Wasserfolter? Isolationshaft
oder Gehirnwäsche? Was darf es sein? Und wieviel davon? Dann lieber
doch nicht?
Um eine abschließende Antwort sind auch wir verlegen. Selbst unser
Buddhist, der Herr Akinokawa, zuckt verlegen die Schultern. Das paßt
alles nicht rein in seine japanischen Gärten, unter das flirrende
rote Blätterdach japanischen Ahorns. Aber das Problem existiert.
Außerhalb dieser Gärten der Seligen existiert es. Ganz real.
Ganz widerlich real.
Deshalb muß man darüber reden, Denkanstöße geben,
sich gedanklich damit befassen. Und zwar möglichst und fortwährend
mit allen Seiten der Medaille.
Das wollten wir an dieser Stelle tun. Mehr nicht.
Denn – solange Menschen gründlich und unilateral denken,
solange sind sie daran verhindert, mit ihresgleichen Schindluder zu
treiben, zu mißbrauchen und zu foltern. Das wäre doch schon
mal ’was!