Offener Brief an Seine Excellenz,
den Herrn Brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck
Michael L. Hübner
Plaue an der Havel, den 15. September 2004
Herrn Ministerpräsidenten Matthias Platzeck
Heinrich-Mann-Allee 107
D-14473 Potsdam
Lieber Herr Ministerpräsident,
Excellenz!
Heutigen Tages lag in
unserem Redaktionsbriefkasten ein Anschreiben, in dem Sie sich in Hinblick
auf die kommende Wahl zum brandenburgischen Landtag an ihre Landeskinder
wenden, zu denen wir zweifelsohne gehören.
Und so denken wir, es
wäre nur höflich, Ihnen zu antworten.
Wir werden unsere Stimmen
ungültig machen.
Das ist ein für
Demokraten sehr drastischer Schritt - kommt er doch einer Verweigerung
gegenüber der Demokratie gleich. Destruktiv ist dieses Wahlverhalten
ebenfalls - darüber sind wir und völlig im Klaren.
Als amtierender Ministerpräsident
haben sie sicher ein Recht zu erfahren, warum ein Teil der von Ihnen regierten
Bürger so und noch rigoroser reagieren wird.
Das Vertrauen in das
Schönwetter-Wirtschaftssystem Bundesrepublik Deutschland ist bei
uns dahin. Diese Wirtschaftsordnung, die einst auf den Prinzipien einer
kreditgläubigen Nationalökonomie beruhte, ist dem internationalen
Wettbewerb nicht mehr gewachsen. Sie erweist sich zunehmend als reformresistent.
Das Land selbst ist pleite, auch wenn es das laut Grundgesetz nicht sein
darf. Uns droht eine Massenverelendung apokalyptischen Ausmaßes,
denn die sogenannten Reformpakete des Herrn Hartz werden zu einem Kollaps
der Binnennachfrage und damit zu einer bisher nicht dagewesenen Minimierung
des nationalen Steueraufkommens führen.
Das nationale Tafelsilber ist weitestgehend verscherbelt und das einzige,
was der Bundesrepublik geblieben ist, sind nahezu anderthalb Billionen
Euro Schulden. Sekündlich werden es Zweieinhalbtausend mehr. Der
Staat ist absehbar nicht mehr in der Lage, auch nur die rasch anwachsende
Zinslast zu bedienen. Wo soll das enden?
Beim gemeinen Manne sparen? Wer konsumiert dann noch? Woher soll dann
noch die Mehrwertsteuer den öffentlichen Kassen zufließen?
Von anderen Steuern, wie Versicherungssteuern oder Vermögenssteuern,
wollen wir schon gar nicht mehr reden. Wer kann sich noch versichern,
wer hat noch Vermögen? Und wenn er was hat, wer würde die paar
Kröten nicht umgehend vor staatlichem Zugriff schützen?
Aber wie vermeiden, beim gemeinen Manne zu sparen? Er ist der einzige,
der das Geld, was er nicht hat, nicht in Sicherheit zu bringen vermag.
Wem also die Stimme bei
der Landtagswahl geben? Der SPD? Wir waren mal Sozialdemokraten. Aber
Geld zaubern kann diese Partei auch nicht. Sie kann den rasanten Absturz
nur noch begleiten. Die CDU? Um Gottes Willen! Das hieße Bleiplatten
auf die Titanic laden. Die Grünen? Das Gegenteil von Gut ist nicht
böse, sondern gut gemeint. Und die Grünen meinen es mit der
ganzen Welt so verdammt gut… FDP? Klientelvertretung des Kleinbürgertums.
Uneffektiv! Extremisten beider Couleur? Nie und nimmer, gar keine Option!
Wen also? Wir wissen es also nicht.
Wir wissen nur, daß dieses Gemeinwesen Bundesrepublik dem Untergang
entgegentaumelt und wir sehen niemanden, wirklich niemanden, der die beginnende
Agonie einer ganzen Volkswirtschaft auch nur abzubremsen verstünde.
Was das Land braucht, ist ein Schock! Eine Schockwelle, die sich bis ins
Bundeskabinett fortpflanzt und alle sich öffentlich äußernden
Personen zwingt, erst einmal tief Luft zu holen, ehe sie die nächste
hohle und substanzlose Phrase dreschen.
Ehe sie wieder mit vollmundigen Ankündigungen die Menschen verstören
und zur Verzweiflung treiben, die eh schon nichts mehr zuzusetzen haben.
Die Zustände in
unserer Gesellschaft nehmen skurrile Formen an. Sie werden wohl wissen,
verehrter Herr Ministerpräsident, mit welcher unseligen Institution
der Vergangenheit die avisierten 1-Euro-Jobs zu vergleichen sind. Das
ist Beschönigung der Arbeitslosenstatistik und belebt weder die Binnennachfrage
noch das Steueraufkommen.
Es ist unhaltbar, daß hochqualifizierte Endzwanziger teure Jobs
für einen Hungerlohn - wenn überhaupt, im Rahmen einer endlosen
Kette von Praktika machen, weil sie niemand mehr fest einstellt. Es geht
doch auch so! Nein, geht es nicht! Nicht auf Dauer! So etwas kann nicht
gut gehen! Verstehen sie? Hier beschwört maßlose Gier von Einzelnen
und daraus erwachsender Druck auf deren Mitbewerber eine existentielle
Bedrohung von Massen! Was vermag Politik dagegen auszurichten? Wir fragen
Sie!
Einen Schock also brauchen wir, der Gesetzgeber wie Exekutive und nachgeschaltete
Ämter veranlaßt, ihre geplanten Maßnahmen dreimal zu
durchdenken, ehe sie deren Umsetzung in Angriff nehmen. Es muß Vernunft
und Menschlichkeit einkehren in verstaubten deutschen Amtstuben!
Uns ist jede Gewaltanwendung zutiefst zuwider. Abgesehen davon, daß
auch eine Revolution nichts als die alten Verhältnisse im neuen Gewande
brächte.
Wie also einer abgelebten und reformresistenten Demokratie zeigen, daß
man kein Vertrauen mehr in sie setzt?
Es gibt nur den einen Weg, ihr den Rücken zuzukehren. Vielleicht
mobilisiert das dann drohende Chaos konzertierte gesellschaftliche Kräfte
und Bewegungen, die der immer unverhohlener grinsenden Fratze des sich
internationalisierenden Manchester-Kapitals wirkungsvoll die Zähne
zeigen.
Zugegebenermaßen eine vage Hoffnung, aber es ist wenigstens eine
Hoffnung.
Es sind nicht nur neue
Ideen statt unhaltbarer Versprechungen gefordert, es muß ein radikales
Umdenken in breitesten Kreisen der Bevölkerung stattfinden. Und genau
dieses Umdenken wird es nicht geben, solange eine Partei die nächste
ablöst und ansonsten alles beim Alten bleibt.
Möglicherweise werden Sie protestieren und auf Unterschiede in den
Parteiprogrammen verweisen! Mag sein. Wir sagen Ihnen nur, welches Bild
an der Basis ankommt.
Eins noch zum Abschluß:
Uns „Landboten“ betreffen die dramatischen Veränderungen
ganz direkt. Auf unsere Art und Weise versuchen wir am politischen Leben
unserer Heimat zu partizipieren. Nicht sehr effizient, zugegeben! Aber
das ist der Preis für ungeschminkten Nonkonformismus! Aber auch unsere
Stimme wird unter den Schlägen der Rezession bald verstummen müssen.
Was bleibt uns noch? Sollen wir uns zum Stimmvieh degenerieren lassen?
Ist das alles, was wir in einer Gesellschaft noch zu leisten vermögen,
deren Modewort „Einstellungsstop“ zu werden beginnt? Dafür
sind wir uns zu schade.
Sie, verehrter Herr Ministerpräsident,
sind uns ein zutiefst sympathischer, mit Sicherheit integrer und honetter
Mann. Voll guten Willens und großer Tatkraft. Aber Sie werden das
System nicht ändern können.
Eine zweite Legislaturperiode sei Ihnen gegönnt, wir drücken
Ihnen die Daumen. Mehr können wir nicht tun, so, wie auch Sie für
uns nicht mehr zu tun imstande wären.
Wir grüßen
Sie herzlichst
Im Namen des „Preußischen
Landboten“
M. L. Hübner
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