Baaks

zurück zum Landboten

 

Die Bild-Zeitung und die Rechtschreibreform


K. K. Bajun
Wenn dich der Feind lobt, dann hast du ’was verkehrt gemacht, sagt eine alte Weisheit.
Hat uns der Feind gelobt? Nein, soweit sind wir noch nicht.
Aber die Ritterlichkeit gebietet dieses Mal uns, dem Gegner die Achtung nicht zu versagen: denn er hat sich ehrenwert verhalten.
Aus dem Rundfunk erreicht uns die Nachricht, daß der Axel-Springer-Konzern und mit ihm auch das konzerneigene Blatt „Bild“ sowie das große deutsche Nachrichtenmagazin „Spiegel“ zur bewährten Rechtschreibung zurückkehren. Das sind Paukenschläge und wir begrüßen sie. Ob es uns nun paßt oder nicht – diese Medien erreichen einen großen Teil der deutschen Leserschaft und wirken insofern im breitesten Maße edukativ.
Die sogenannte Rechtschreibreform wurde von uns immer als Beitrag zur Sprachverhunzung und als Konzession an die Lernunwilligen und Faulen unter der deutschen Jugend betrachtet. Sie war keineswegs eine Anpassung an moderne Sprachgewohnheiten und die dynamisch Veränderung der Sprache. Sie war ein weiterer Schritt zur Verflachung derselben.
Meckerten wir aus einer konservativen, veränderungsunwilligen Ecke heraus? Wir, die wir ja gut lachen hatten, sind wir doch mit der bewährten Rechtschreibung groß geworden! Und - die wir uns demonstrativ weigerten, den Photographen eine „Fotografie“ anfertigen zu lassen und lieber zum Fernsprecher griffen als zu „telefonieren“ – wir waren doch immerhin auch Enkel einer Rechtschreibreform: nämlich der amtlich verordneten von 1901. Auf einmal wurde der Vereinfachung Tür und Tor geöffnet – ja, ja – Sie lesen richtig, Thüren und Thore gab es fortan nicht mehr und nur der Kaiser behielt sich seinen Thron vor und verbat sich auch fürderhin, auf einen „Tron“ gesetzt zu werden.
Doch die Tendenz hielt an. Die Leute wurden zu faul, sich mit Orthographie und Grammatik zu befassen. Deshalb wurde dieser Trampelpfad in die Rechtschreibung gehauen. Das Gerede von einer Angleichung aller deutschsprachigen Rechtschreibungen über das deutsche Staatsgebiet hinaus ist dummes Zeug. Da hätten die englischen Muttersprachler in aller Welt – die Amerikaner eingeschlossen, aber viel zu tun!
Und das es immer wieder Leute gibt, die sich zwar gern klangvoller Vokabeln aus dem fremdsprachigen Ausland bedienen, ohne im mindesten zu wissen, wie diese korrekt geschrieben werden – diese Erfahrung durften wir in Preußen schon seit der Zuwanderung der Hugenotten und Exilfranzosen machen. Ja, wie war das doch mit dem Portemonnaie, daß von der Friseuse auf dem Chaiselongue abgelegt wurde, weil sie die Gazette mit dem für den Maitre so interessanten Feuilleton vom Postillon entgegennahm? Der Maitre Coiffeur konnte es ja nicht tun, den er war gerade im Comptoir, oder sollten wir sagen: im Bureau beschäftigt?
Lassen wir ihn dort noch eine Weile, denn schlägt er die Zeitung auf, so erfährt der Haarkünstler nur mehr die traurige Wahrheit, daß er hinfort ein Frisör, seine Gehilfin aber eine Frisörin ist. Sein Büro würde widerhallen von seinem Stöhnen, denn er wüßte, an der Simplifizierung der anderen französischen Leihwörter wird noch gewerkelt.
Die Zeit der französischen Sprachmode aber ist vorüber. Gott sei’s geklagt. Denn von den fränkischen Vettern hätten wir noch viel lernen können. Beispielsweise, wie eine französische Akademie, bestehend aus Dichtern und Feingeistern über die Reinheit der Sprache und des Schriftbildes wacht und nicht zuläßt, daß die Franzosen um ihr vielgestaltiges „o“ geprellt werden. Ja sicher: Schreiben Sie doch mal einen Brief nach „Bordo“ (Bordeaux). Da nutzt das auch nichts mehr, daß Sie ihn vorher in „O de Kolondsch“ (Eau de Cologne) getaucht haben. Das schlägt auf Sie zurück, mit der berechenbaren Wucht eines „Foco’schen“ (Foucaultschen) Pendels.
Und es wird Sie vielleicht bis auf die Inseln Albions rüberhauen, wo die Engländer seit der Römerzeit ihr eigenwilliges Schriftbild behaupten. Meinen Sie, die täten tumben deutschen Schülern den Gefallen, es zu vereinfachen, nur damit die englische Sprache, die ja immerhin eine Weltsprache ist, leichter erlernt werden kann? Zumal die Britannier wohl wissen, wie sehr sich Deutsche nach dem letzten Kriege um die Einführung möglichst vieler Anglizismen bemüht haben. In einem Wolfsrudel hätte es genügt, die Rute zwischen die Beine zu klemmen, die Ohren anzulegen und den Hals zu zeigen – der Deutsche Michel hat diese Gesten halt sublimiert…
Zurück aber ins orientierungslose und verunsicherte Deutschland. Angleichung der deutschen Schreibweisen ist also gefordert. Gut! Soll so sein! Lobenswert! Aber, da Deutschland nun mal das Mutterland der deutschen Sprache ist, und mit seiner Masse von etwa achtzig Millionen Menschen hauptsächlich den Gebrauch dieser Sprache repräsentiert, so mögen sich Österreicher und Schweizer, sowie Exildeutsche an die Regeln im Mutterland anpassen, so ihnen danach ist – und nicht umgekehrt! Oder sollen die etwas besseren deutschen Schüler demnächst auf das Abitur verzichten und statt dessen auch eine Matura absolvieren?
Das ist kein Zeichen von deutscher Großmannssucht – es ist eine einfache Milchmädchenrechnung.
Wenn aber Deutschland sich (angeblich) den internationalen Formen zu beugen wünscht, werten wir dies als weiteres Symptom der völlig manisch-depressiven Nationalseele. Letztere trachtet periodisch danach, den Rest der Welt am deutschen Wesen genesen zu lassen und nicht eher Ruhe zu geben, als bis der Kuli in Schanghai und der Bantu-Neger in Afrika einem deutschen Kegelverein beigetreten sind. Und wenn sie das nicht wollen, dann wird schon mal mit einem kleinen Weltkrieg nachgeholfen. Ist der vorüber, und das Reich hat wieder mal kräftig aufs Maul bekommen, dann kommt die multikulturelle Demutswelle, infolge derer sich jetzt alles fremdländischen Kulturen anzudienen hat.
Und da wir gerade bei der Anbiederei sind – die Russen sind ja nun als potentieller Enddarm für einen nicht unwesentlichen Teil der deutschen Bevölkerung weggefallen. Schade eigentlich! Denn bis auf ihre patriotisch durchsetzten Filme standen die Russen wenigstens für einen Hang zur Kultur. Dabei haben sie Beachtliches, ja Staunenswertes geleistet.
Leider kann man ähnliches von den Amerikanern nicht so pauschal behaupten, (deren unter anderem cineastische Ergüsse im allgemeinen alles unterbieten, was Moskaus Studios an Blödsinn eingefallen ist). Also rudert die deutsche Volksseele jetzt mit Macht in Richtung Amerika, um begierig jede Tollheit aufzusaugen, die von dort exkrementiert wird.
Die seit dieser Zeit wie Unkraut in der deutschen Sprachlandschaft wuchernden Idiome und Satzungetüme verraten auf den ersten Blick ihre unselige Abstammung. Das macht uns alles keinen Spaß mehr, oder sollten wir sagen: Wir haben daran keinen Spass! (We have no fun!)?
Nein, das ist nicht die Sprache, in der wir uns zu Hause fühlen. Das ist würdelose Arschkriecherei!
In unseren vorangegangenen Artikeln, die sich mit der Sprache befaßten, wiesen wir mehrmals darauf hin, daß gerade die deutsche Sprache einem gewaltigen Orgelwerk zu vergleichen ist, mit Pedalen und Manualen, Registern und allen möglichen Tonschattierungen. Die „Rechtschreibreform“ war nichts anderes, als ein Zugeständnis an die lernfaulen Schüler und Erwachsenen, denen die Entlarvung ihres Unvermögens gerade noch in einem gewissen Maße peinlich war. Man schaltete einen großen Teil der Register dieser feingestimmten Riesenorgel einfach ab. Spielt doch sowieso keiner mehr drauf! Schaut doch dem Volk aufs Maul, wie die meisten schon heutigen Tages bei Gesprächen untereinander in stammelnde und unmögliche Artikulationsversuche verfallen, sobald sie Konversation zu treiben beabsichtigen! Sie können es nicht mehr – und sie wollen es nicht mehr können. Sie haben die Zeit nicht mehr, sich mit einem ordentlichen Gebrauch der Sprache zu befassen. Nicht einmal dann, wenn sie ihrer Lieblingsbeschäftigung – dem Grillen und Faulenzen – nachhängen.
Der schriftliche Sprachgebrauch muß sich dieser unheilvollen Tendenz anschließen, denn wer zu blöde ist, ordentlich zu sprechen, der hat auch ein Gottverliehenes Anrecht darauf, zum Schreiben zu blöde zu sein. Die weltliche Bestätigung dieses Rechtes war ebenjene „Rechtschreibreform“.
Nur diesmal schien die Kultusministerkonferenz die Rechnung ohne den Wirt gemacht zu haben. Dem Volke schien die Andienerei von oben diesmal doch etwas des Guten zuviel: Die Akzeptanz weiter Kreise der deutschen Gesamtbevölkerung, sowie führender Schriftsteller des Landes war erschreckend gering. Die Politiker, die diese Reform durchgepeitscht haben, fürchten beim Zurückrudern einen Gesichtsverlust und meiden daher ein vielstimmig gefordertes Plebiszit wie der Teufel das Weihwasser.
„Bild“ und „Spiegel“ aber haben die entsprechenden Konsequenzen gezogen: Lustig schmettert das Horn der schweren Kavallerie zum Angriff auf die Arroganz von „oben“. Hurra!
Dieser mutige Schritt ist unserer Ansicht nach eindeutig auf der Haben-Seite beider Gazetten zu verbuchen. Ehre, wem Ehre gebührt!

3. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2004