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Die Hohenzollern in Brandenburg

Zum 22. Juno 2025


B. St. Fjøllfross. München. Für die Hohenzollern sollte der 22. Juno immer ein besonderes Datum sein. An einem 22. Juno nämlich, allerdings nach julianischem Kalender – den gregorianisch-reformierten gab’s erst ab 1582 – überschritt ein Hohenzoller mutmaßlich als Erster seines Hauses die Grenzen der Mark Brandenburg. Das war 1412. Zum Schnupperkurs „Märkische Affairen“ sozusagen ... Vielleicht ahnte dieser Ritter bereits, dass dieses Land einst seine und die Bürde seiner Nachfahren werden sollte.

Ob sich das nun am Diebesgrund in der Neustädtischen Heide zwischen Mahlenzien und Kirchmöser abspielte, oder ob der Ritter über die Via Regia anreiste, sei dahingestellt.

Exakt und auf den Tag genau drei Jahre später bekam dieser Ritter die Mark zu Konstanz als Lehen und als Dankeschön übergeholfen.

Bei dem Ritter handelte sich um den Nürnberger Burggrafen Friedrich VI. von Hohenzollern. Die Nürnberger Burg, eines der unbestrittenen Machtzentren im Reiche, war seit einigen Generationen in der Hand des schwäbischen Adelsgeschlechts. Der Burggraf hoch über der freien Reichsstadt, die einen industriellen und Finanzschwerpunkt bildete, besetzte also eine machtvolle Schlüsselposition und stand seinem Kaiser nahe.

Der Beginn des 15. Jahrhunderts war im Reiche eine turbulente Zeit. In der Mark ging es drunter und drüber. Das Raubritterunwesen grassierte wie eine Seuche. Gemeinsam mit der Pest brachten die adligen Schwerverbrecher die Mark an den Rand der Existenz.

Mächtige Geschlechter wie die Quitzows, Rochows, Bredows, Schulenburgs, Itzenplitz oder die Edlen Gänse zu Putlitz hausten als Warlords und Wegelagerer – sie nutzten das Machtvakuum in der Mark, das seit dem Tode Waldemars des Großen entstanden war, zu ihren eigenen Zwecken.

Die nominellen Herrscher, seien es die Luxemburger unter dem intriganten Gauner Jobst von Mähren oder die Wittelsbacher, die sich auch keinen Deut besser aufführten, waren fern. Die Mark war für sie nicht mehr als eine Schacherware auf internationalem Parkett – ein Pfandgut.

Jedes Pfandgut aber verkörpert einen Wert. Im Falles eines Landes ist es dessen Produktivität und Reichtum. Ein Grundstück in der Berliner Mitte lässt sich nun mal zu einem höheren Batzen Geldes verpfänden, als ein Acker im Hinterhof des Fläming, der noch nicht einmal Bauerwartungsland ist und mit einem Quadratmeterpreis bewertet wird, der nach Pfennigen zählt.

Die Mark hatte Potential. Nicht eben viel – kein Vergleich mit den Regionen entlang des Rheins – aber immerhin soviel, dass der Mark ein Kurhut zugestanden wurde. Das hatte schon etwas zu bedeuten, dass man eine von sieben Stimmen bei der Königswahl besaß.
Zu dem Zeitpunkt aber, als Friedrich VI. seines erfolglosen Feldzugs gegen Rothenburg der Pleite entgegenschipperte, war der märkische Kurhut noch das wertvollste an der gesamten Mark.

Sein Chef, der gerissene Ungarn-Siggi wollte nun mit Macht König und später Kaiser des Heiligen Römischen Reiches werden. Nun hatte der geriebene Sigismund aus dem Luxemburger Hause im Süden – in Ungarn und Serbien – alle Hände voll zu tun, den mächtigen und auf Expansion gebürsteten Sultan Murad II. auszubremsen. Der Kraftkerl und brillante Stratege vom Bosporus schob die Grenzen seines Imperiums sukkzessive nach Europa hinein und ließ bereits erahnen, dass die Osmanen in Zukunft gerne den Goldenen Apfel pflücken wollten, wie sie die Stadt Wien bezeichneten. Den Turbanträgern ging es dabei jedoch nicht nur um den Apfel, sondern gleich um die ganze Streuobstwiese Europa, um im Bilde zu bleiben, zu der Wien für sie lediglich das Einfallstor darstellte.

Der Krönung Siggis stand aber nach des Böhmen-Wenzels Tod Siggis Vetter, der Mähren-Jobst, entgegen, der jedoch – oh Wunder! – kurz nach seiner Nominierung das Zeitliche segnete. Bahn frei für Siggi – der das Reich beinahe handstreichartig übernahm.

Nun wurde es Zeit seinen ebenso treuen wie bankrotten Nürnberger Paladin Fritze Hohenzollern bei Laune zu halten und ein wenig zu entschädigen. Wie aber, wenn man selbst nicht gut bei Kasse ist?

Na ja, man schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe und überantwortet ihm die Mark. „Da schau mal, mein Lieber: Was für ein gesellschaftlicher Aufstieg und gegen einen strammen Obolus verkaufe (nota bene!) ich dir noch meinen mit der Mark verknüpften Kurhut. Also hier hast du die Mark zum Lehen, Fritze und nu – Glück auf!“ Der Mann ist fähig, da wird er ja wohl auch so ein bisschen Insolvenzverwaltung und Firmensanierung können!

Wir können uns vorstellen, dass Fritze nach dem obligatorischen, artigen Dienerchen vor seinem frischgebackenen König in sein Konstanzer Hotelzimmer gerannt ist und – dort angekommen – im Strahl gekotzt und dann in sein Kissen geheult hat.

Du bekommst eine kleine, hübsche Geldbörse – echt Leder, zugegeben – machst sie auf und da stinkt dir die Gülle schon entgegen.

Aber was sollste machen! Fritze biss die Zähne zusammen, borgte sich für wiederum teures Geld beim Deutschen Orden die „Faule Grete“, eine fürchterliche Kanone, die nur zwei, dreimal am Tage abgefeuert werden konnte, weil der mit etlichen Pulversäcken gezündete Schuss die ganze Waffe rotglühend erstrahlen ließ – dann soff er mit Günther dem II., Erzbischof von Magdeburg, noch den ein oder anderen Schoppen und nahm dann gemeinsam mit diesem geistlichen Lunpenhund und Militärführer die märkischen Raubritter in die Zange.

Hänschen von Quitzow höhnte noch von den drei Meter dicken Mauern seiner Burg Plaue, er wolle seine Festen wohl behalten, und wenn es ein Jahr lang Nürnberger Tand regnete. Es regnete aber kein Nürnberger Spielzeug, sondern am 25. Februar 1414 märkische Felssteine ungeheuren Kalibers, abgeschossen aus einer preußischen Kanone mit wahrhaft mauerbrechender Wirkung. Hänschen, sein Bruder Henning und Altknecht Friedrich Schwalbe gaben Fersengeld übers Eis der Havel, wurden von den erzbischöflichen Truppen aufgegriffen und Hansi landete in Calbe a. d. Saale für die nächsten zwei Jahre im Knast.

Sein älterer Bruder Dietrich verreckte entmachtet und einsam in Harbke hinter der Elbe bei der gemeinsamen Schwester Mathilde. Die anderen märkischen Geschlechter hörten den Donner der Faulen Grete und zogen fürs erste die Schwänze ein.

Das war kein endgültiges Aufziehen der weißen Fahne. Nee, die Märker können ganz schön stur sein. 1503 haben sie’s unter der Federführung der beiden Schurken von Lindenberg und von Otterstedt noch mal versucht, als sie dem Kurfürsten Joachim I., Urenkel des Nürnberger Fritzen, an die Tür seines Köpenicker Schlafzimmers pinselten:
„Jochimken, Jochimken, höde di, wo wi di kreegen, do hangen wi di!“

Wir wissen wie das ausging: Joachim ließ den Lindenberg, der vordem sein engster Ratgeber war, wegen überwiesenen Raubritterums aufknüpfen und den Otterstedt vierteilen.

Die Hohenzollern räumten also in der Mark auf. Weil ihnen die Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reiches so am Herzen lag? Blödsinn! Wie wir das bereits erwähnten – der Wert eines Grundstücks bemisst sich nach seiner Produktivität und seiner Handelsbilanz. Wenn es um die Bimbes geht, steckt ihn der eine in seine Tasche und hängt den anderen an den Galgen. Das ist vorteilhafter für den mit der Tasche – weil er dann nicht teilen muss. Für den anderen aber ist diese Art des Ressourcenausgleichs verständlicherweise extrem nachteilig.

Der Nürnberger hatte also den verfluchten Räuberacker zugeteilt bekommen, was ihm als rechtes Danaergeschenk vorgekommen sein mochte. Aber seine Nachfahren und er bissen die Zähne zusammen und machten etwas daraus. Das muss man ihnen lassen:

Die Hohenzollern brachten fürwahr große Persönlichkeiten hervor. Sei es Albrecht Achilles, der Große Kurfürst, Friedrich Wilhelm I., Friedrich der Große … na, und dann hört’s auf! Der Rest ist schamvolles Schweigen.

Man darf jedoch die beiden großen Frauen nicht vergessen, welche in die Hohenzollernfamilie hineingeheiratet hatten: unsere Landesmütter Luise Henriette und die andere Luise.

Die Hohenzollern schmiedeten ihren zugewiesenen Teufelsacker zu einer Großmacht, namentlich taten dies der Große Kurfürst und Friedrich der Große, der dabei allerdings den mühsam zusammengesparten Ärar seines Alten im wahrsten Sinne des Wortes verballerte.

„Großmacht“ heißt übersetzt: „Wir sind wer, wir haben das Sagen und ihr macht, was wir wollen. Sonst kracht’s!“

Für diese Attitüde nun lagen an jedem 22. Juno der verwichenen Jahrhunderte die märkischen Honoratioren vor ihrem Herrschergeschlecht auf dem Bauch und versuchten auf jede nur erdenkliche Art, dessen Stiefel zu küssen und dessen Speichel zu lecken. „Heil dir im Siegeskranz!“

Wenn man sich mit diesem Unfug im eigenen Echoraum lange genug selbst beschallt, dann glaubt man dieser Suada am Ende und nimmt das wirklich für voll.

Die anderen europäischen Völker sahen das etwas differenzierter und stellten in zwei Weltkriegen dem deutschen Volke unter der namensgebenden Führung und späterer – allerdings marginaler – Mitwirkung der Hohenzollern die entsprechende Quittung für dessen Hybris aus.

Nachdem der Weltgenesungs-Willi ins holländische Doorn geflohen war, wurde es ruhiger um den 22. Juni in Deutschland und auch vor allem in der Mark.

Die Kommunisten in der DDR, deren geografischer Bestandteil die Mark ja war, sahen überhaupt keinen Anlass mehr, dieses Tages zu gedenken. Im Gegenteil: Sie versuchten sogar den historischen Namen „Mark“ und deren Geschichte aus dem Gedächtnis der Menschen zu tilgen.

War doch die „Mark“ als territorialer Begriff das Symbol für die frühdeutsch-imperialistischen Expansionsbestrebungen gegen die slawischen Völker schlechthin.

Diese slawischen Völker, aus denen später die Sowjetunion und ein erklecklicher Teil von deren Satelliten hervorging, waren unter diesem Aspekt natürlich sakrosankt. Sic transiet gloria mundi!

Warum wir als märkisches Medienorgan dieses Tages nun gedenken? Nun, weil er viel über das Wesen des Menschen aussagt: Räuber überfallen Unterlegene und klauen deren Land. Dann kriegen sich die Räuber untereinander in die Wolle und bringen das Land an den Rand des Abgrunds. Dann kommt einer, der bringt wieder Ordnung in den Saustall und puscht das ganze Gemeinwesen in eine exponierte, internationale Stellung.

Nun werden alle Yankees begeistert aufbrüllen: „Ja, kennen wir! Das ist exakt unsere Geschichte!“

Aber sicher doch. Nur – in der Mark spielte sie sich eben in umgekehrter Himmelsrichtung ein paar hundert Jahre früher ab. … und ihr Pappnasen habt nichts, aber auch gar nichts daraus gelernt. … wo es doch so einfach gewesen wäre.

Alle Gewalt folgt der Logik der individuellen Habsucht und der Gier. Diese gesellschaftliche Dynamik ist also genauso simpel zu berechnen, wie der Flächeninhalt eines Rechtecks mit bekannten Seitenlängen.

Ein Fehler wird in der Regel erst dann zum Fehler, wenn man ihn wiederholt. Wer sich dessen schuldig macht, ist ein Idiot.

Die Yankees hätten alle Gelegenheit gehabt, aus der Geschichte der Mark zu ihren Gunsten zu lernen. Genug Märker sind in die Staaten ausgewandert und hätten somit heimatgeschichtliches Wissen mitnehmen können. Für den Magdeburger Preußen-General Steuben veranstalten die Yankees seit 1957 sogar noch immer großartige Paraden auf der New Yorker 5th Avenue.

Das hilft aber alles nichts, denn sie sind nun mal kurzsichtige, bildungsresistente, gierige Kretins, die das Militär feiern, weil ihnen der Grips fehlt, Lösungen außerhalb von Drohungen und Gewalt zu suchen und zu finden. Sie starren auf die Flinten – weil ihnen ein 45.er Colt die Mühe des Denkens abnimmt.

Deshalb erinnern wir an den 22. Juno in der Mark. Ja, auch hier war Gewalt ein unabdingbares Mittel zur Durchsetzung vitaler Interessen. Doch Brandenburg, die Mark und auch deren Hohenzollern brachten auch Bravourstücke an Diplomatie zuwege.

Der 22. Juno markiert in der gequälten Mark den Anfang vom Ende der Anarchie. Er ist der Tag Null des Rétablissements, der Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung. Dieses Datum bezeichnet einen Wendepunkt, von dem aus man beide Seiten einer menschengemachten Entwicklung betrachten und analysieren kann. … von dem aus sich lernen lässt – wenn einem das eigene Überleben am Herzen liegt.

31. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003
22.06.2025