Wölfe und Wölfinnen im Schafspelz
Wie eine vorgebliche Demokratiekämpferin den
Feinden der Demokratie in die Karten spielt
Kotofeij K. Bajun. Rathenow. Der
Journalist Michael L. Hübner ist ein begeisterter Skatspieler. Bei einer
mit drei aktiven Spielern besetzten Runde spielen immer zwei gegen einen.
Angenommen der Solospieler wäre ein Feind der Demokratie – Hübner würde
sich weigern, mit der Berufs- und Gewerkschaftskollegin Lühring, ihres
Zeichens Korrespondentin der ver.di-Mitgliederzeitung „publik“, zusammenzuspielen:
Zu sehr hätte er sie im Verdacht – sicher ohne dass sie sich dessen
bewusst sein wird – des Gegners Sache zu begünstigen. Lieber würfe er
sein Blatt auf den Tisch und stellte sich dem braunen Schweinehund im
Duell.
Das Gewerkschaftsorgan publik titelt nämlich in seiner Ausgabe 3.2022
mit der Zeile „Demokratie ist kein Selbstläufer“ und führt aus, ein
Drittel der Deutschen glaubten, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland
in einer Scheinrepublik lebten.
Hier bereits würden wir den ersten redaktionellen Ansatz sehen: Glauben
heißt „nicht wissen“. Liebe Kollegin Gewerkschaftsjournalistin Marion
Lühring! Schreib mal lieber – „Ein Drittel der Deutschen WEIß, dass
wir mit jedem Tag mehr in einer Scheindemokratie leben.“ Das ist das
Drittel, dass hoffentlich zumindest ein Quäntchen weiter zu denken in
der Lage ist als von Zwölf bis Mittag.
Warum sind es in Ostdeutschland gar satte 45 Prozent? Je nun, was läge
näher? Bei den Ostdeutschen liegt die letzte Diktatur erst etwas mehr
als drei Jahrzehnte zurück. Sie haben die Merkmale undemokratischer
Regierungsformen noch ganz gut im Gedächtnis und lassen sich von einer
gleichgeschalteten Propaganda nicht so leicht einlullen. Sie wissen
noch, wie sich das anfühlt, wenn ND, Tribüne, Märkische Volksstimme,
Junge Welt … alle unisono denselben Text ableiern und ein echter Meinungspluralismus
utopisch ist. … gerade so wie in der gegenwärtigen Medienlandschaft
der Bundesrepublik.
Wer etwas anderes in dieser Berichterstattung sieht, wer in ihr noch
demokratische Meinungsvielfalt erkennt, der ist schon nicht mehr nur
naiv, dessen Wahrnehmungsvermögen ist schon jenseits von Gut und Böse.
Der hat seinen objektiven Verstand an der Garderobe abgegeben und sollte
sich beim Gesundheits- und Versorgungsamt die gelbe Armbinde mit den
drei schwarzen Punkten abholen.
Wer nach den ersten hoffnungsvollen Zeilen Frau Lührings noch glauben
sollte, aha, wenigstens in der Gewerkschaft regt sich Kampfgeist für
eine freiheitlich-demokratische Demokratie, wird spätestens in der zweiten
Zeile bitter enttäuscht.
Frau Lühring ist stramm auf Linie! So zitiert sie den ver.di-Sekretär
Ulli Schneeweiß mit den markigen Worten: „Hinter dem Vorwurf der Scheindemokratie
steckt meist die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, wie wir
sie in Deutschland haben.“ Gott meinte es gut mit dir, Ulli, dass er
Dir noch schnell das Wörtchen „meist“ eingab. Denn uns Ulli bespielte
dann im Folgenden rasch die altbekannte Klaviatur, dass die angeblichen
Vorkämpfer für Demokratie nämlich allesamt verkappte Nazis seien, die
nur die demokratischen Instrumente zum eigenen Machterwerb missbrauchen
wollten.
Stellt den Preußischen Landboten in die Naziecke, Marion und Ulli, und
wir sagen euch die Wacht am Rhein an! Dann ist Land unter, Holland in
Not und Polen offen! Das wäre die ultimative Beleidigung! Platziert
uns am grenzdebilen Stammtisch – und wir ziehen blank!
Das ist eine so dümmliche, plakative, pauschalisierende, hirnrissige
Frechheit, die uns genau aus dem infamen Werkzeugkasten der Demagogie
bekannt ist: Just denjenigen wird Demokratiefeindlichkeit in Bausch
und Bogen unterstellt, welche sich mit einem aufrechten demokratischen
Herzen und Verstand gegen Mainstream-Propaganda und Gleichschaltung
wehren und noch ein faktenbasiertes Kontra geben.
Nicht mit uns die Nazikeule! Wagt es euch nicht! Die Totengräber der
Demokratie sind diejenigen, die undifferenziert mit den Wölfen heulen
und die Unverfrorenheit besitzen, dies auch der breiten Masse abzufordern,
die sie zu einer Herde von Jasagern und Mitläufern deklassieren wollen.
„Wir sind die Guten – wer gegen uns ist, das sind die Bösen!“ Das ist
Jakobinertum. Das ist Väterchen Stalin. Das sind Goebbels und Konsorten.
Das ist Lukaschenko. Das ist Walter „Zicke“ Ulbricht! Und denen überlassen
wir unsere freiheitliche, bunte, pluralistische Demokratie nur über
unsere toten, kalten Körper und wir versprechen allen Feinden dieser
Demokratie: Unsere Wunden findet ihr vorn!
Und wenn ihr uns mit der Renegatenkeule kommt, die den übelsten Feind
immer in den eigenen Reihen verortet und womit bereits der Röhm-Putsch
und die kommunistischen Schauprozesse gefüttert wurden, das retournieren
wir euch mit einem Rückhandslice aber präzise auf die Linie. Den Ball
kriegt ihr nicht! Da müsstet ihr ausgeschlafener sein. Wir kennen im
Gegensatz zu euch Diktaturen von innen. Ihr reicht nicht mal ansatzweise
aus, uns schulmeistern zu wollen.
Demokratische Entscheidungen leben von Mehrheiten, die im Austausch
mit Argumenten erstritten und erkämpft werden müssen, Kollege Schneeweiß,
Kollegin Lühring.
Nicht von Verlagsleitungen herabdiktiert werden – und der Kollege Hübner
ist Journalist und Chefredakteur a. D., der von sich aus seinen Job
an den Nagel gehängt hat, weil er sich zu schade war, zur Tintennutte
degradiert zu werden. Der das Anliegen kleiner Leute verteidigt hat
gegen Behördenwillkür, die ihr ökonomisches Interesse über Anstand und
Moral setzte und eine faire Berichterstattung mit ökonomischem Druck
auf das Verlagshaus verhindern wollten.
Auch die Neinsager zu der regierungsseitig verordneten Corona-Politik
– die von diesen beiden Kollegen samt und sonders als radikalisierte
„Corona-Leugner“ diffamiert wurden – hatten oft vernünftige Argumente,
über deren Tragfähigkeit die kommenden Jahre entscheiden werden. Wenn
die recht behalten sollten, dann sind wir heute schon auf das Rechtfertigungsgestammel
der Verantwortlichen gespannt. Nein, sind wir nicht! Wir wissen, was
dann kommt. Es ist seit Nürnberg und Den Haag immer dasselbe:
„1.) Notlage. 2.) … akuten Schaden abwenden 3.) akuter Handlungsbedarf
4.) Alternativlosigkeit 5.) die sich zwischen Volk und Regierung gegenseitig
hochschaukelnde Erwartungs- und Erfüllungsdynamik 6.) Na, was hätten
Sie den in unserer Lage gemacht? Hinterher hat man alle Zeit der Welt
… bla, bla, bla …“
Aber die ungeheure Angst, die in der Bevölkerung aufgebaut wurde, als
handele es sich um den schwarzen Tod, Ebola oder das englische Fieber
… gerade angesteckt, drei Stunden später bereits tot – der Hass, der
gegen Impfskeptiker und -verweigerer geschürt wurde, die altbekannte
Volksschädlingsliturgie aus den dunkelsten Jahren der deutschen Geschichte,
das ganze ekelhafte Apartheid-Programm …“ ne, also komm‘se! So schlimm
war das ja nun auch wieder nicht. Jetzt übertreiben Se aber jewaltich!
Nu bleiben Se man aber uff’m Teppich und lassen Se die Kirche im Dorf!“
…
Der Ukraine-Krieg – grauenvoll wie er ist – aber das hysterische Gebälfer
soll jede Frage übertönen, welche Rolle die Amerikaner mit ihren ureigenen
Interessen im Gerangel mit Russland als Weltmacht spielen. Nicht zu
Wort sollen diejenigen kommen, die sich von der eigenen Regierung abwenden,
weil diese nur noch die Rolle eines willen- und hilflosen Aftervasallen
der Yankees gibt, anstatt ihre deutsche Trumpfkarte auszuspielen und
abseits von Washington zwischen dem Kreml und Kiew zu vermitteln. Wohl
wissend, worum es in diesem Konflikt wirklich geht.
Niemand stellt die Frage, wieviel ukrainische Kriegsflüchtlinge von
den U.S.A. aufgenommen wurden. Niemand stellt die Rolle der U.S.A. in
Vietnam, in Serbien, im Irak, in Libyen … in Frage.
Wo wurden amerikanischen Staatsbürgern vorsorglich von den Sparkassen
und Kreditinstituten die Konten gesperrt, wie heute einfachen in Deutschland
lebenden und arbeitenden Russen – weil man sie in Kollektivhaftung für
Guantanamo und Trump nimmt?
Wo werden in arschkriecherischer Manier vom Einzelhandel und von den
großen Einkäufern amerikanische Waren boykottiert, Vermögen amerikanischer
Milliardäre eingefroren etc.? Wo?
Diese verdammte bigotte Heuchelei und Doppelzüngigkeit ist einfach nur
noch widerlich und ein Markenzeichen von autokratischem Gebaren – also
ein antipodes Verhaltensmuster zu jeder Demokratie. Demokratie – das
waren die Protestmärsche gegen den Shah-en-Shah Reza Pahlewi in Berlin
und gegen den Nato-Doppelbeschluss mit der Stationierung der Pershing
II. Da funktionierte Demokratie noch in der Bundesrepublik. Die Vierte
Gewalt war noch eine Säule der Demokratie. Heute wälzt sie sich bis
auf ganz wenige Ausnahmen in einem unwürdigen Devotismus vor Berlin
im Staub!
Solche Artikel wie der von Frau Lühring spielen den demokratiefeindlichen
Erzganoven wirklich in die Tasche, weil die polarisierende Einheitspr0paganda
niemanden mehr zum Diskurs einlädt, weil sie kluge Leute abstößt, weil
diese selbstständig Denkenden und mündigen Bürger sich im Einheitsbrei
der Volksgemeinschaft nicht mehr wiederfinden wollen, weil Frau Lühring
verurteilt, weil ihr Text die letzten verbliebenden ehrlichen und aufrechten
Demokraten einfach nur noch anödet.
Frau Lühring ist ein Teil des Arbeitskollektivs, welches die Frontgräben
und damit die Spaltung der Gesellschaft vertieft und den Stacheldraht
ausrollt. Solche Beiträge ringen nicht um die Verteidigung der Demokratie,
sie helfen sie zu Grabe zu tragen. Den Sinn des genialen, den Grundgedanken
jeder echten Demokratie fassenden Bonmots, das Frau Hall Voltaire in
den Mund schob: „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben
dafür, dass Sie sie sagen dürfen!“, den hat Kollegin Lühring anscheinend
nicht erfasst.
Dieser Aufsatz liest sich seinem Tenor in etwa so: „Wir haben die Lufthoheit
über die einzig wahren Glaubensdogmen und Diskussionen sind nur noch
erwünscht, wenn sie zu unsren Gunsten enden. In meinem Reich herrscht
Freiheit, brüllte der Löwe: Bei mir kann jeder sagen und tun, was ICH
will!“ Ist das wirklich die Quintessen von Frau Lührings schöner neuer
Welt? Die anderen, die mit dieser Attitüde nicht d’accord gehen, sind
Sachbeschädiger, Übergriffige und Morddrohende, Extremisten, Hochverräter,
Königsmörder, Attentäter …? Wirklich? Sankt Max Liebermann, auch uns
dreht sich der Magen um!
Wenn fünfundvierzig Prozent der Ostdeutschen glauben, dass das gegenwärtige,
von Lobbyismus und neofeudal agierenden Eliten geschwächte parlamentarische
System der Bundesrepublik in eine Scheindemokratie abzudriften beginnt,
dann könnte darin ein Hoffnungsschimmer liegen. Ex oriente lux! Vielleicht
liegt bei denen, die nicht so abgrundtief dämlich sind, sich nur PEGIDA,
Höcke, von Storch und Kabelitz in die Arme zu werfen, weil sie damit
den etablierten und in ihren Strukturen verkrusteten Selbstbefriedigern
auf der politischen Bühne und ihren willfährigen Handlangern bei den
Medien eins auswischen wollen oder im schlimmsten Falle gar in der Geschichte
zum wiederholten Male den Plattitüden der ultrarechten Demagogen auf
den Leim gehen, die Kraft zu einer überfälligen Reform des deutschen
Parlamentarismus.
Wir reden nicht von Volksabstimmungen. Wir haben unseren Gustave Le
Bon gelesen. Da sei der liebe Gott davor! Aber schon ein Verbot des
Lobbyismus und eine Abkehr vom Fraktionszwang würde schon viel bewirken.
Die Abgeordneten müssen wieder – wie es einst in der Paulskirche intendiert
war – nur dem Volke und ihrem Gewissen verpflichtet sein.
Die Dinge liegen bereits im Argen, wenn das Volk als nomineller Souverän
auch nur den Eindruck bekommt, wieder zum Vierjahres-Turnus-Stimmvieh
degradiert zu werden. Die Frage nach allem wahren Wissen ist die Frage
nach dem „WARUM?“, Kollegin Lühring! Nicht gewusst? Nein?
Das ist ja mal eine echte Bildunglücke! Talleyrand nicht gelesen, Hideyoshi
nicht begriffen? Montesquieu und Rosa Luxemburg nicht verstanden? Zuerst
schaut man, warum der politisch Andersdenkende so denkt, wie er denkt.
Man versucht zu verstehen. Man hört zu. Man hinterfragt. Dann beleuchtet
man die eigene Meinung kritisch und erst danach begibt man sich in einen
offenen Diskurs der pari aus reden UND ZUHÖREN besteht, Kollegin Lühring!
Das ist ein Grundpfeiler einer pluralistischen Demokratie! ZUHÖREN steht
dabei an erster Stelle und nicht pauschalisierte Verurteilungen, Ausgrenzungen
und platte Hetze.
Auf Seite 2 des Gewerkschaftsorgans ist eine wunderbare Karikatur abgebildet:
Da sitzt eine Katze auf einem Managersessel und spricht in ihren Telefonhörer:
„Unsere Klimaziele? Da verbinde ich Sie mal mit unserer Marketingabteilung!“
Bravo! Das ist ein grandioses Lehrbuchbeispiel, wie ein demokratischer
Gewerkschafter wirklich publizieren sollte. Lernen Sie vom Kollegen
Karikaturisten, Kollegin Lühring und ersetzen Sie das Wort „Klimaziele“
einfach nur durch „Demokratieverständnis“! Und haben Sie keine Bange:
Ihr nächster Gehaltszettel ist sicher!
So wie es derjenige des Kollegen Chefredakteurs a. D. Hübner auch gewesen
wäre, hätte der bloß nicht so viel Muffensausen vor seinem Badezimmerspiegel
gehabt, in den zu schauen Rasierens halber nun mal leider kaum zu vermeiden
ist. (Deswegen übrigens atmete der Kollege Chefredakteur a. D. Hübner
auch zweimal beim Ministerium für Staatssicherheit gesiebte Luft, weil
er schon damals an diesem freiheitlich-demokratischen Syndrom litt.)
Also gute Besserung und Glück auf, Kollegin Lühring!
Und besuchen Sie ihn mal bei seinem dritten Knastaufenthalt, wenn es
Ihnen gemeinsam mit den neojacobinischen Weltverbesserwissern gelungen
ist, auch die Berliner Republik nach dem Vorbild Warschaus und Budapests
zu begraben. Ein höhnisches Lächeln ob seiner misslichen Lage wird er
Ihnen dann großherzig zugestehen! Er ist und bleibt eben ein unverbesserlicher,
toleranter Demokrat!