Hammer
und Sichel
Kotofeij K. Bajun. Brandenburg
an der Havel. An den Landboten
wurde die Frage herangetragen, wie sich das internationale Symbol des
Kommunismus, Hammer und Sichel, welches seine Titelseite abschließt,
mit dem eisernen Bekenntnis des Preußischen Landboten zu einer freiheitlichen
Demokratie verträgt. Es handelt sich also offenkundig um ein Paradoxon,
was nach einer Erklärung verlangt.
Wir verstehen die Fragenden in jeglicher Hinsicht. Es würde doch auf
einen Menschen, der mit demokratischen Werten aufge- und verwachsen
ist, ähnlich befremdlich wirken, wenn eine Gazette, welche für Freiheit
und Demokratie kämpft, ein Hakenkreuz auf ihrer Titelseite darstellte.
Damit wäre per se jede demokratische Ambition ad absurdum geführt und
es hülfe auch nichts, sich auf etwaige „Errungenschaften“ wie die Veranstaltungen
von „Kraft durch Freude“ oder die Einführung der Steuerklassen zu berufen.
War die Sowjetunion als Mutterland von Hammer und Sichel auch nur eine
Spur demokratischer und freiheitlicher organisiert als das Reich des
Bösen? Mitnichten!
Ein Himmler, ein Schellenberg, ein Heydrich fanden ihre personellen
Entsprechungen in Lumpen wie Jagoda und Jeschow und Blochin; Freisler
und Wyschinski hätten eineiige Zwillinge sein können und den einfachen
Opfern dieser brutalen und menschenverachtenden Systeme konnte es im
Augenblick ihres sinnlosen und grausamen Todes egal sein, ob sie ihr
einziges Leben verloren, weil sie Juden oder Zigeuner waren oder weil
sie von NKWD-Schergen wahllos aufgegriffen wurden, nur weil der Rayon-Chef
der Tscheka Planzahlen zu erfüllen hatte, wie viele „Klassenfeinde und
Agenten des Feindes“ in seinem Machtbereich monatlich zu liquidieren
waren.
Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Lebensbedingungen im Lager von
Workuta denen in Sachsenhausen oder Buchenwald vorzuziehen waren.
Wenn man argumentiert, dass die industrielle Massenvernichtung menschlichen
Lebens aus rassischen oder ethnischen Gründen ein Alleinstellungsmerkmal
des Nationalsozialismus war, dann mag das stimmen. Die massenweise Vernichtung
menschlichen Lebens bei den Großprojekten der Sowjetunion wie dem Bau
des Wolga-Don-Kanals, die Erschließung Sibiriens oder durch die von
der Zwangskollektivierung und der „Kulaken“-Jagd verursachten katastrophalen
Hungersnot kommt der nationalsozialistischen Mordmaschinerie bereits
verdächtig nah.
Von den chinesischen Exzessen der Kulturrevolution und ihren von Mao
angeordneten Verrücktheiten wollen wir hier gar nicht erst anfangen.
Das würde dann jeglichen Rahmen sprengen und auch die perversesten Vertreter
eines wie auch immer verstandenen „Kommunismus“ ,Pol Pot und Ieng Sary,
Ceaușescu und Kim reichten an und für sich aus, den kommunistischen
Gedanken für alle Zeiten zu diskreditieren.
Wenig wäre einer Apologese gedient, versuchte man verzweifelt, die Idee
von diesen Monstern zu trennen.
Dennoch tun wir es, wohl wissend, dass der Kommunismus eine rettungslos
verlorene Utopie ist. Das Bonmot „Wer mit 18 Jahren kein Kommunist ist,
hat kein Herz. Wer es mit 40 Jahren noch immer ist, hat keinen Verstand“,
ist durchaus zutreffend.
Haben wir Verstand? Leider nicht im ausreichenden Maße. Nein, wir hängen
noch immer der Idee einer Gesellschaftsordnung an, in welcher die Ausbeutung
des Menschen durch den Menschen Vergangenheit geworden ist. Der irrwitzigen
Hoffnung, dass die Menschheit einen Weg findet, die Mikrobe der Menschlichen
Dummheit in Schach zu halten, pathologischen Charakteren jeden – auch
den demokratischen – Weg zur Macht zu versperren und endlich das Gute,
das durchaus zum Potential des Nackten Affen zu zählen ist, obsiegen
zu lassen. Mitmenschlichkeit und Humanismus, Achtung und Respekt vor
der Kreatur und der Schöpfung – welche bereits der bloße Selbsterhaltungstrieb
befehlen sollten – und Fairness im Umgang miteinander.
Wir sind keine Narren, keine Lukians, Campanellas, Morus‘, Cyranos oder
Marx‘ … Wir wissen um die utopische Natur unseres Traumes. Es ist uns
auch bewusst, dass eine solche Demokratie nicht das christliche Paradies
wäre, sondern in all ihrer Wehrhaftigkeit auch unbarmherzig die Zähne
denen gegenüber zu zeigen hätte, welche ihre Prinzipien aus eigennützigen
Motiven heraus missachten.
Sollte der Menschheit in der Epoche der zu Ende gehenden Rohstoffe und
Energieressourcen noch so viel Zeit bleiben, sich zu diesem Wagnis eines
fundamentalen Paradigmenwechsels aufzumachen, bevor sie sich in finalen
Verteilungskämpfen in die Brutalität der Steinzeit zurückbombt, dann
wären Hammer und Sichel nicht die schlechtesten Symbole für einen Neubeginn,
auch wenn das Blut von hunderten Millionen unschuldiger Opfer an ihren
Stielen heruntertropft.
Warum? Weil sie etwas Wesentliches verkörpern, nämlich den Beginn der
Wertschöpfung und damit die Sicherstellung einer realen Existenz. Das
unterscheidet sie vom mörderischen Hakenkreuz. Hammer, Zirkel und Ährenkranz
hätten diese Symbolik noch informativer bedient. Gegen sie aber spricht,
dass sie außerhalb der DDR kaum jemandem ein Begriff sind und dass sie
in ihrer Gestaltung zu komplex und damit zu kompliziert sind, während
Hammer und Sichel in Köpfen von Milliarden von Menschen eine wie auch
immer geartete Präsenz verteidigen.
Des Preußischen Landboten Herz schlägt links. Es schlägt auf der Seite
aller einfachen, ehrlich und hart arbeitenden Menschen, welche die Arbeit
und die Mühen der anderen schätzen, egal welchen Landes diese anderen
entstammen, egal welches Aussehen ihnen das Schicksal zugewiesen hat.
Dieser proletarische Internationalismus als Antithese zur seelenlosen
und brutalen Akkumulation von irrealem und von keiner Wertschöpfungskette
gedecktem Kapital, welches die wenigen, die es für sich beanspruchen
dürfen, nicht glücklich macht, dafür aber Milliarden Menschen und Kreaturen
in unbeschreibliches Elend stürzt, wird nach unserem Verständnis am
besten durch Hammer und Sichel und – ja auch durch den Roten Stern auf
dem Spasskij-Turm repräsentiert. Weil es zumindest ein Versuch in die
Richtung zu einer besseren Welt war – auch wenn dieser elend gescheitert
ist.
Und weil Hammer und Sichel dem entseelten amerikanischen Raubtierkapitalismus
als einzige Supermacht Kontra gaben, Paroli boten und einen Gegenentwurf
präsentierten, an welchem sich die „freie Welt“ abzuarbeiten gezwungen
sah, solange die Rote Fahne noch über den Dächern des Kreml wehte.
Das ist der Grund, warum der Preußische Landbote nicht auf Hammer und
Sichel verzichtet. Auf den monströsen Rest, der von dieser Idee übrigblieb
hingegen – schon!