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Melnyk und sein Tanzbär Deutschland


Michael L. Hübner. Havelsee. Andrij Melnyk ist Botschafter. Botschafter sind Diplomaten. Diplomaten sind Leute, die das Repertoire der leisen Untertöne beherrschen, das auszudrücken vermögen, was sie erreichen wollen, indem sie es gerade nicht sagen und die vor allem das Gegenüber nie das Gesicht verlieren lassen. Die anderen sind Generäle.

Andrij Melnyk ist so ein General – nur eben ohne Uniform. Im diplomatischen Korps ist er ein Fremdkörper. Doch das hat man von Seiten der Regierung in Berlin noch nicht erkannt. Sonst hätte man ihn bei den ersten diplomatischen Affronts bereits ausweisen müssen.

In jedem Falle aber ist Melnyk ein gewiefter Kopf, der sehr schnell und sehr präzise erkannt hat, dass die deutsche Bundesregierung bereits in die eigene ideologische Falle getappt ist, welche sie mit ihrer Kriegspropaganda dem doofen deutschen Michel gestellt hat. Diesen hat sie nämlich bereits so auf den Maidan eingenordet, dass sie sich nun von Melnyk auf der Nase herumtanzen lassen muss, wie es diesem Burschen beliebt. Er spuckt der deutschen Regierung einschließlich des deutschen Bundespräsidenten mitten ins Gesicht.

Man erklärt das deutsche Staatsoberhaupt in Kiew zur unerwünschten Person, bezeichnet deutsche Politiker scharenweise als hilflose Trottel und Idioten und der Regierung bleibt nichts anderes übrig, als grenzdebil zu diesen Ungeheuerlichkeiten zu lächeln und aus einer Position der absoluten Schwäche heraus die Vertreter einer geschlagenen Nation darum anzubetteln, wieder gut zu ihr zu sein. Hernach muss man sich mit fadenscheinigem Gefasel von „Irritationen und Missverständnissen“ abspeisen lassen, was dieser durchsichtigen Farce noch mal eine Extranote an Lächerlichkeit verpasst. Es ist ein Politiker-Massenkriechen nach Canossa – nur dass der deutsche Kaiser Heinrich IV. den Kniefall vom Januar 1077 in einen späteren Sieg über den Papst verwandeln konnte. Gregor VII. hätte sich also auch getrost in Pyrrhus II. umbenennen können. Angesichts der gegenwärtigen Bundesregierung braucht Kiew, das vor allem möglichen bibbert, wenigstens DAS nicht zu fürchten.

Mehr Demütigung ist nicht vorstellbar. Das ist Masochismus in Reinkultur, wie sie nicht einmal der berüchtigte Marquis de Sade hätte ersinnen können. Wenn man rein verfassungsmäßig einem Menschen die Würde nicht nehmen kann – einer Regierung kann man sie nehmen. Melnyk tut es.

Er führt die deutsche Regierung vor den Augen der ganzen Welt wie einen Tanzbären durch die Arena, prügelt auf sie ein, beleidigt bei Maischberger einen der renommiertesten Historiker der Bundesrepublik, krakeelt immer lauter und es findet sich niemand, der aufsteht und sagt: „Halt dein elendes Maul! Und raus mit Dir!“

Melnyk spielt nämlich gnadenlos die Opferkarte. Bei den Yankees hätte er damit keinen Erfolg. Die haben nichts übrig für Opfer. Aber Deutschland bietet für dieses perfide Spiel wirklich alle Voraussetzungen! Die unfassbare Schuld der Nazis, der Wehrmacht, der SS, der Einsatzgruppen wirkt nach von Ewigkeit zu Ewigkeit – und das weiß Melnyk genau.

Deshalb degradiert er Deutschland zu einer melkenden Kuh, zu einem erbarmungswürdigen Kasper, und die Deutschen zu einer Bande hilflos sabbernder Idioten, aus deren Brieftaschen immer noch etwas herauszupressen ist. Es ist eine Demütigung sondergleichen. Der Flurschaden, den dieser Mann anrichtet, ist ungeheuerlich.

Das Blöde ist nur, dass, wenn man der deutschen Presse Glauben schenkt, die Deutschen das auch noch mehrheitlich richtig finden, von einem Systemsprenger wie Melnyk so mit Füßen getreten zu werden. Es sind die nämlichen Deutschen, die seit Kriegsende nicht begriffen haben, dass sie sich mit dem Naziregime und dessen blutigem Erbe in aller Welt bis zum Jüngsten Gericht verhasst gemacht haben und abgrundtief verachtet werden. Sie, die das sehen, was sie sehen wollen, sahen nur immer die verbindlich freundlichen Gesichter im Ausland und begriffen nicht, dass diese aufgesetzte Freundlichkeit nur der D-Mark geschuldet war. Die wahren Ansichten der Völker hinter deren Fassaden wollten die Deutschen nicht zur Kenntnis nehmen.

Jetzt aber bricht sich diese Verachtung unverhohlen Bahn, und zwar sogar durch einen ausländischen Chefdiplomaten. Wir sind gespannt auf seine obligatorischen Memoiren.

Die Deutschen Blindgänger jubelten, als die Yankees 1990 gegen den harten Widerstand der Briten und der Franzosen gemeinsam mit den Russen die Wiedervereinigung durchsetzten. Die Russen hätten auch nicht gewollt. Aber die waren pleite. Die mussten zustimmen.

Doch bewies das amerikanische Engagement damals nur, dass die Yankees weiter denken konnten als von 12 bis mittags. Die Briten und Franzosen nicht. Da brodelte die Volksseele voller Ressentiments, Rachsucht und Unverstand.

Die Amerikaner aber erkannten bereits 1990, wie vorteilhaft ein größeres, ein kompakteres Deutschland ist, welches sich gegen den Moskauer Bären, der zwischen ihnen und den Bodenschätzen Sibiriens steht, auf dem Schachbrett positionieren lässt.

Sie wussten, dass dann die hinter Ostdeutschland liegenden ehemaligen Warschauer-Vertragsstaaten fallen würden wie die Dominosteine. Die Rechnung ging aber sowas von auf!

Die Krux an der Sache ist: Die Amis sind keine Skatspieler. Sie pokern. Und das tun sie maßlos und ohne jegliche Selbstbeschränkung. Ihre Vorausschau endet am Tellerrand. Deshalb wird man auch nie einen Amerikaner in der Weltklasse des Snookers finden, ein Spiel der kleinen Schritte, das aber komplexe und langfristige strategische Planung erfordert, wenn man es denn siegreich bestreiten will.

Deshalb haben sie den Irakkrieg und den Afghanistankrieg in den Sand gesetzt. Deshalb haben sie Libyen zu einer so unberechenbaren Zone verkommen lassen, die noch brandgefährlicher ist, als sie das unter Gaddafi je war. Weil sie nie den Rat begriffen haben, der bereits Alexander dem Großen und Dschingis Khan erteilt worden war, nämlich, dass man ein Reich aus dem Sattel erobern aber nicht aus dem Sattel verwalten könne.

Mit der Wiedervereinigung – soweit reichte es bei den Yankees jedoch – wussten sie: Jetzt haben sie das größere Deutschland exklusiv und nur für sich an der Kette! An dieser Dankesschuld tragen die Deutschen noch länger ab als an ihren Verbrechen während der Naziherrschaft. Es war geradezu ein Glück, dass sich die Briten und Franzosen damals wehrten – damit haben sich diese beiden Nachbarn Deutschlands selbst vom Pokertisch katapultiert. Sie sind raus!

Bedarf es eines Beweises? Am fuchsigsten waren die Amis, als ihnen die Deutschen unter Joschka Fischer die Gefolgschaft im Irak-Krieg verweigerten. Dass ihnen die Polen in blinder Dankbarkeit hinterherhechelten, das galt ihnen im Vergleich zu diesem „Verrat“ wenig. Sie konnten es nicht fassen!

Doch jetzt läuft die „Köter-Nation“, wie sie seit Kurzem ungestraft genannt werden darf, wieder brav bei Fuß an Herrchens Leine. … und kassiert die Tritte, mit denen man gebrochene Hunde zu bedenken pflegt. … und zieht in der ganzen Welt Mitleid und Verachtung auf sich. Unter der Hand wird dieses Mitleid sogar das überwiegen, was der Ukraine derzeit zuteilwird.

Hört man sich Einzelmeinungen auf der Straße an, so würden gefühlte neunzig Prozent diesen Aussagen zustimmen. Nichts davon spiegelt sich in den offiziellen Medien wieder. Das ist übrigens ein weiterer Beweis, dass sich die Vierte Gewalt der ersten bedingungslos untergeordnet hat.

Was aber bedeutet das für Deutschland? Nun, dass wir Herrn Melnyk dankbar sein sollten. Niemand hat uns vorher die Gelegenheit gegeben, so ungeschminkt in den Spiegel unserer eigenen Gegenwart zu schauen, unseren eigenen deformierten Charakter, unsere Verwundbarkeiten, unsere unbewältigten Traumata zu erkennen. Das Volk hat hier nun das erste Mal die reelle Chance, sich selbst zu heilen. Die viel zu späte, aber immerhin vorbildliche Aufarbeitung der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte, war der Anfang. Ein Anfang, der beweist, zu welcher Stärke der anscheinend so geprügelte deutsche Schäferhund noch immer fähig ist.

Uns ist kein Volk auf Erden bekannt, welches Ähnliches leistete, unbeschadet dessen, dass uns aus den Verbrechen der Nazis resultierend der schonungslose Umgang mit dieser Zeit nachgerade geboten war.

Warum also sich nicht auf diese Stärke besinnen und ruhig, aber bestimmt zu einem Melnyk zu sagen: „Bis hierhin und nicht weiter! Wir reden mit Kiew, aber nicht mehr mit dir. Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist! Wir entziehen die die Akkreditierung. Verschwinde!“

Das hätte Deutschland wieder internationale Achtung eingebracht. Deutschland hätte bewiesen, dass es hilft, das aber aus einer Position der Stärke heraus. Es hätte sich – und das wäre der größte denkbare Erfolg gewesen – mit diesem Beharren auf seiner Würde, Stärke und Souveränität für Friedensverhandlungen zwischen Moskau, Kiew und den Rest der Welt empfehlen können.

Wenn dieser Coup geklappt hätte, wenn es dem ehemaligen Aggressor gelungen wäre, in dem Land, in das er einst den Krieg getragen hatte nunmehr den Frieden zu bringen – das wäre der Boule d’or gewesen, der ständige Platz im UN-Sicherheitsrat mit Stimmrecht und allem Pipapo. Zum Segen der Menschheit …

Doch wer keine gesunde Selbstachtung besitzt, der kann auch von anderen keine Achtung und keinen Respekt einfordern.

Deutschland gefällt sich in seinem Devotismus. Es suhlt sich in seiner Demütigung. Es feiert seine weltöffentlich Erniedrigung. Ja, richtig! Es nimmt seine historische Verantwortung, die aus namenloser Schuld erwuchs, nicht wahr wie ein achtungserheischender Charakter, sondern es zelebriert eine unterwürfige Kriecherei und meint, es sei damit getan, den grausamen Krieg in der Ukraine mit Waffen zu perpetuieren.

Ein böses Bonmot sagt, jedes Volk habe die Regierung, die es verdiente. Am Beispiel Deutschlands lässt sich sagen: Stimmt!

27. Volumen
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15.05.2022