Heit mo i ma’m Hund a Freid – oder: Der Masochismus
der Doofen
B. St. Fjøllfross. Rathenow. Auch
die Bajuwaren haben kluge Töchter und Söhne. Das ist gewiss. Und so
kamen sie auf das bitterböse Bonmot: „Heit mo i ma’m Hund a Freid: Erst
dreschi eana die Seel‘ aus’m Leib und dann – hör‘ i auf!“ Es trifft
den Nagel aber sowas von auf den Kopf! So billig kann man die doofen
Hunde der menschlichen Spezies tatsächlich erfreuen – das ist leider
kein Witz.
Dieser Aufsatz speist sich zwar aus einer Quelle, welche fragwürdiger
kaum sein könnte, aber dennoch bei genauerer Betrachtung näheren Hinsehens
wert ist: Twitter – der „Kurznachrichtendienst“, auf dem Millionen von
Schwachköpfen all die Logorrhö absondern, für die selbst ihr Friseur
und der Psychologe kein Ohr mehr haben.
Dort schwafelt also eine nach Friesland zugezogene Frau von ihrem Erlebnis
mit einer hochbetagten friesischen Nachbarin, die das friesische Klischee
von der extremen Maulfaulheit perfekt bedient und der Nachbarin jahrelang
kein Wort, nicht mal eines des Grußes widmet, ihr selbst auf das Klopfen
an der Türe diese nicht öffnet. Diese Nachbarin hat nun einen Apfelbaum
in ihrem Garten zu stehen, dessen Äpfel sie dem Alter geschuldet nicht
mehr selbst zu pflücken vermag.
Das Helfersyndrom der Zugezogenen obsiegt über jeden Verstand. Sie pflückt
die Äpfel ungebeten – denn eine Friesin schuldet es sich und der Welt
niemals um etwas nachzusuchen – und stellt die Kiepen der Nachbarin
vor die Tür. Das geht so Saison für Saison. Eines Tages hängt eine Tüte
mit einigen gepflückten Äpfeln an der Tür der Pflückerin. Sie ist entzückt.
Noch ein paar Jahre später richtet die alte Frau endlich ein paar Worte
an die eifrige Herzensbrecherin: „Der Baum war krank – nun hat er sich
wieder erholt.“ Deutschlands Twitter-Gemeinde stöhnt beseligt auf. Das
kommt einem kollektiven Orgasmus schon verdächtig nahe.
Kein Aas betrachtet die Sache mal völlig nüchtern: Eine alte Frau macht
alles richtig und zwingt allein über ihr stoisches Schweigen ein dummes
Engelchen über deren charakterliche Fehlschaltung ihr eine Arbeit abzunehmen,
die sie alleine nicht mehr bewerkstelligen würde. Die Strategie geht
auf. Klappt nicht immer. Aber wie man sieht, doch so ab und zu. Dann
lässt sie sich herbei, ein paar Pfund Äpfelchen von den gepflückten
Zentnern der um seelische Prügel bettelnden Fähe hinzuwerfen. Deren
Schwanz wedelt bis zum Himmel. Mein Gott, Erbarmen! Das ist an Blödheit
mehr, als unsereiner vertragen kann.
Evolution speist sich von Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen.
Die Umwelt hat sich diametral verändert. Das Paradigma ‚Der gute Mann
denkt an sich selbst zuletzt‘ hat sich in der postmodernen Verblödungs-,
Bespaßungs- und Egozentrikergesellschaft signifikant in sein Gegenteil
verkehrt. Nur der doofe Mann denkt an sich selbst zuletzt. Der Ehrliche
ist – wie Ulrich Wickert schon feststellte – der Dumme.
Sei ein Gentleman und halte einer Dame die Tür auf und versuche ihr
aus dem Mantel zu helfen auf – du bist kein Gentleman mehr, sondern
nur noch ein verdammter, übergriffiger Macho, der eine Frau zu einem
beschützten, unmündigen Puttelchen degradiert.
Versuche einem alten Mann die schwere Aktentasche tragen zu helfen und
du bist kein Mann mehr, der das Alter ehrt, sondern ein arschkriecherischer
Schleimbeutel. Oder wie die poetisch hochbegabten Bajuwaren zu sagen
pflegen: „Wie a Schneckn zia i hinter mia a rotzige Spua – und vor mia
is noch ollens trocken – aber dös rotz i a no zua!"
Glauben Sie nicht? Frau Sabine Katzentraum, Name von der Redaktion geringfügig
geändert, war eine Arzthelferin in einer Brandenburger Rheumapraxis
und unter denen Arzthelferinnen war sie die Beste. Die Allerbeste. Ein
einziges Juwel. Ein Solitär. Sie beherrschte ihr Fach aus dem Effeff,
war ein Organisationsgenie, hatte eine profunde Menschenkenntnis und
eine freche aber unverschämt kluge Brandenburger Schnauze. Wer sie für
seine oder ihre Praxis gewinnen konnte, hatte den Sechser mit Zusatzzahl.
Das schützte sie nicht davor, mitunter dämliche und hundsgemeine Patienten
abfertigen zu müssen, welche meinten das Recht zu haben Frau Katzentraum
behandeln zu müssen, als wäre sie eine armselige Tippse – und selbst
die hat allen Respekt verdient, der einer arbeitenden Dame zusteht.
Frau Katzentraum rang mit den Tränen, ihre Seele war geknickt. Ein Redakteur
des Landboten erzählte ihr von seinem Vater, der ein Onkologe gewesen
war und die traurige Erfahrung gemacht hatte, dass ihm immer wieder
Patienten und deren Angehörige bevorzugt in den Hintern traten, für
die er sich selbigen aufgerissen hatte, aber andere hinwiederum ihm
die Stiefel leckten, welche sie in ihren Hintern spürten. Sie möge das
mit ihrem Doktor absprechen und dem Halunken bei seinem nächsten Besuch
Kontra geben. Gesagt, getan.
Der Doktor stand hinter seiner Arzthelferin. Sei es, weil die Überfrequentierung
der Praxis ihm diesen Luxus der Anständigkeit gestattete, sei es, weil
er über Charakter verfügte, sei es ein Mischung aus beidem – egal –
er hielt ihr die Stange!
Der Strolch kam, versuchte wieder die alte herablassende und beleidigende
Masche, bekam diesmal den Rückhandslice als Netzroller punktuell und
unhaltbar auf die Linie platziert, kreischte nach dem Doktor, bekam
von dem das nächste Päckchen serviert und – flog im hohen Bogen aus
der Praxis.
Ob es die Schmerzen und die Aussichtslosigkeit waren im Umkreis von
100 km anderweitig einen Termin zu bekommen – ehrliches Umdenken und
Reue trauen wir solchen miesen Burschen nicht zu – er kam nach einer
Woche lammfromm mit einem üppig gefüllten Präsentkorb angewackelt, der
explizit Frau Katzentraum zugeeignet war und säuselte die lieblichsten
Schalmeientöne, nur um fortan in der Praxis bleiben zu können. Geht
doch!
Leider ist es so und das ist eine der gefährlichsten Töchter – oder
sollten wir sagen: Metastasen – der Dame Stultitia: die Lust des Nackten
Affen andere zu quälen und sich quälen zu lassen.
Ein kultivierter,
Konflikte auf zivilisiertem und höflichem Wege lösender Umgang miteinander,
ein von vornherein auf Deeskalation angelegter Impetus, das erklärte
Ziel, das Gegenüber um keinen Preis das Gesicht verlieren zu lassen
– all das ist dem Nackten Affen zuwider. Er glaubt tatsächlich, es ginge
ihm besser, wenn er die Leiden, die seinem eigenen unerfüllten oder
verhunzten Lebensweg entspringen, an seine möglichst wehrlosen Nächsten
weitegibt, es brächte ihm Linderung. Das ist der Gipfel des Schwachsinns!
Denn erstens führt ein solches Gebaren selten zum gewünschten Effekt
und zweitens verstärkt es in der Regel den eigenen Leidensdruck nur,
weil der Genosse Newton treffend eines der Grundprinzipien der Natur
beschrieb, als er sagte „actio est reactio“.
Selbst wenn beim Aufprall auf das Gegenüber jenes ein wenig Energie
absorbiert und das Pendel nicht ganz zu seinem Ursprungsort zurückschwingt
– die kinetische Energie, die den Weg retour findet, reicht in aller
Regel um die Pein des Verursachers zu amplifizieren.
Doch das begreifen die wenigsten dieser geistigen Eintagsfliegen. Eben
weil sie es nicht vermögen, über den Augenblick hinauszudenken, also
ein My weiter zu kalkulieren als ein Schwein scheißt.
Und nun haben wir bereits zwei wütende Nackte Affen – der Krieg grüßt
schon in der Ferne!
Warum der Landbote – zumindest verbal – ebenfalls mit Streitaxt und
Vorschlaghammer um sich drischt? Ihr Einwand ist berechtigt. Antwort:
Weil wir auch nicht die Schlauesten sind und uns deshalb hinter Papst
Gregor dem Großen verstecken: „Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht
der Dummheit entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.“
Dazu sagen wir Amen und wissen doch, dass auch wir im Unrecht sind.
Aber Gandhis Saat geht leider auch nur auf Äckern auf, die mit Moral
und Ethos gedüngt sind. In der Wüste wächst nun mal nichts – auch nicht
der Baum der Friedfertigkeit.
Nun haben wir für heute lange genug auf Sie eingedroschen. Jetzt machen
wir Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, die Freude und – hören auf!