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Meister des Sanften Weges
Wolfgang Zuckschwerdt verschafft Dynamo seit Jahrzehnten Weltruf
Sensai Zuckschwerdt Wolfgang san
Akinokawa Michi
Trainer gibt es viele – Meister
nur sehr, sehr wenige. Wolfgang Zuckschwerdt ist ein Meister. Nicht nur
sein siebter Dan (Nanadan) im Judo und der fünfte Dan (Godan) im Sumo
attestieren ihm den ehrenvollen Titel. Es ist der feine Unterschied zwischen
einem Trainer und einem Meister, den Wolfgang Zuckschwerdt seit Jahrzehnten
vorlebt. Der Trainer vermittelt der Sportjugend die Techniken der jeweiligen
Disziplin, der Meister aber lehrt sie die dazugehörige Philosophie. Eine
Philosophie, die dazu taugt eine ganze Biographie zu formen. Deshalb steht
der wahre Meister seinen Schülern nicht selten so nahe wie ein zweiter
Vater. Und so manches Mal ist er auch dessen Ersatz. "Man ist Ausbilder
und Sozialarbeiter in einem" umschreibt es der Weltklasse-Sportler
und Bundestrainer a. D. im Sumo. Dabei gilt es nicht nur, die Sportart
zu weiterzugeben. Darüber hinaus hilft der Meister dem Nachwuchs den eigenen
Weg zu finden. Erst spät kam der 1949 als Sohn des Parduiner Mostereibesitzers
Zuckschwerdt zur Welt gekommene Wolfgang mit dem Sanften Weg (Judo) des
japanischen Meisters Kanō Jigorō san in Berührung. Er stand als Junge
für „Motor Eierkopp“ im Kasten, als ihn mal jemand ansprach, man brauche
für die Schwergewichtsklasse im Judo noch Nachwuchs. Was Judo überhaupt
ist, davon hatte er keinen Schimmer. Das war 1964. Gerade mal 20 Männer
trainierten für den SG Dynamo Brandenburg in der Brecht-Halle, der Höchstgraduierte
war ein Braungurt. Der für's Judo gleichermaßen begnadete wie begeisterte
Wolfgang machte eine Blitzkarriere und war bereits vier Jahre später der
erste Danträger Brandenburgs. 1967, als Blaugurt noch, durfte er nach
Lissabon und kehrte mit einem Vizeeuropameistertitel in der Tasche heim.
Schon begann man sich in den führenden Clubs der DDR für das Talent Zuckschwerdt
zu interessieren, denn internationale Medaillen waren für die DDR eine
der wenigen Möglichkeiten, in der Welt auf sich aufmerksam zu machen.
Dynamo hielt ihn fest und stellte ihn in Berlin als Schlosser im Sportforum
am Weißenseer Weg ein. Schlosser – das hatte er bei Müller und Sohn in
der Gutenbergstraße gelernt. Sowohl die kleine Schlosserei als auch die
Eltern unterstützten den ehrgeizigen Jungen nach Kräften. Die legendären
Bilder eines durch Philadelphia joggenden Rocky Balboa hätte man in Brandenburg
an der Havel bereits ein Jahrzehnt vor Stallones Kino-Saga bewundern können.
Um alle Möglichkeiten des knappen Tages auszunutzen, rannte auch Wolfgang
vom Parduin zur Arbeit und nach Hause. Am Samstag holte ihn der Vater
von der Arbeit ab und fuhr ihn zu den Kämpfen – im Auto wechselte man
die Klamotten. 1973 durfte der Judoka Zuckschwerdt dann zu den Weltmeisterschaften
in Lausanne die DDR-Fahne beim Einmarsch in die Sporthalle tragen. Nur
besaßen die Eidgenossen keine DDR-Fahne und klebte guten Willens und vor
Improvisation sprühend schnell ein Freimaurer-Symbol auf die deutsche
Tricolore. Hammer, Zirkel.. Winkel, Zirkel; Ährenkranz hin oder her, sieht
doch alles gleich aus – die sollten sich mal in Pankow nicht so pingelig
anstellen! Ostberlins Humor hielt sich aber in engen Grenzen: Hätte Fahnenträger
Wolfgang den Fauxpas nicht noch vorher bemerkt, wäre er wohl von Lausanne
direkt nach Bautzen gefahren. Zum Glück aber hatte man immer eine DDR-Flagge
im Gepäck. Zu den Olympischen Spielen 1972 in München, 1976 in Montreal
und 1980 in Moskau, bei denen Wolfgang Zuckschwerdt mit Medaillen hätte
rechnen können, war ihm das Glück jedoch nicht so treu: 1972 lag er mit
einem kaputten Meniskus im Krankenhaus, 1976 trat er mit dem Wissen, dass
seine Mutter lebensbedrohlich erkrankt sei, zu den Qualifikationseinzelkämpfen
an, die er prompt vergeigte. Die Hälfte des Judokampfes wird nun mal im
Kopf entschieden. Der muss frei sein. Bei den Mannschaftskämpfen war die
Mutter außer Gefahr und Wolfgang wieder der Alte. In gewohnter Manier
räumte er die Matte ab – aber da war die Messe schon gesungen. Drei Jahre
vor Moskau zog er sich aus dem aktiven Sport zurück, weil die für 1978
in Barcelona angesetzte Weltmeisterschaft ersatzlos gestrichen wurde.
Es gab Trödel mit der Zulassung der taiwanischen Kämpfer. Peking stänkerte
wegen Nationalchina und so blies man, um allen weiteren Konflikten aus
dem Wege zu gehen, gleich die ganze WM ab. Zuckschwerdt, der sich im Rilagebirge
wie ein Berserker vorbereitet hatte, warf entnervt hin. Schon nach Lyon
konnte er seinerzeit nicht fahren, weil man in Westberlin die Ausstellung
von Einlegepässen verweigerte, die man für die Einreise nach Frankreich
vor der Anerkennung der DDR noch benötigte. Sportler in globalpolitische
Geiselhaft zu nehmen, avancierte ja in Los Angeles und Moskau dann auch
folgerichtig zur olympischen Disziplin. Fortan widmete sich der heute
pensionierte Oberkommissar der Polizei der Ausbildung des Judo-Nachwuchses.
Rastlos leitet er die nach seinem Freund und Mitstreiter benannte Peter-Kammrath-Judo-Ligen
der PSG Dynamo Brandenburg am Neuendorfer Sand. Seine Frau, die Ausnahmesportlerin
und Dreifach-Olympionikin Sandra Köppen-Zuckschwerdt, und er führen die
Brandenburger Dynamo-Judoka und Sumotori zu den großen Turnieren dieser
Welt. Gerade kam die Nationalmannschaft aus Honkong zurück. Bis in den
Kodokan von Tokio, dem Mekka des Welt-Judo, spricht man respektvoll von
Zuckschwerdts Dynamo Brandenburg. Das ist nicht zuletzt das maßgebliche
Verdienst eines echten Meisters aus Brandenburg an der Havel, des Sensei
Zuckschwerdt Wolfgang san. „Wer Angst vorm Fallen hat, der fällt auch“,
lehrt der Kämpfer Zuckschwerdt. Wer durch seine Schule ging, der hat keine
Angst vorm Fallen mehr – der hat den festen Stand gelernt.
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