Sumpf
im Reichstag
Diäten, Zuverdienst und Lobbyismus
B.
St. Fjøllfross
Peer Steinbrück ist ein kluger Mann. Er hat begriffen, wie tief sich
die Kluft zwischen dem Volk und seinen Politikern aufgetan hat. Seit
langem schon schlägt er eine Brücke über diesen Abgrund. Er redet geradeaus.
Er redet so, dass er verstanden wird. Keine Skandale, keine Eskapaden
– eine gerade, ehrliche Haut, gepaart mit großer Kompetenz. Das kommt
an.
Nun setzt er an zum Sprung nach ganz oben. Nicht nur den Seinen ist
klar, dass er es kann. Auch der Gegner wird sichtlich nervös. Und reagiert
mir kurzsichtigen, schäbigen Aktionen. Steinbrück braucht keinen Persilschein
für eine weiße Weste – er hat sie. Nun versuchte man ihm seine Nebeneinkünfte
als Abgeordneter anzukreiden.
Gut – das kann ein Problem sein. Nicht, dass sich Steinbrück etwa fehlverhalten
hätte. Alles ging mit rechten Dingen zu, wurde deklariert, angegeben,
abgerechnet. Auch lehnen wir ab, dass ein Abgeordneter nicht nebenbei
noch außerhalb des Hohen Hauses reden sollte. Er muss es sogar. Seine
Politik muss ja auch von seinen Wählern und Gegnern im Wahlkreis und
im Lande verstanden und mit ihm diskutiert werden können. Nicht nur
in den Ausschüssen soll sich der gute Abgeordnete mit den Argumenten
für und wider eine Sache auseinandersetzen, sondern auch im Gespräch
mit den Bürgern, den Machern vor Ort, den Entscheidungsträgern in der
Provinz. Das alles muss natürlich auch der Qualität des Vortrags entsprechend
honoriert werden.
Es gilt jedoch dabei zu beachten, dass die eigentliche Arbeit des Volksvertreters
nicht auf der Strecke bleibt. Seine Fraktionsarbeit, seine Ausschusstätigkeit,
die Reden in der Bütt, die Anwesenheit während der Plenarsitzungen –
das alles darf nicht unzumutbar leiden.
Doch Steinbrück ist nicht der Mann, der uns diesbezüglich Sorgen macht.
Da gibt's ganz andere Kandidaten.
Was uns beunruhigt, und auch das hat nichts mit dem Bild zu tun, das
wir bis zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Aufsatzes von Steinbrück
haben, ist der Lobbyismus in den deutschen Parlamenten. Lobbyismus ist
Korruption! Das muss man ganz deutlich so sagen und knallhart auf den
Punkt bringen!
Und der Lobbyismus, der bereits den Reichstag im festen Griff hat, degradiert
die Bundesrepublik Deutschland zu einer Bananenrepublik Deutschland.
Wenn der Abgeordnete einen Scheck vom Lobbyisten entgegen nimmt, dann
ist das gefühlt ein Verbrechen. Juristisch ist es das nicht, denn die
Abgeordneten, die ja die Legislative repräsentieren, verhindern seit
Jahren eine Gesetzgebung, die Licht in die Bezugsquellen derer bringt,
die mit ihren Diäten nicht auszukommen meinen. Steinbrück braucht dergleichen
nicht zu fürchten. Trotz seiner enormen Nebeneinkünfte steht er nicht
im Verdacht eine Marionette zahlungskräftiger Klientel aus dem Großkapital
zu sein. Sein Parteigenosse Altkanzler Schröder stünde da schon eher
Modell für den herkunftsvergessenen Sozialdemokraten.
Steinbrück konnte es sich mit einem Lächeln leisten, seine Einkünfte
offen zu legen. Gleich einem Bumerang bissen die von der Leine gelassenen
Hunde alsbald die eigenen Herren. Ein Eigentor im Vorwahlkampfgeplänkel
des deutschen rechten Lagers par excellance.
Wir wünschen uns, dass die Linken unter einem Kanzler Steinbrück den
Weg der Reformierung dieses Missstandes kontinuierlich fortsetzen und
dem opaken Sumpf des Machtmissbrauchs im politischen Tagesgeschäft endlich
austrocknen. Wir würden damit nur beginnen, uns endlich einem europäisch
zivilisierten Standard anzunähern.
Es ist höchste Zeit dafür! Denn der Strapp-Skandal in Bayern führte
der Öffentlichkeit deutlich vor Augen, wie dicht bereits das Unkraut
des Filzes, der Gutsherrenmentalität und der gegenseitigen Durchseuchung
von Politik, Medien und Industrie gewuchert ist. Es fängt an mit harmlosen
Nebeneinkünften von einigen Abgeordneten und es endet in der Retablierung
einer politischen Kaste, die bis auf einige Scheinwahlen keinerlei Erdung
mehr zu ihrem Wählervolk besitzt. Das bedeutet zwangsläufig eine Destabilisierung
der Demokratie. Es führt zu Politikverdrossenheit und Wahlverweigerung,
es führt zu Distanz und Stimmenzuwachs für die extremen Feinde der Demokratie.
Was Steinbrück tat, war absolut richtig und bewundernswert. Aber dabei
darf es nicht bleiben. Es darf nicht so aussehen, als sei dies nur ein
brillanter politischer Schachzug gewesen, ein schnelles und effektives
Kontra ohne jede Nachhaltigkeit. Wir haben es bereits oft gesagt und
wiederholen diese Wahrheit nach Catos Manier: Vertrauen ist der Anfang
von allem – verlorengegangenes Vertrauen der Anfang vom Ende.
Wenn Peer Steinbrück Kanzler ist, sollte er die Offenlegung der Abgeordneten-Nebeneinkünfte
und die Zügelung des Lobbyismus zur Chefsache erklären. Ein würdiges
Feld sich zu profilieren und ein Bild in der Kanzlergalerie zu hinterlassen,
das dem Lincolns kaum nachstehen dürfte. Apropos Lincoln... Senat und
Repräsentantenhaus sollen auf sumpfigem Gelände stehen. Der Boden, auf
dem der Reichstag ruht, ist auch nicht gerade ehern. Sehen wir zu, dass
das nur geologisch zu deuten bleibt.