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Vom
Wesen der Ausrede*
David Katz Doch warum dieser Aufwand? Warum werden missgünstige äußere Einflüsse oder andere Personen bemüht, deren angebliche oder tatsächliche Teilnahme am Geschehen zitiert wird? Die Antwort ist bereits in der Frage enthalten. Es ist dem Menschen immanent, sich selbst permanent in einem möglichst optimalen Licht darzustellen, bar aller Fehler und Schwächen. Dieser Haltung liegt ein evolutionsbiologischer Druck zugrunde, der vom Individuum verlangt, sich selbst so günstig als irgend möglich zu positionieren, um dem eigenen genetischen Material ein Fortkommen zu sichern. Leistungsdefizite aber wirken dieser Absicht entgegen. Sie müssen daher kaschiert werden. Sollte das schlecht möglich sein, weil die Ursachen des Scheiterns allzu offensichtlich sind, dann gilt es, die Last der Verantwortung auf möglichst viele Schultern zu verteilen. So konnte der Kaiser
der Franzosen, Napoleon Bonaparte, der als Feldherrengenie galt, schlechterdings
an dem katastrophalen Ausgang des Russland-Feldzuges schuld sein. Ebenso
wenig konnte man den „russischen Barbaren“ einen militärischen Sieg über
die bewährte Grande Armee zugestehen. Ergo wurde eine dritte Kraft eingeführt,
die beinahe göttlicher, also der menschlichen Gewalt entrückter Natur
ist – das Wetter. Nicht General Michail Illarionowitsch Eben darauf kommt es an: Derjenige, der eine Ausrede benutzt, will sich in aller Regel mit ihr schützen. Er will das Gesicht wahren, über die wahren Ursachen und Hintergründe, die Dynamik des gescheiterten Projekts ein Tuch decken. Dessen Dekoration soll den Betrachter an etwas glauben lassen, was zwar nicht den Tatsachen entspricht, nichtsdestotrotz jedoch entlastenden Charakter besitzt. Dieser Wunsch kann so massive Ausmaße annehmen, dass er sich nicht selten einer rationalen Grundlage zu entziehen beginnt. Sprich – die inhaltliche Substanz der Ausrede beginnt ins Offensichtliche oder gar ins Lächerliche abzugleiten. So erzählte Joachim Kupsch in seinem „Buch Chons“ einst von einem altägyptischen Feldwebel, der einen Gefangenentransport in die Wüste anführte und – um den eintönigen Weg durch die Ödnis kurzweiliger zu gestalten – sein Kommando mit Angebereien aus seiner militärischen Vergangenheit unterhielt. Dabei schwadronierte der Feldwebel von einem Kampf in einem Hohlweg gegen die Syrer, deren er bereits einige Hundert erschlagen hatte. Die Leichenberge türmten sich vor ihm auf und die Syrer mussten mit einem Regiment anrücken, um des Tapferen Herr zu werden. Während der Feldwebel also munter prahlend voranschritt, sah er, wie Kupsch schreibt, „das Grinsen seiner Leute nicht.“ Wie es um das vorgetragene Heldentum des Feldwebels aber wirklich bestellt war, zeigte sich bereits einige Augenblicke später, als der Gefangenentransport einen Hohlweg in der Wüste zu passieren hatte, der für die in ihm hausenden Löwenrudl berüchtigt war. Aus dem Maulhelden wurde blitzartig ein Feigling, der sich hinter seinen Soldaten versteckte und einen „wertlosen“ Gefangenen zur Rekognoszierung des Geländes befahl. Dieses Beispiel aus der Literatur belegt sehr anschaulich die Natur der Ausreden. Als essentieller Teil der verbalen Kommunikation erfüllen sie eine wesentliche Hauptaufgabe der Verständigung mittels Sprache: Der Adressat soll zu seinem Nachteil und zum Vorteil des Sprechers getäuscht, belogen und betrogen werden. Dabei laufen die Bestrebungen dahin, über solche Täuschungsmanöver entstandene Nachteile aufgrund von Minder- oder Fehlleistungen nicht nur zu relativieren, sondern wenn möglich auszugleichen oder im optimalen Fall sogar in ihr Gegenteil zu verkehren. Ebenso wie das Lachen scheint die Ausrede zu den Alleinstellungsmerkmalen der Gattung Homo sapiens zu gehören. Denn sie setzt ein komplexes, in die Zukunft gerichtetes, Interaktion berücksichtigendes und soziodynamisches Denken voraus. Die Täuschung ist auch in der Fauna weit verbreitet, entsprechende Beispiele sogar aus der Flora bekannt. Der Einsatz von Ausreden jedoch, die als präventive Maßnahme bei drohendem Verlust von Achtung und Ansehen instrumentalisiert wird, lässt sich nur beim modernen Menschen beobachten. Gewagt formuliert könnte man die These überlegen, ob es nicht gerade die Ausrede sei, die aus dem Homo sapiens einen Homo politicus macht. Überhaupt bedarf die Ausrede eines gleichwertigen oder aber in der gesellschaftlichen Hierarchie höher stehenden Ansprechpartners und damit der Voraussetzung einer vergemeinschafteten Lebensweise. Ein Bär als Einzelgänger muss sich vor niemandem verantworten, wenn er den Lachs nicht fängt. Er wird in Konsequenz seines Versagens Hunger haben. Die Anwendung einer Ausrede wäre in diesem Falle nicht nur überflüssig sondern nachgerade absurd. Auch der Wolf, der Papagei oder der Schimpanse als Rudeltiere sind verhindert, auf Ausreden zurückzugreifen, da ihre Kommunikation und Planungsfähigkeit noch weit entfernt von dem Niveau sind, an dem sich ein Repertoire an Ausreden als zweckdienlich, rentabel und erfolgversprechend erweisen könnte. Zusammenfassung * Einer Saldrianerin mit beachtenswerten germanistischen Talenten wurde aufgrund häufig vergessener Hausaufgaben im Fache "Deutsch" die Erteilung der Note "6" in Aussicht gestellt. Eine Option, diesem Damoklesschwert zu entgehen, welches im Falle seines Niedersausens erheblichen negativen Einfluss auf die Jahresendnote der Jungschriftstellerin gehabt hätte, bestand in der Abfassung eines Aufsatzes zum Thema "Ausreden". Leztere bezeichnen ein Spezialgebiet der jungen Dame, aus dem sie bei gegebenem Anlass stets reichliche Proben verschiedener Qualität und Güte vorzulegen wusste. Allein - diese besondere Leistung traf weder bei den Lehrern noch im sonstigen Umfeld der Jungfrau auf die erhofft positive Resonanz. Nun ist es eine Sache, auf einem Gebiet mit besonderen Talenten gesegnet oder gestraft zu sein. Die Fähigkeit aber, deren theoretische Grundlagen zu erfassen und überzeugend darlegen zu können, ist nicht unbedingt an das Vorhandensein des Talents geknüpft. So kam es zu einer gewissen Ratlosigkeit, der Herr Katz mit einer kleinen Hilfestellung begegnete: Parallel zu den Gedanken der Saldrianerin entwickelte er seine eigene Ansicht zu diesem Thema in einer kleinen Abhandlung, welche er der Ausarbeitung der Schülerin vergleichend gegenüberstellte. Der Sinn und Zweck dieser Hilfe bestand explicite nicht in der Ausfertigung einer abschreibefähigen Vorlage, sondern in der geistigen Auseinandersetzung mit dem Wesen des zu behandelnden Gegenstands, wovon ein gewisser therapeutischer Effekt zu erhoffen war. B. St. Fjøllfross |
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B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009 01.12.2012 |