Schranke
zu, BUGA tot
Die Wuster Schranken brechen einer Stadt das
Genick
David Katz
Wenn es stimmt, dass Verkehrswege
die Adern einer Kommune sind, dann ist es schlecht bestellt um die Chur-
und Hauptstadt der Mark. Die alten Stodoranen, die von denen Deutschen
Heveller genannt wurden, hatten bei der Anlage ihrer Hauptburg unterhalb
des Harlunger Berges ein geniales Händchen bewiesen. Mütterchen Havel
schlängelt sich buchtenreich durch Sumpf und Sand, einige Inseln bildend
und mit breiten Schilfgürteln maximalen Schutz bietend. Dass ihre Nachfahren
eines Tages exakt die damals durchaus gewünschten, sich heute aber kontraproduktiv
darstellenden Probleme bekämen, in die Stadt hineinzukommen, das ahnten
die Wenden sicher nicht. Wollten sie doch nur ihren Feinden den ungebetenen
Besuch erschweren. Sie waren Profis: Das Konzept ging auf und bewährte
sich - sogar noch tausend Jahre später. Ungebrochen verteidigt „Schrankenburg
an der Havel“ den Ruf einer für Automobilisten beinahe nicht zu stürmenden
Festung, obwohl die Havelmetropole nur etwas mehr als eine preußische
Meile von der Autobahn 2 entfernt liegt und zwei Bundesfernstraßen,
die 1 und die 102, ihre Wege mitten in der Domstadt kreuzen. Erschwert
wird der Zugang zur Dreistadt zusätzlich durch die Bahnlinien, die Brandenburg
an der Havel tangieren und umkreisen und dabei vielfach die Zuwegungen
beschrankt durchschneiden. Da ein Teil dieser Gleise zu den deutschen
Hauptstrecken zählt, benötigt man nicht viel Phantasie, um zu ermessen,
wie dicht gedrängt die Züge auf ihnen rattern, wie oft die Schranken
unten sind und sich die Automobile auf beiden Seiten vor ihnen stauen.
Zwei der extremsten Übergänge, die Altstadt-Bahnhof-Schranken (1969)
und die Potsdamer Schranken (1972) wurden bereits durch großzügige Überführungen
entschärft. Zu DDR-Zeiten, wohlgemerkt! Bis zu drei Stunden, im Mittel
aber eine Stunde stand man vor ihnen, wenn es der Reichsbahn gefiel,
in ihrem Bereich zu rangieren. Gollwitz folgte 2010. Ach, du potenter
bundesrepublikanischer Kapitalismus, der du dir einst laut Egon Bahr
die DDR als Vorgarten zulegen wolltest! Wo ist dein großes Maul? Wo
ist deine Kraft der Umgestaltung? Du warst zumindest an diesen sensiblen
Stellen weniger zu leisten imstande, als die verblichene Zone! So sieht's
aus. Doch immerhin! Wenigstens der Gollwitzer Überflieger wurde gebaut
– eine Schikane weniger auf dem Weg nach Potsdam und Berlin!
Aber Wust! Wust! Das ewige Wust! Der Übergang des Grauens, dessen Fortbestand
nun ein ganzes, großes Einkaufszentrum in den Abgrund reißt. 2006 fragte
der SPD-Landtagsabgeordnete Ralf Holzschuher im brandenburgischen Infrastrukturministerium
nach, wann mit der Erlösung zu rechnen sei. Minister Reinhold Dellmann
stellte das Jahr 2008 in Aussicht. Brandenburg an der Havel wollte sich
schier ausschütten vor Lachen, doch eben dieses Lachen gefror zu einem
schmerzgeplagten Grinsen.
Wäre das Projekt umgesetzt worden – eine zeitgemäße Lösung hätte der
ganzen Stadt einen investitionsfreundlichen Auftrieb gegeben. Vor den
Schranken auf den 1972 gebauten Überflieger zu laufend hätten sich Reichsbahn
und Automobilverkehr nicht mehr in den Hoddern gelegen. Zu spät, zu
spät, viel zu spät für den letzten ICE, der in den End-Neunzigern noch
im Brandenburger Hauptbahnhof hielt. Waren dessen Perrons nicht extra
ICE-tauglich erweitert worden? Kreuzungsfreiheit ist eine der Kernvoraussetzungen
für die Genehmigung einer ICE-Trasse. Davon aber konnte gerade in und
um Brandenburg an der Havel nun wirklich keine Rede sein. Die Route
über Rathenow und Stendal gewann. Die märkische Hauptstadt verlor 2009
zu allem Überfluss auch noch endgültig ihren Flughafen EDUB mit 14-Tonnen.Sartgewichtzulassung
– man begann wieder auf das mittelalterliche Infrastrukturniveau zuzuarbeiten.
„Wir bauen für vorgestern!“, lautete die ungeschriebene Devise. Als
Jörg Vogelsänger, Sukzessor des unseligen Dellmann, das Infrastrukturressort
übernahm, begann die Stimmung der entnervten Brandenburger Bevölkerung
einem Siedepunkt zuzustreben. Denn nichts, aber auch gar nichts hatte
sich getan. Der Westen hatte sich seit zwanzig Jahren als völlig unfähig
erwiesen, ein relativ einfaches Verkehrsproblem zu lösen. Und das auf
einer Straße, die für eine nach Berlin führende Bundesautobahn in diesem
Bereich der wichtigste Bypass schlechthin ist. Just in diese Zeit fiel
der Zuschlag der Havelregion als Nachrücker von Osnabrück für die BUGA
2015. BUGA – o magische vier Buchstaben! Hier nun eröffnet sich ein
florales Feenreich, dass das äußerst negative Image des Pleiten-, Pech-
und Pannenlandes Brandenburg etwas relativieren könnte. Und Brandenburg
hätte es sooo nötig! Wir erinnern uns: Die Chipfabrik Frankfurt/Oder,
der Formel-1-Magnet Lausitzring, die Zeppelinhalle Brandt, der Berlin-Brandenburger
Großflughafen „Willy Brandt“... diese endlose Abfolge von Versagen und
Desaster. 1,5 Millionen Besucher werden zur BUGA 2015 erwartet. Wie
die nach Brandenburg an der Havel hinein oder aus der Stadt hinauskommen
sollen, wird noch sehr interessant zu beobachten sein. Fakt ist, dass
sich in Wust bis 2015 überhaupt nichts mehr tut. Besagter Minister Vogelsänger
verkündete seinem frustrierten Publikum im Brandenburger Bischofshof
im Spätsommer 2012 lediglich, dass er verspreche, die Brandenburger
bis Jahresende zu informieren, für welche Variante der Entschärfung
des kritischsten aller Brandenburger Bahnübergänge man sich nun entschieden
hätte. Dann würde das Übliche folgen: Projektierung, Finanzierung, Planfeststellungsverfahren,
Raumordnungsverfahren, etc. etc. Die Jahre werden ins Land gehen und
das Gebiet rund um die Wuster Schranken hätte für seine Bewohner von
vor tausend Jahren noch immer einen hohen Wiedererkennungswert. Da steht
man nun, die Insassen des letzten Wagens von Osten her buchstabieren
die Leuchtreklame des Einkaufszentrums oder die Schindeln der Dorfkirche
von Wust. Jene, die von Schmerzke her nach Potsdam reisen wollen, kommen
nicht mal auf die 1 , sondern stauen mittlerweile die 102 nach Süden
dicht. Drei Züge rattern durch, schau! Die Schranken öffnen sich! …
für einige Sekunden. Dann wieder für eine Viertelstunde Stillstand:
zwei Güterzüge und ein Personenzug tuckeln in die Gegenrichtung. Es
ist zum Weichwerden. Winter ist's – man hat die Wahl zwischen Erfrieren
oder Ersticken in endlosen Abgasschwaden.
Hurra! Die BUGA kommt. Wenn deren Bilanz gezogen wird, dann muss Farbe
bekannt werden. Geht diese BUGA aus verkehrstechnischen Gründen schief
– dann gnade Gott der armen Havelstadt, dem armen Lande Brandenburg!
Dann ist der Ruf des Versagers ehern in Beton gegossen. Wenn das Gelächter
in der Republik und der Welt verklungen ist, wird kein Investor mehr
etwas mit diesen Pleitiers zu tun haben wollen, die alles, aber auch
wirklich alles mit größtmöglichem Effekt versauen. Dann ist Aus die
Maus! Die Situation nach Südwesten ist ja nicht wesentlich entspannter.
Wer von dort, beispielsweise von der Autobahnabfahrt Wollin kommend,
die BUGA besuchen möchte und das erste Mal auf der Plane-Brücke verzagt,
wo sich Reichsbahn, Fahrräder, Kraftverkehr und Mütterchen Plane treffen,
der wird in kürzester Zeit dermaßen die Schnauze voll haben, lange bevor
er noch den Duft der ersten Blume, den Anblick des erstes Arrangements,
der ersten Rabatte genoss, dass er postwendend umkehren und einen erschütternden
Bericht wieder mit sich in die Heimat nehmen wird.
Gut, denn in der Stadt selbst wäre es schwierig geworden, eine Übernachtung
zu erhaschen. Da ruhen die Süd- und die Ostflanke des Gesundheitsforums
als innerstädtische Brache seit dem Ende der Zwanziger Jahre und harren
ihrer Vollendung zum schon damals projektierten Hotelkomplex. Nazis,
Krieg, Kommunisten, Unfähigkeit... Die Fläche blieb unbebaut und ungenutzt.
Wo sich ein Hotel ebenfalls wunderbar und verführerisch eingepasst hätte,
auf dem Gelände der aufgelassenen Wiemann-Werft nämlich, machten sich
die Stadtwerke breit, deren Palast am nördlichen Stadtausgang nicht
mehr standesgemäß war. Juchhu – Brandenburg an der Havel hat die BUGA!
Das einzig Signifikante, was übrig bleibt, wird die versaute Perspektive
der einmalig schönen Gottfried-Krüger-oder Bauchschmerzenbrücke sein.
Sie bekommt aus förderungspolitischen Gründen einen Begleiter über den
Pumpergraben für Rad- und Rollschuhfahrer, Inlineskater und andere Mobilitätseingeschränkte
verpasst, der ihre Optik nachhaltig so gründlich in Trümmern legt, wie
das die Rote Armee seinerzeit mit dem Neustädtischen Rathaus tat...
Brandenburg an der Havel, arme Perle der Mark – wohin gehst du? Mit
einer versauten BUGA mit Sicherheit in den totalen Absturz – und vor
diesem bewahren dich dann auch keine geschlossenen Schranken in Wust.
Im Gegenteil, im Gegenteil: Sie werden deine Talfahrt sogar noch forcieren.