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Media Markt - Gott, war ich blöd!
oder die moderne Entwertung des Euro

David Katz
Es war einmal eine Zeit, als der kleine Kaufmann an der Ecke und seine Frau - die berühmte Tante Emma - alles daran setzten, ihre Kundschaft ans Geschäft zu binden. Man bediente freundlich bis devot, man schrieb an, man brachte den Einkauf nach Hause. Man warb - aber dezent. Man hielt sich etwas auf sich zugute. Das ist lange her. Die Saurier waren gerade ausgestorben und Deutschland hatte noch einen Kaiser. Dann führte das Reich mit seinen Nachbarn Krieg, worunter auch die nationale Verkaufskultur zu leiden begann. Neue Gesetze beherrschten den Markt, wie die Erste Schwarzmarktregel: Was du heut' nicht kannst besorgen, das verschieben andere morgen. Der Umgangston wurde rauer. Die Werbung aber wurde noch leiser. Denn die Polizei hatte auch gute Ohren.

Nach dem Kriege begann man in Deutschland auf beiden Ufern der Elbe mit zwei verschiedenen gesellschaftlichen Experimenten. Das östliche war dabei das interessanteste: Hier sollte allen alles gehören. Das gab es vorher noch nicht. Doch das war nicht das einzige, was es nicht gab. Jede Menge Waren des täglichen oder Sonderbedarfs gab es ebenfalls nicht und nur der Mangel gehörte wirklich allen. Allen? Nein, das ist doch Blödsinn! Wenn die Verkäuferin oder der KFZ-Meister fragten: "Wes(t)wegen sind 'sen hier?", oder "Forum geht's denn?" und man wußte die richtige Antwort, so zum Beispiel: "Zwanzig West!" oder "Fuffzich in Forum!", dann bekam man in aller Regel, was man wollte. Es war ja fast alles vorhanden. Nur eben nie in ausreichender Menge.

Für diejenigen, die nicht die richtige Antwort wussten und auch sonst nichts Adäquates zu verhandeln hatten, litt die ihnen entgegengebrachte Verkaufskultur. "Ham wa nich!" blaffte die Verkäuferin gereizt, weil man sie gerade unziemlich aus dem Gespräch mit ihrer Kollegin gerissen hatte. In dieser rein privaten Unterhaltung ging es darum, dass sich Manfred vor dem Urlaub unbedingt noch einen neuen Vergaser für den Wartburg besorgen muss, den es - verflucht noch mal - nirgends gäbe. Als Normalkunde rang man sich noch einmal zu der schüchternen Frage durch, wann man denn wieder nachfragen könne... "Weeß icke doch nich!", blaffte es ungnädig zurück. Ihre Hoheit, die Verkäuferin hatte die Audienz dezidiert beendet, man hatte das Ladenlokal schleunigst zu verlassen. Schade, sonst hätte man eine Minute später mitbekommen, wie die Frau des KFZ-Meisters das Geschäft betrat. Schlagartig rutschte der bösen Königin des Einzelhandels der imaginäre Hermelin von den Schultern. Ihre Stimme wurde glockenhell und seidenweich. Flugs griffen eilfertige Hände unter die Ladentheke und holten ein sorgsam eingepacktes Paket hervor, welches die Frau Meisterin umgehend und ungeprüft in ihre Einkaufstasche gleiten ließ. Diesen Vorgang begleitete die Dame mit den herablassenden Worten: "Mein Heinz sacht, nächste Woche könn' se vorbeikommen, so jegen Feierahmd... Was mach'tn dis?" "Vier Siebzich, Frau Rosner", flötete es von der Weißbekittelten herüber. "Und schönen Dank ooch!" "Ja, ja, is schon jut! Aber erzähl'n se't ke'em," mahnte die Meistersgattin.

Dieser letzten gönnerhaften Aufforderung zu konspirativem Stillschweigen hätte es nicht bedurft. Wie das lief, wußte sowieso jeder und deshalb standen 1989 Hunderttausende, die nur wenige bis gar keine Valuta oder adäquaten Zugang zu frei konvertierbaren Waren hatten, auf und brachten die Staatsmacht ums Leipziger Runde Eck. Nun brachen die herrlichen Zeiten an, von denen man wusste, dass in ihnen lediglich die D-Mark regierte. Hatte man diese, hatte man alles. Vorbei der Bückling, vorbei der unwürdige Tauschhandel, vorbei die Demütigung seitens der schnodderigen Verkäuferin. Vorbei! Vorbei! Jetzt musste die graue Maus hinterm Ladentisch zusehen, dass sie ihre glockenhelle und seidenweiche Stimme den ganzen Tag über behielt - oder man fuhr mit ihr Schlitten und sie stand diesmal in einer Schlange vor einem Schalter - nämlich im Arbeitsamt!

Ach, wie waren die Träume schön... Und die Werbung aus dem Westen des Vaterlandes tutete kräftig in dasselbe Horn, welches da pausenlos intonierte, dass der Kunde nunmehr umworbener König sein. Man wolle nur sein Bestes, sein Geld! Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße. Zwar gab es jetzt alles und problemlos zu kaufen. Die Verkaufskultur der prähistorischen Tante Emma jedoch schien in weiten Teilen der Marktlandschaft ausgerottet. Das hatte damit zu tun, dass die Tante-Emma-Läden zugunsten riesiger, zumeist vor den Toren der Stadt angesiedelter Marktkonglomerate, oder wie man auf schlecht Dinglish zu sagen pflegte: "Center", längst vom Erdball verschwunden waren, wie einst die netten, gemütlichen Entenschnabelsaurier. Nun knickste ein Elektronikriese namens Media Markt nicht mehr:"Beehren Sie uns bald wieder!" Nun suggerierte er den Massen, sie seien blöde, wenn sie ihren Bedarf nicht bei ihm deckten.

Nein, blöde wollte man denn doch nicht sein. Man ging hin. Wie in jenen Media Markt auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsverbrechergefängnisses zu Berlin-Spandau. Einen Scanner wolle man haben. Der solle das und das können und 300 DM dürfe er schon kosten, sprach man den Herren an, dessen Kittel ihn als Mitarbeiter des Marktes auswies. Der tippte gerade auf einem der Laptops im Regal herum und programmierte ihm wohl eine werbende Oberfläche. Ohne aufzublicken löste sich die linke Hand des Tippenden für einen Moment von der Tastatur und wies stumm und vage in nordöstliche Richtung. Allerdings ohne Entfernungs- oder Regalangabe. Die Augen des Media Markt-Mitarbeiters blieben auf das Laptop geheftet. Kein Grund, sie dem lästigen Störer zuzuwenden. Auf die Bemerkung, in einem US-Markt hätte er für ein solches Verhalten bereits zum jetzigen Zeitpunkt seinen Kittel an den Nagel hängen können, erfolgte keine Reaktion. Wahrscheinlich hatte er solche banalen Despektierlichkeiten schon zu oft gehört. Es interessierte ihn nicht.

Jahre später. Wieder ein Media Markt. Diesmal im Herzen der Chur- und Hauptstadt der Mark! Einem Journalisten schmiert das Laptop ab. Er braucht dringend einen neuen. Es muss fix gehen. Der Media Markt ist aufgrund schlechter Erfahrungen weiß Gott nicht die erste Wahl. Aber er liegt zentral. Der Scribent ringt mit sich wie Jakob mit dem Engel. Er will ja blöde sein und nicht hingehen - aber die Zeit drängt, die abzuarbeitenden Aufträge stapeln sich. Was soll's! Schweren Herzens schleicht er sich in das Geschäft und kauft für über einen halben Riesen ein schickes, rotes ACER. Gut, der Tag ist gerettet! Ist er das? Nein, nicht doch. Na das wär's ja noch am Ende! Zufrieden mit einem Einkauf im Media Markt... Wir wollen mal die Kirche im Dorf, die Bälle flach und die Geschichte realistisch halten. Das Gerät ist Schrott! Stellt sich zu Hause raus. Super! Es lässt sich nicht einmal starten. Nu stehs'te da! Der Laden ist bereits dichte. Dann warte mal bis morgen und dreh Däumchen! Die Uhr tickt. Der Stapel der Beiträge wird nicht kleiner. Die Zeit drängt. Am nächsten Tage machs'te dich wieder auf die Socken. Zeit, Spritgeld - eigentlich müsstest du jetzt an deinem Schreibtisch sitzen und arbeiten.

Zu Tante Emmas Zeiten hätte sich der Kaufmann beeilt, dem gebeutelten Kunden entgegenzukommen, das Austauschgerät im Preise etwas nachzulassen, um dem Kunden den Aufwand zu entschädigen: "Ein kleines Präsent, ein Gutschein der Herr? Entschuldigung! Wir würden uns trotzdem freuen, Sie weiterhin als Kunden behalten zu dürfen! Wir klären die Angelegenheit mit unserem Lieferanten! Tut uns sehr leid! Noch einen USB-Stick auf's Haus, ein Mobiltelefon-Etui fürs Fräulein Tochter? Aber gern doch! Beehren Sie uns..." Du lieber Himmel! Spätestens jetzt krümmen wir uns lachend am Boden ob solcher abenteuerlicher, aberwitziger Gedanken in Verbindung mit dem Media Markt.

Warum abenteuerlich? Warum aberwitzig? Der Kaufmann hätt's gemacht. Reiner Altruismus war auch das nicht, zugegeben: Der Kaufmann war auf seinen wertvollen, die Existenz sichernden Guten Ruf bedacht. Den wollte er durch eine solche Misslichkeit nicht gefährden. Seinen Lieferanten hätte er sicherlich eirund gedrechselt, den Kulanzbetrag weitergereicht. Media Markt ist das völlig wurscht. Diese Leute fühlen sich schon großartig, wenn sie ihre gesetzliche Pflicht zum Umtausch der schadhaften Ware erfüllen. Für die Funktionstüchtigkeit des von ihnen vertickten Krams können sie nichts, sagen sie. Interessiert sie auch nicht. Schicken es halt zurück zum Produzenten. Schöne neue Welt!

Nein, neu ist diese Welt nicht. Das hatten wir alles schon einmal. Nur, dass es diesmal noch schlimmer ist. In einem Geschäft, in dem sogar Euros zu Aluchips degradiert werden und Kundenservice ein Fremdwort zu sein scheint, hat auch die Frau des KFZ-Meisters schlechte Karten. Auch sie muss sich über einen an Frechheit nicht zu überbietenden Werbespot sagen lassen, dass sie blöde ist, wenn sie nicht in den Media Markt geht. Und sie muss sich, wie jeder andere Konsument mit Selbstachtung und einer gewissen Würde eingestehen, dass sie es ist, wenn sie es tut.

22. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
06.07.2012