Brunnen lässt Göttin alt aussehen
Stefan Dalitz legt frühdeutschen Kastenbrunnen
frei
Abb. 1 Stefan Dalitz legt den frühdeutschen
Brunnen in Göttin frei.
Michael L. Hübner
Vielleicht steht im Dienstkalender
des Brandenburger Archäologen Stefan Dalitz unter dem Datum des 27.
November "Weihnachten". Was nämlich der versierte Ausgräber
an diesem Tage in der Göttiner Dorfstraße 11 freilegte, war ein wahres
Geschenkpaket mit Überraschungsfaktor: Im Bodenaushub für ein geplantes
Haus fand sich ein Kastenbrunnen mit Eichenbohlen aus der Frühzeit der
deutschen Besiedlung. Aufgrund der Begleitfunde in der etwa 5 Meter
im Durchmesser fassenden Baugrube des Brunnens datierte Dalitz die Entstehungszeit
der Anlage vorsichtig in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts. Sollten
dendrochronologische Untersuchungen der Brunnenhölzer diesen Befund
stützen, wäre das für Göttin ein Grund, die Sektkorken knallen zu lassen.
Denn dieser Umstand spräche dafür, dass das Dorf weitaus älter ist,
als es die urkundliche Ersterwähnung von 1304 belegt. Um dem sensationellen
Charakter des Fundes noch eins draufzusetzen, erwies sich, dass die
Schalungspfosten des Bauwerks höchstwahrscheinlich bereits in Häusern
und Hütten Verwendung gefunden hatten, die noch vor der Brunnenanlage
baufällig geworden waren. "Das führt uns dann noch einmal eine
Häusergeneration weiter zurück in die Vergangenheit“, so Dalitz. Man
nähert sich also dem Zeitpunkt der großen Kolonisationswellen von Westen,
die hauptsächlich vom Magdeburger Erzbischof Wichmann organisiert wurden.
Ging man landläufig davon aus, Göttin sei eine deutsche Gründung gewesen,
so beginnt dieses Bild nun zu wackeln: Bronzezeitliche und slawische
Artefakte belegen, dass zumindest dieser Uferanschnitt des Breiten Bruchs
schon lange vor der Ankunft der Kolonisten aus dem Westen als Wohnstätte
begehrt war. Doch außer dem Fund eines Töpferofens von 1177 in Sichtweite
zu dem entdeckten Brunnen war das mittelalterliche Göttin einfach nicht
zu fassen, wie Dalitz erläuterte. Allein die Anlage des Dorfes spricht
für eine deutsche Aufsiedlung einer schon bestehenden Ortschaft und
gegen einen Dorfgrundriss vom Reißbrett mit ausgewogener Parzellierung,
wie ihn die alten Lokatoren gerne in Anwendung brachten.
„An dieser Stelle hätten wir in unseren kühnsten Träumen keinen Brunnen
vermutet“, freut sich der übers ganze Gesicht strahlende Archäologe.
Der nahe Uferbereich zum Bruch mit seinem brackigen Morastwasser wäre
denkbar ungünstig zur Wasserentnahme gewesen. Die Alten aber waren grandiose
Spezialisten, die sich mit der Geologie und den Grundwasserverhältnissen
ihrer prospektiven Siedlungsflächen genauestens auskannten. Da Göttin
sich über einem Lehmkegel erhebt, war dies so ziemlich die einzige Stelle,
an der man ohne Tiefengrabung an sauberes Wasser kam. Anderthalb Meter
nur senkte sich die Brunnensohle damals unter das fußläufige Niveau.
Eine natürliche Kalkschwelle sorgt für zwei getrennte Wasserspeisungen
– die des Bruchs und eben die des Brunnens. Keine Vermischungen. Immer
klares Wasser – der Brunnen arbeitet noch heute, zur Freude und zum
Leidwesen des Archäologen. Dalitz steht im eisigen Wasser und weist
begeistert auf die Schicht zu seinen Füßen: „Selbst an ein Reinigungsfilter
hatten die Alten gedacht. Eine Schicht Reisig, bedeckt durch eine Schicht
Feldsteine, sorgte dafür, dass das nach dem Schöpfen aufsprudelnde Folgewasser
klar und unverdreckt an die Oberfläche trat. Während seiner Entstehung
hatten die Erbauer allerdings mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen, wie
die Schwemmsandmuster in der Brunnenbaugrube beweisen.“ Gleich nebenan
fand sich ein Flöz von Raseneisenerz. Auch das wird den Altvorderen
sicher nicht entgangen sein, so dass in diesem Bereich noch mit mancher
archäologischer Überraschung gerechnet werden darf. Nun wird gegraben,
kartiert, geborgen, ausgewertet, aufgearbeitet. Wenn Stefan Dalitz beim
alljährlichen archäologischen Jahresrückblick am 17. Januar 2013 seine
Ergebnisse im Paulikloster vortragen wird, sollte man sich beizeiten
einfinden. Könnte sein, halb Göttin stürmt die Dominikaner-Priorei.
Denn dass das eigene Dorf quasi über Nacht mal so eben einhundertfünfzig
Jahre älter wird, passiert ja auch nicht alle Tage!
Abb. 2 Häuslebauerein Bettina Müller darf
noch mal eine in „ihrem“ Brunnen ergrabene slawische Scherbe in der
Hand halten, bevor das Artefakt ins Museum kommt. Fotos hüb