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Kanzlerkandidat im Audi Max
Peer Steinbrück sprach vor 300 Brandenburgern

Michael L. Hübner
Will man wissen, was ein Volkstribun ist, schaut man entweder in die Wikipedia oder – man geht in die Fachhochschule. Zumindest an einem Abend, an dem Peer Steinbrück dort spricht. Mehr als dreihundert Zuhörer zog der designierte Kanzlerkandidat der deutschen Sozialdemokratie ins Auditorium Maximum in der ehemaligen Reithalle der Kürassiere. Proppenvoll war's. Und wenn Steinbrück redet, lauscht das Volk. Auch und gerade bezüglich des Themas: Immerhin stand die Veranstaltung der SPD nahen Friedrich-Ebert-Stiftung unter dem Motto: Finanzpolitik in den Zeiten der Euro-Krise – Welche Politik braucht Europa?


Das Thema traf den Nerv Vieler. Man versteht sehr gut, dass man auch auf dem Achterdeck des gemeinsamen europäischen Bootes nicht sicher ist, wenn dieses am Bug Leck schlägt.
Was hat er vor, der Peer Steinbrück, wenn er Kanzler werden sollte? Wie will er den Kampf mit der Hydra systemrelevanter Banken und den zu Roulettespielern verkommenen Finanzjongleuren auf dem Parkett internationaler Märkte aufnehmen? Steinbrück stellte sich diesen Fragen. Wenn der Mann redet, verfällt man leicht dem Bann, in den er sein Publikum immer wieder mit seiner ungewöhnlich offenen Art schlägt. Steinbrück hat Luthers Rat, man möge dem Volke aufs Maul schauen, ehe man das eigene aufmacht, verinnerlicht. Man mag ihn, ist ihm zugetan, vertritt man selbst auch teils differierende Ansichten. So unterschätzte er die Brandenburger wohl, als er ihnen lang und breit erklärte, was eine Bürgschaft sei. Die wissen das, lieber Peer Steinbrück! Die sind ja nicht doof! Die Fragezeichen wurden ganz woanders gesetzt: Wer bürgt, muss Sicherheiten vorweisen können, wie der liberale Mittelständler Klaus Windeck ganz richtig bemerkte. Wo aber sind die?


Steinbrück argumentierte als glühender Europäer. „Europa spricht in der Welt mit einer Stimme, oder es spricht mit gar keiner“, konstatierte er unmissverständlich. Der Hinweis auf das enorme Privileg von mittlerweile siebenundsechzig Friedensjahren in Mitteleuropa kann nicht deutlicher und eindrücklicher formuliert werden, als der SPD-Obere das tat. Doch die Fronten haben sich verlagert und verlaufen nun durch die Finanz- und Wirtschaftszonen dieser Erde. Im Ergebnis können diese Schlachten um Macht, Profit und Einfluss auf den Märkten genauso desaströs enden, wie Steinbrück das kenntnisreich in der deutschen Geschichte belegte. "Hunger ist der Feind der Demokratie, Armut zerstört die Mitte der Gesellschaft", mahnte der kluge Jung vonne Waterkant. Der Finanzfachmann Steinbrück hat jedoch außer seinem Enthusiasmus auch nicht viel in der Hand, um gegen den übermächtigen Gegner auf den Börsenplätzen dieser Welt anzutreten. Es ist die Ohnmacht der Politik. Was er ins Feld führt, ist ein unbändiger Kampfeswillen, der jede noch so ertragsarme Tat einer verzagten Duldsamkeit vorzieht. PreußenSpiegel stellte in der Eröffnungsfrage der anschließenden Diskussionsrunde fest, dass mittlerweile globale Jetstreams virtueller Geldbeträge in Billionenhöhe um den Globus jagen, die an keine Wertschöpfung mehr gebunden seien und keinerlei materiellen Gegenwert mehr spiegeln würden. Steinbrück bejahte dies und nannte Zahlen: 600 Billionen virtuelle Euro stünden einem Weltjahresbruttosozialprodukt von einem Zehntel dieser aberwitzigen Summe gegenüber. Wie er denn diesen außer Rand und Band geratenen Orkan der Vernichtung ganzer Nationalökonomien als Kanzler zu bändigen gedächte, wo doch der globalisierte Finanzmarkt schlüpfriger sei als ein Aal in Gelee und sich jeder deutschen oder europäischen Gesetzgebung in Windeseile entzöge. Steinbrück wog in seiner Antwort die Risikobehaftung außer Kontrolle geratener Märkte gegen die Berechenbarkeit geregelter Finanzplätze auf und meinte, man müsse an das Sicherheitsbedürfnis der Investoren appellieren. Die schwäbische Hausfrau wird dem zustimmen – der pathologische Zocker und Hasardeur dagegen wird sich von solchen Vorstellungen kaum bekehren lassen. Dennoch war der Abend für Peer Steinbrück ein Heimspiel. Die alte Arbeiterstadt Brandenburg an der Havel empfing einen als ehrliche Haut und authentischen Sozialdemokraten bekannten Kanzlerkandidaten freundlich und mit viel Sympathie. Man traut's ihm zu. Die unprätentiöse Volksnähe gepaart mit politischer und finanzwirtschaftlicher Kompetenz, der ungeschminkte Ausblick in eine Zukunft des Abschieds von der alten Hegemonialmacht Europa mit all seinen bitteren Konsequenzen für die Europäer und die manchmal etwas zu offensiv vorgetragene Selbstironie – all das dürfte ihm an diesem Abend in der Chur- und Hauptstadt einen guten Teil der anwesenden Wählerstimmen gesichert haben.


SPD Fraktionschef und Landtagsabgeordneter Ralf Holzschuher achtete
beim Porträt Michael L. Hübners und Peer Steinbrücks auf ein gechärftes Profil -
des Auditorium Maximum der Fachhochschule... (Foto Holzschuher)

22. Volumen
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25.09.2012