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Landbote in Lodz
Redakteur Hübner auf Vortragsreise an großer polnischer Universität


Ankündigungsposter

B. St. Fjøllfross
Der polnische Nachbar liegt dem Landboten am Herzen. Wer den Landboten kennt, weiß, dass er seit Jahr und Tag immer bemüht ist auch die stodoranischen, die slawischen Aspekte in historisch orientierten Artikeln herauszuarbeiten. Die Heimat des Landboten ist Slawenland, hier wurde ein Volk von technisch und gesellschaftlich überlegenen sächsischen Eroberern an den Rand gedrückt, assimiliert, zum Verschwinden gebracht. „Auch so kann man ein Volk umbringen...“, sagte einst der Historiker Heinrich Gerlach.

Überlebt haben die Lausitzer, die Sorben. Überlebt haben den Expansionsdrang ihrer westlichen Nachbarn auch – und Gott sei Dank – die Polen. So oft der polnische Staat von den Landkarten Europas verschwand,


Hübner und Schrot (Referent) vor dem Audi Max

an der Weichsel hieß es stets: Jeszcze Polska nie zginela – Noch ist Polen nicht verloren... Die Polen, europäischer Kulturträger ersten Ranges, vermochten es, sogar der mörderischsten Vernichtungsmaschine aller Zeiten zu trotzen und ihren Stolz zu bewahren.
Umso mehr Bedeutung misst der Landbote einer Einladung bei, welche die Universität Lodz an den Redakteur des Landboten Michael L. Hübner (CDU) aussprach.


Hübner beim Referat

Der Journalist reiste am 18. März 2009 gemeinsam mit seinen Koreferenten, dem Berliner Eisenbahningenieur Klaus Leutner und dem Brandenburger Nachwuchspolitiker Jacob Schrot (CDU) in die drittgrößte Stadt Polens, um vor etwa 250 anwesenden Studenten des Instituts für Internationale und Politische Studien im Auditorium Maximum die Themen „Aspekte der deutschen Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zu Polen und der Stellung der Medien im Deutschland der Gegenwart“ (Hübner) und „Die deutsche Parteienlandschaft und aktuelle Außenpolitik Deutschlands“ (Schrot) zu referieren. Leutner berichtete dem anwesenden Publikum von seinen intensiven Arbeiten mit Schülern aus beiden Ländern zur deutsch-polnischen Vergangenheit. Übersetzt wurden die drei Herren von den beiden bezaubernden Germanistik-Studentinnen Aleksandra Luczak und Elzbieta Dudek, deren Deutschkenntnisse sie vom Fleck weg befähigen würden, deutsche Gymnasiasten in deren deutscher Muttersprache zu unterrichten.


Hübner während seines Referates

Sehr zufrieden zeigte sich der Organisator der Vortragskonferenz, Artur Modlinski. Die drei Deutschen, so wurde versichert, konnten mehr Zuhörer versammeln, als ein am Vortage an gleicher Stelle zu hören gewesener Sekretär Präsident Obamas.

Die Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit der Polen beeindruckte die drei Herren aus Deutschland außerordentlich. In diesem Lande leben Stil, Umgangsformen, das Wertlegen auf adrette Erscheinungen weiter, wogegen die deutsche proletarische Unterschicht ihre Vorstellungen von Kommunikation bereits bis in die gehobenen Schichten exportiert zu haben scheint.
Am Folgetage gedachte die Lodzer Nachbargemeinde Zgierz 100 erschossener Söhne ihrer Stadt. Diese wurden von der deutschen Besatzungsmacht am 20. März 1942 im Rahmen einer Rachemaßnahme für zwei von einem polnischen Hauptmann liquidierte Gestapo-Beamte vor den Augen von 6.000 zusammengetriebenen Zgierzern hingerichtet. Leutner, Schrot und Hübner schlossen sich als deutsche Delegation den Gedenkfeierlichkeiten an. Die Polen registrierten diese Geste sehr aufmerksam und wohlwollend.


Dankesurkunde in polnischer und deutscher Sprache

 

Die Rede

Vortrag Uni Lodz, 19.03.2009

[Begrüßung, Einführung]

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Für einen Deutschen gibt es zwei Länder in der Welt, in denen er nur mit gesenktem Blick und leiser Stimme sprechen sollte. Zu schwer wiegt die historische Verantwortung, die auf jedem Deutschen noch für unabsehbar viele Generationen lasten wird. Diese beiden Länder sind Israel und – Polen!

Sie sollen wissen, dass ich mir der ebenso ungeheuren wie unverdienten Ehre bewusst bin, vor einer polnischen Universität, vor einem polnischen Auditorium sprechen zu dürfen und danke Ihnen sehr für diese Gelegenheit.

Natürlich stand bei dem etwas unspezifisch umrissenen Thema die Frage im Vordergrund, welche Inhalte Ihren westlichen Nachbarn betreffend, für Sie besonders interessant sein dürften.

Eigentlich soll ich Ihnen von der deutschen Medienlandschaft berichten. Diese aber isoliert von ihrem historischen Kontext herauszuarbeiten, wäre beinahe so unsinnig, wie der Versuch eines Biologen, eine Tierart losgelöst von deren natürlichem Lebensumfeld beschreiben zu wollen.

Daher lassen Sie mich, der ich auch als Historiker arbeite, vor Ihnen einen Bogen über die letzten eintausend Jahre oder vierzig Generationen spannen, der die Breite Ihres Verständnisses für die komplizierten Prozesse im großen mitteleuropäischen Siedlungsraum zwischen Oder und Rhein etwas erweitert.

Wohlgemerkt! Es geht hier nicht um die Relativierung oder gar Entschuldigung tragischer historischer Ereignisse. Es geht lediglich darum zu verstehen, aus welchen Wurzeln heraus sich solche Dinge zum Nachteil von vielen Millionen Menschen entwickeln können, um sie für die Zukunft vorhersehbarer und damit beherrschbarer zu machen.

Die lange gemeinsame Geschichte im Herzen Europas verband Polen und Deutschland immer in einem ganz besonderen Maße. In vielen Gegenden beiderseits der Grenzen lebten Polen und Deutsche Haustür an Haustür, die Kinder wuchsen oft zweisprachig miteinander auf. Das ging Jahrhunderte lang gut, bis die Völker des alten Kontinents den heillosen, den ungesunden Nationalismus für sich entdeckten und aus dem vertrauten Nachbarn über Nacht der Feind wurde.

Dass diese Prozesse in Europa bis heute keineswegs überwunden sind, konnten Sie alle in den Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts an den Geschehnissen in der auseinanderfallenden Republik Jugoslawien studieren.

In dem Verhältnis zwischen Deutschen und Polen aber nahm diese Entzweiung äußerst tragische Züge an. Besonders von meiner Heimat Deutschland ausgehend baute sich wiederum ein enormer und aggressiver, mit vielen blödsinnigen Ressentiments behafteter Druck in Richtung Osten auf, dessen Züge fatal an die Zeiten der mittelalterlichen Ostexpansion erinnerten. Oft genug wurden denn auch die alten Parolen wiederum bemüht um den polnischen Nachbarn herabzuwürdigen, ihn zu diffamieren und ihn letztendlich mit der Gewalt der Waffen zu überfallen.

Für einen denkenden Europäer stellt sich natürlich die Frage, aus welchen Quellen sich diese vernunftlose Aggressivität speiste.


[Mittelalter]

Zunächst einmal fällt auf, dass Deutschland und Polen etwas ganz Wesentliches voneinander unterscheidet: Während sich die Polen seit ihrer Staatsgründung in den 960er Jahren nach Christus unter Mieszko I. zu einer zum überwiegenden Teil homogenen Nation entwickelten, blieb Deutschland ein solch segensreicher Weg verwehrt.

Während also die junge Nation der Polen von starken und gefestigten Herrscherpersönlichkeiten aus den Dynastien der Piasten und später der Jagiellonen geleitet wurde, die ein überschaubares und damit regierbares Territorium beherrschten, war Deutschland als nördlicher Teil des riesigen Römischen Reiches von der Ostsee bis nach Sizilien mit den damaligen Möglichkeiten der Kommunikation von einer Zentralgewalt nicht oder nur sehr insuffizient zu verwalten. Natürlich blieb auch Polen eine partikulare Machtzersplitterung nicht erspart, wie die Senioratsverfassung von 1138 belegt. So verheerende Auswirkungen aber, wie sie das deutsche Reich spätestens seit jenem historisch bedeutsamen Vater-Sohn-Konflikt zwischen Friedrich II. von Hohenstaufen und seinem ältesten Sohn, König Heinrich VII. erfuhr, blieb den Polen erspart.

Friedrich, der alle Hände voll zu tun hatte, mit einem starken und ihm feindlich gesonnenen Papsttum auf der einen Seite und einem erstarkenden merkantil orientierten Bürgertum, vertreten durch die lombardischen Städte auf der anderen Seite um die Macht im Reich zu ringen, vertraute seinem Sohn den Reichsteil nördlich der Alpen – also Deutschland an. Friedrich selbst machte Palermo zu seiner Hauptstadt. Palermo – wichtigster Ort auf Sizilien, der damaligen Kornkammer Europas, Schnittpunkt der mediterranen Handelsrouten und damit der mediterranen Hochkulturen – ökonomischer Schwerpunkt im Süden. Deutschland dagegen war das finstere, unterentwickelte Land im kalten Norden. Zweitrangig, Entwicklungszone. Während sein Vater also im äußersten Süden den modernsten, seiner Zeit um Jahrhunderte voraus eilenden Beamtenstaat Europas schuf, versuchte Heinrich, den man später den Armen Heinrich nennen sollte, im Norden, dem Vorbild seines Vaters nachzueifern und eine starke Zentralgewalt zu etablieren, welche die Fürsten und die Großen des Reiches dem Willen des Herrschers unterordnen sollten.

Heinrich stieß auf den erbitterten Widerstand der Herzöge und Bischöfe, die keineswegs gewillt waren, da sich ihre Autorität noch aus den überkommenen Traditionen der einst freien germanischen Stämme herleitete, auch nur Teile ihrer Macht kampflos abzugeben.

Friedrich, der eine Destabilisierung des Nordreiches befürchten musste, und der schon mit seinem italienischen „Zweifrontenkrieg“ einschließlich des verordneten Kreuzzuges im Heiligen Land genug zu tun hatte, gab die „unbedeutendste“ Position im Machtpoker, Deutschland nämlich, insofern auf, als er seinen eigenen Sohn zugunsten der Fürsten entmachtete. Diese Konzession war von vornherein mit einer schweren Hypothek auf die folgenden Jahrhunderte belastet, denn von nun an herrschte in Deutschland ein beinahe schrankenloser Partikularismus, der das Herausbilden einer einheitlichen, in sich ruhenden und ausgewogenen Nation nicht nur verzögerte, sondern gleichsam verhinderte.

[Dreißigjähriger Krieg]

Durch die von innerkirchlichen und ökonomischen Spannungen, aber auch durch das enorme Wohlstands- und Entwicklungsgefälle im Heiligen Römischen Reich zwischen Italien und Deutschland hervorgerufene Reformation in den Jahren nach 1525 wurde das an sich schon sehr inhomogene Reich erneut schwer erschüttert, quasi in der Mitte zerrissen. Hier wurde angebahnt, was sich knapp ein Jahrhundert später grauenhaft manifestieren sollte: der Dreißigjährige Krieg.

Meine Damen und Herren!

Auch Frankreich hatte seinen Hundertjährigen Krieg, die Jaquerie und die Pest, das ganze dramatische 14. Jahrhundert, wie Barbara Tuchman es beschreibt. Aber die damals schon geschlossene Nation überstand diese schwere Prüfung, man möchte beinahe sagen, gestärkt.

Nicht so Deutschland.

Als die Herren Kaiserlichen Sekretäre Slavata, Martinitz und Fabricius im Jahre 1618 in Prag aus den Burgfenstern des Hradschin gestürzt wurden, begann für Deutschland eine grauenhafte Leidenszeit, deren Auswirkungen sich für immer in die deutsche Seele einbrennen sollten.

16 Generationen reichen nicht aus, um diese Spuren zu tilgen. Warum Deutschland? Warum tobten sich alle wildgewordenen Völker Europas auf deutschem Boden aus? Warum wurde hier geschlachtet und gemordet, vergewaltigt, geplündert und gebrannt, was das Zeug hielt? Warum wehrte sich das Land nicht?

Die Antwort ist recht simpel: Weil es „das Land“ gar nicht gab. Weil es unendlich viele kleine und kleinste Länder in Deutschland gab, jedes mit eigener Herrschaft, jedes mit eigener Souveränität, jedes mit beinahe uneingeschränkter Hoheit und jedes – zu schwach, einzeln den marodierenden Armeen der kämpfenden Parteien Einhalt zu gebieten. Wohl gab es eine Reichsarmee. Doch diese schützte das Reich zu keiner Zeit, sondern gehörte zu dem mörderischen Chor der Kriegsparteien.

Hier, meine Damen und Herren, wurde dem deutschen Michel die Seele aus dem Leib gedroschen. Wenn Sie so wollen, verlor Deutschland an diesem Wendepunkt seiner Geschichte seine Zivilisation.

[Aufklärung]

Wenn im darauffolgenden Zeitalter der Aufklärung Deutschland von der Welt als Land der Dichter und Denker wahrgenommen wurde, als Land der Kunst und des gediegenen Handwerks, der überragenden Musik und großen Malerei – dann übersah man, dass die Wunden des Dreißigjährigen Krieges tief in der deutschen Seele keineswegs vernarbt waren.

Unter der Oberfläche kochte und brodelte der Hass und die Wut für all die erlittene Pein und Demütigung, Entrechtung und Entehrung, die einem ganzen Volk in dreißig grauenhaften Jahren angetan worden waren.

Während der napoleonischen Besatzung bekam dieser Hass noch einmal eine neue Qualität. Die Grenze des Erträglichen war definitiv erreicht, daran änderte sich auch nichts mehr angesichts der vielen durchaus begrüßenswerten Errungenschaften, welche die Franzosen mit ins Land brachten. Ich nenne hier nur den Code Napoleon.

In der Zeit der Retablierung der alten Verhältnisse begann dieses nationale Hassgefühl unter dem Mantel des Biedermannes Gift zu werden. Aufgeputscht von der Hochstimmung durch den gewonnenen Krieg gegen Frankreich 1870/71, begann sich nun dieses Gift in jenen größenwahnsinnigen und bösartigen Nationalismus deutscher Prägung zu wandeln, der sich dann auch später gegen Polen wandte und unter dem auch Ihre Nation in der Folgezeit so furchtbar zu leiden hatte.

Mit dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich und der fatalerweise in Versailles initiierten Reichseinigung schlug das Pendel nämlich in eine verderbliche, aggressiv-nationalistische Haltung um. Jetzt war der „misshandelte Halbstarke“ Deutschland zu Kraft gekommen, jedoch bar jeder Ausgeglichenheit und jedes erlernten verantwortungsvollen Umgangs mit dieser neu gewonnenen, enormen Kraft.

Hinzu kam, dass mit diesem sehr verspätet einsetzenden Entwicklungsprozess die globale Verteilung des Zugangs zu den Welt-Rohstoffressourcen und den internationalen Absatzmärkten bereits abgeschlossen war. Das bedeutete, dass schon zu Beginn des enormen wirtschaftlichen Aufstiegs während der Gründerzeit im ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die späte Kaiserzeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Ursachen des späteren ökonomischen und nationalen Kollapses vorprogrammiert waren.

Unter dieser Konstellation ließ sich Deutschland unter seinem in jeder Hinsicht insuffizienten Kaiser Wilhelm II. in jene unselige Koalition mit dem bereits verfaulenden Vielvölkerstaat der Habsburger Donaumonarchie hineinziehen, die dann im Jahre 1914 als Verbund der Mittelmächte nach den Schüssen von Sarajewo das große Völkerringen mit den Kräften der Triple Entente begann.

Ein verheerender und leider teilweise von purer Rachsucht geprägter Versailler Vertrag erreichte in den folgenden anderthalb Jahrzehnten das genaue Gegenteil dessen, was eigentlich beabsichtigt wurde: nämlich eine neue und friedliche Grundordnung in Europa zu etablieren.

Die aus dem Versailler Vertrag resultierenden Maßnahmen der Reparationsleistungen, Gebietsabtretungen u. ä. legten nicht nur die Grundlage für die ungeheure Not der deutschen Bevölkerung in den Nachkriegsjahren, der Hyperinflation von Kriegsende bis 1923 und der Verschärfung der Weltwirtschaftskrise ab Oktober 1929 in Deutschland, sondern mit ihr eine stetig wachsende Verbitterung gegen den gefühlten Feind von außen und den zu Sündenböcken gestempelten „Feinden“ im Inneren.

Wie Sie wissen, meine Damen und Herren, war es diese verheerende Flut, mit der die deutschen Nationalsozialisten beinahe spielend an die Macht gespült wurden.

Hier nun endlich schien die über Jahrhunderte hinweg gequälte und gepeinigte deutsche Seele ein Podium zu finden. Hier nun schienen die Grundlagen gegeben, die gewaltigen angesammelten Kräfte zur Entfaltung bringen zu können.

Tragisch führte das deutsche Sprichwort „Einem geschenkten Gaul schaut man nichts ins Maul“ vor diesem Hintergrund ein ganzes Volk auf dem Weg in den unvermeidlichen Abgrund, in die Raserei und in den ewig unbegreiflichen Wahnsinn.

Der deutsche Nationalsozialismus, das ewige Kainsmal Ihres westlichen Nachbarn, so sagte einmal ein deutscher Philosoph, war die Regierung von Millionen Arbeitslosen durch eine Bande von Arbeitsscheuen.

Diese Bande vereinigte dann in sich all die gefährliche Arroganz und Dummheit, die Borniertheit und den Dünkel des außer Kontrolle geratenen deutschen Kleinbürgers, des sogenannten Spießers.

All diese schlechten Eigenschaften kochten nun über mit der Gewalt der erst vor wenigen Jahrzehnten erwachten Industrienation und ergossen sich brüllend nach allen Seiten über den alten Kontinent.

Wir alle kennen die furchtbaren Ergebnisse.


[[Nachkriegszeit]]

Das deutsche Volk indes, das den letzten Weltkrieg überlebte, ist - und das sollten Sie wissen - nicht mehr mit der Vorkriegsnation vergleichbar.

Die Überlebenden flüchteten sich in Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit – bloß nicht nach der Seite schauen und um Gottes willen nicht zurück!

Die Deutschen, die jetzt zwischen Oder und Rhein leben, haben in die Lebenswirklichkeit hinein gefunden und das nationalstaatliche Denken zugunsten Europas aufgegeben. Man kann sagen, dass die Deutschen nunmehr in all ihrer noch immer bestehenden „Stammesmentalität“, also in ihrer Inhomogenität in einer Zielsetzung überwiegend einig sind – nämlich in Europa aufzugehen. Jetzt zeigt sich, dass die jahrundertelange völlige Abwesenheit einer gesunden und in sich ruhenden Nationalität auch durchaus ihre positiven Seiten haben kann. Dieser mangelnde vaterländische Bezug nämlich erleichtert die Hinwendung zu dem übergeordneten Gebilde namens Europa in Deutschland ungemein.


[[Überleitung]]

Frau Erika Steinbach übrigens dürfte in Polen einen weitaus höheren Bekanntheitsgrad haben, als in Deutschland. Dort kennt sie kaum jemand. Der Bund der Vertriebenen, dessen Präsidentin Frau Steinbach ist, spielt in der öffentlichen Diskussion kaum noch eine nennenswerte Rolle.

Ähnlich verhält es sich im nationalen Bewusstsein sowohl des öffentlichen als auch des privaten Raumes. Revanchistische Meinungsäußerungen erfahren bis in private Kreise hinein eine starke Abneigung und Missbilligung, die politisch-territorialen Nachkriegsverhältnisse sind im deutschen Alltag mittlerweile nicht nur angekommen, sondern darüber hinaus – ich darf wohl sagen – zementiert.

[[Medienlandschaft]]

Das ist auch eine Folge des Wirkens der deutschen Medienlandschaft, die seit Kriegsende den Wandel der deutschen Gesellschaft begleitete und dokumentierte, aber auch nachhaltig prägte.

Diese Medienlandschaft war sich nach der Katastrophe des 20. Jahrhunderts ihrer staatstragenden Verantwortung als „Vierte Gewalt“ bewusst geworden. Sie knüpfte durchaus an die fortschrittlichen Traditionen der Weimarer Republik. Die Verhaftung des Spiegel-“Vaters“ Rudolf Augstein im Oktober 1962 wegen angeblichen Hochverrates stellte eine scharfe Reaktion eines Staates, dessen Vertreter oftmals noch immer den untergegangenen Welten verbunden waren, auf das Selbstbewusstsein der neuen, der freien Presse dar.

Wenn ich aber vorhin anführte, dass die Medien in Deutschland exakt die Entwicklung der deutschen Volksseele spiegeln, so lässt sich auch jetzt wieder ein Nachlassen der kritischen, der kämpferischen und der wachsamen Berichterstattung erkennen.

Kämpferische Journalisten, wie der heute 60-jährige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, die sich ihrem journalistischen Ethos noch immer kompromisslos verpflichtet fühlen, werden seltener. Dadurch wiederum fühlen sich manche deutsche Spitzenpolitiker ermuntert, diese mutigen Journalisten zwar unterschwellig, dafür aber nichtsdestotrotz sehr hartfäustig zu attackieren. Das geht mittlerweile soweit, dass ganze Landesrundfunkverträge in die Abhängigkeiten von Personalentscheidungen zu geraten drohen.

Auch können die Medien den Verlockungen, welche die Nähe zur Macht bietet, oft nur mit Mühe widerstehen. Es fällt einigen Journalisten insbesondere in Hinblick auf die unter der Krisenentwicklung angespannter werdende Situation auf dem Arbeitsmarkt häufig schwer, die geforderte Distanz zu den Subjekten ihrer Berichterstattung zu wahren. Diese Beobachtung lässt sich für die Berichterstattung auf jeder politischen Gestaltungsebene verifizieren.

Natürlich halten kritische und politinvestigative Magazine, wie „Kontraste“, „Monitor“ oder „Panorama“, aber auch Moderatoren wie Reinhold Beckmann die Fahnen des wachsamen Journalismus in Deutschland noch immer hoch.

Wer aber gegen den Strom schwimmt, muss nicht zuletzt mit einer Verschlechterung seiner Informationsquellen rechnen.

Ein anderer Grund ist dem Lese- und Medienkonsumverhalten der Deutschen geschuldet, der übermächtig werdenden Konkurrenz durch das Internet und der tendenziell erkennbaren Abwendung der nachrückenden Generationen vom Interesse an Kunst, Kultur und Politik.

Doch auch die Inserenten aus der Wirtschaft bilden einen nicht zu unterschätzenden Faktor, der letztendlich sogar Einfluss auf redaktionelle Beiträge nehmen kann.

Eine freie und objektive Berichterstattung ist daher beinahe nur in solchen Ausnahmefällen möglich, wenn sie gegebenenfalls autark von ökonomischen Zwängen operieren kann.

Sie dürften in Polen sicherlich ähnliche Phänomene beobachten.

So bildete sich in den deutschen Kommunen im Printmedienbereich ein mehr oder weniger stabiles Gleichgewicht zwischen der soziokulturellen Ausrichtung der potentiellen Leserschaft, der lokalen oder überregionalen Wirtschaft als Hauptinserenten und den politischen Kräfteverhältnissen.

Wenn Sie beispielsweise das Sortiment eines gewöhnlichen Kiosks unter die Lupe nehmen, so werden Sie feststellen, dass dieser Kiosk nichts anderes ist, als die lebendige Visitenkarte des von ihm versorgten Wohnviertels. Er spiegelt deutlich die Interessenlage seines Kundenkreises wieder.

Demzufolge wird man in durchschnittlichen Wohngebieten eine geringe Anzahl von Vertretern des hochniveauigen Segmentes wie die Frankfurter Allgemeine, die Süddeutsche, den Münchner Merkur oder das Wochenmagazin „Die Zeit“ finden. Alle genannten Blätter sind übrigens Vertreter des bürgerlich-konservativen Lagers.

Auch überregionale Meinungsbildner wie die Neue Osnabrücker Zeitung, die Frankfurter Rundschau oder die Berliner Zeitung, die ihren edukativen Auftrag noch sehr ernst nehmen, sind eher selten vertreten.

An tagesaktuellen Zeitungen sind daher die zur regionalen Nachrichten-Versorgung konzipierten Tageszeitungen, wie sie im Land Brandenburg beispielsweise von der Märkischen Allgemeinen und der Lausitzer Rundschau repräsentiert werden, eher dominant.

Überdurchschnittlichen Abkauf jedoch erfahren nach wie vor die der Boulevardpresse zuneigenden und reichlich bebilderten Gazetten, die angeführt von Blättern wie BILD oder der Berliner BZ Information sensationsheischend und marktschreierisch an den Mann und die Frau bringen.

[[Phänotyp der Medien]]

Deren Rezept baut auf der simplen Erkenntnis auf, dass wenige Cent von Millionen Deutschen tagtäglich ausgegeben in der Summe ein Milliarden-Geschäft sind. Die wenigen Cent aber werden vom Durchschnittskäufer kaum wahrgenommen. Dafür bekommt er ein Kondensat an Information, meist in jeder Hinsicht oberflächlich angeboten. Die üppige Bebilderung lenkt bei diesen Presseerzeugnissen von einer oft aberwitzigen Grammatik und einem noch übleren Sprachstil ab.

Die hier protektionierte Verflachung des Gebrauchs der Sprache, des Hauptmittels der zwischenmenschlichen Kommunikation, kommt dem natürlichen menschlichen Drang zur Rasenlatscherei gewinnträchtig entgegen.

Leider muss man feststellen, dass diese Konzession an die allgemeine Vernachlässigung, sowohl bezüglich der Sprache, als auch des Stils bis mitunter sogar die Qualität der Recherche betreffend, ausgehend von den privaten Medien mittlerweile auch bei den öffentlich-rechtlichen Medien angekommen ist. Es gibt nur noch sehr wenige Formate, die sich den traditionellen Werten verpflichtet fühlen. Hinzu kommt eine geradezu dramatische Negativ-Entwicklung im Personalbereich der Medien, von denen auch und gerade viele qualifizierte Lektorenstellen betroffen sind. Sie können sich leicht vorstellen, welche verheerenden Auswirkungen diese Tendenz auf die Qualität der dargebotenen Informationen hat.

Es sieht also so aus, als hätte sich die edukative Stoßrichtung umgekehrt. Nicht länger geben die Medien das Leitbild eines sauberen Umgangs mit der Kommunikation, sondern das Volk mit seinem Hang zur Verhunzung und Verflachung kommunikativer Ausdrucksformen gibt den Medien über das Mittel des Abkaufs vor, wie diese sich zu artikulieren haben. Um der Quoten und damit um der Gewinnspanne willen, vollführen viele Medien diesen unseligen Kotau.

Unsägliche Stil- und Sprachelemente, die noch vor vierzig Jahren Proteststürme in den Redaktionen ausgelöst hätten, bekommen heute nur noch sehr Wenige mit, wie beispielsweise der Spiegel-Redakteur Bastian Sick, der allerdings mit der literarischen Verwertung dieses Prozesses zum Bestseller-Autor avancierte.

Dennoch scheint dieser Weg der medialen Oberflächlichkeit und kommunikativen Schlampigkeit unumkehrbar. Zu sehr kommt er dem Konsumenten in seinem natürlichen Wesen entgegen.

Auf diese Weise schaffte BILD übrigens den Weg zu beinahe unbeschränkter medialer Macht, die selbst bis in die Spitzen der Regierung und Wirtschaft respektiert wird. Am Beispiel BILDs erleben wir am Deutlichsten die gegenseitige Manipulation von Medien und Konsumenten, die sich nicht unbedingt vorteilsbehaftet gestaltet.

In Frankreich werden solche Prozesse ebenfalls beobachtet. Hier aber können Sie deutlich ablesen, wie eine Nation mit einem gesunden Nationalbewusstsein die Sprache als wichtiges Kulturgut mit Verve und Courage verteidigt. Der exzessive Gebrauch von Anglizismen beispielsweise, die teilweise reine deutsche Phantasieprodukte sind, wären in Paris undenkbar. In Deutschland sind sie Normalität und sie fallen beinahe niemandem mehr auf.

Übrigens können Sie genau an dieser zunehmenden Masse an englischen und pseudoenglischen Vokabeln, sowohl in der deutschen Alltags- als auch in der deutschen Mediensprache, etwas sehr deutlich ablesen: Das gespaltene und distanzierte Verhältnis nämlich, das die deutsche Volksseele seit Jahrhunderten zu sich selbst hat.

Wurde diese Indikatorfunktion in den vergangenen Jahrhunderten von den Sprachen Latein und Französisch erfüllt, so griff nach dem letzten Krieg das Englische exzessiv um sich. Es scheint ein Ausdruck nationaler Minderwertigkeitskomplexe zu sein, der sich in diesen sublimen Dynamiken spiegelt. Bis in die heutigen Tage der Berliner Republik scheint dieser Prozess des nationalen Selbstwertzweifels in seiner Immanenz noch immer nicht vollständig überwunden zu sein.

Dennoch – bei aller vorgetragenen Oberflächlichkeit – eines unterscheidet selbst die deutsche Yellow-Press von vielen europäischen Blättern gleicher Ausrichtung. Wie ein roter Faden durchzieht beinahe jedes deutsche Blatt ein deutlicher Impetus, ihre Berichterstattung bei aller plakativen Darstellungssucht nach den Maßgaben der political correctness auszurichten. Eine Menschen oder Nationen abwertende Darstellung verbietet sich und ist mit einem deutschlandweiten und auch befolgten Tabu belegt. Selbst in den aktuellen Berichten zu den ungeheuerlichen Verbrechen von Amstetten (Österreich) und Winnenden (Schwaben) werden Sie in keinem seriösen und halbseriösen Medium eine andere als bis ins Detail korrekte Formulierung finden. Das geht schon hin bis zu einer gewissen Sterilität und Monotonie, die peinlich bemüht ist, vitalere, dafür jedoch unsichere Wendungen des Ausdrucks zu vermeiden. Die Folge ist ein oftmals verstaubt und hölzern anmutender Vortrag zu aktuellen Geschehnissen.

[[Politik]]

Insgesamt lässt sich feststellen, dass ein gewisser überparteilicher Konsens im deutschen Medienbetrieb zu der generellen Richtung herrscht, die für Deutschland in Hinblick auf die europäische Integration für wünschenswert gehalten wird. Dieser Konsens ist einer der Garanten dafür, dass das gesamte Spektrum der zivilisierten Presse und Rundfunkmedien fördernd und unterstützend auf die aktuelle Orientierung hin nach Europa reagiert. Diese Haltung teilen übrigens die Vertreter aller demokratischen Richtungen von der bürgerlichen Presse bis zu den linksorientierten Medien.

Nur rechtsextreme Blätter machen davon eine Ausnahme.

Die wenigen Blätter, die noch ultrarechtes Gedankengut verbreiten, oder die Deutsche Wehrmacht verherrlichen, führen jedoch in der deutschen Medienrealität ein Schattendasein, wie überhaupt ihre Apologeten, die rechtsextremen Parteien sich kaum Hoffnungen machen sollten, in der politischen Gegenwart eine maßgebliche oder entscheidungsfindende Rolle zu spielen.

Bezüglich des Widerstandes gegen Ewiggestrige kann man die deutsche Medienlandschaft als ausgezeichnet positioniert und aufgestellt würdigen.

In Hinblick auf ein Zusammenrücken mit den polnischen Nachbarn weg von national fixierten Strukturen hin zu europäischem Regionaldenken leistet der Landessender der ARD, der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), Pionierarbeit. Mit seinem wöchentlichen deutsch-polnischen Gemeinschaftsformat „Kowalski trifft Schmidt“ schlägt er geistige und kulturelle Brücken über die Oder im Sinne eines ungezwungenen und herzlichen Umgangs miteinander. Berichte von Studenten, die an einem Ufer der Oder wohnen und am anderen studieren, wie in Frankfrurt, oder die hüben wohnen und drüben arbeiten, wie in Görlitz, mehren sich, ebenso, wie Reportagen über eine enge Zusammenarbeit auf Behördenebene und gemeinschaftlich Projekte verschiedener Organisationen.

Allerdings wage ich keine Prognosen darüber anzustellen, welche Auswirkungen eine Verschärfung der ökonomischen Gesamtsituation im Zuge der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise auf die Menschen haben wird. Insofern ist es äußerst wichtig, bestehende freundschaftliche Verhältnisse so zu verankern, dass erneute Versuche, die Nationen und Nationalitäten gegeneinander aufzuhetzen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.

Einen weiteren Hinweis auf diese positive Entwicklung glaube ich in dem Umstand zu erkennen, dass die erste Zeile der polnischen Nationalhymne, der stolzesten und wohl sympathischsten Nationalhymne dieser Welt, „Jeszcze Polska nie zginela“, in ihrer deutschen Übersetzung zum geflügelten Wort, also zum Teil des positiv besetzten kollektiven Unterbewusstseins geworden ist. Man hört es oft in Situationen, wenn Deutsche unbeirrt an die Lösung einer schwierigen Aufgabe gehen, die im Vorfeld kaum zu bewältigen scheint oder gar zu scheitern droht. Den wenigsten Deutschen ist zwar in diesem Augenblick bewusst, was sie da zitieren. Dennoch klingt eine große zupackende, jeder Resignation abschwörende Zuversicht in den unsterblichen Worten: Noch ist Polen nicht verloren!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und vor allem für die große Ehre, die mir gestattete vor Ihnen sprechen zu dürfen. Dziekuje serdecznie!

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13. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
27.03.2009