Gipfelstürmer
im Gebirge und in der Politik
Porträt des Brandenburgischen Landtagspräsidenten
Gunter Fritsch
Gunter Fritsch vor einer Zeichnung seines
Geburtshauses in Landsberg/ Warthe
Michael L. Hübner
Von frühester Jugend an hatte
Gunter Fritsch ein Ziel: Er wollte ganz nach oben. Er wollte ganz nach
oben, nämlich auf den Gipfel des – Matterhorns. Der mutmaßlich
schönste Berg der Welt hatte es ihm angetan. Leider trennt der
Monte Cervino, wie die gewaltige natürliche Steinpyramide bei den
Italienern heißt, Norditalien von der Schweiz und war daher für
den normalen DDR-Bürger unerreichbar. Und als normaler DDR-Bürger
wuchs Gunter Fritsch auf. Ein Flüchtlingsjunge aus dem neumärkischen
Landsberg/Warthe, den es als Dreijährigen 1945 durch die Kriegsereignisse
nach Tabarz in Thüringen verschlug und später ins märkische
Oderland, gar nicht so weit weg von der Stelle, an der die Warthe, seine
Warthe in die Oder mündet. Damals aber war das noch der Bezirk
Frankfurt/Oder und des jungen Gunters einzige Chance aufs Matterhorn
zu gelangen, bestand in der Aussicht, mit dem Erreichen des 65. Lebensjahres
legal dorthin reisen zu dürfen. Einstweilen hatte er sich in der
DDR-Gesellschaft einzurichten, was für einen engagierten Christen
alles andere als einfach war. Insofern verschwendete Fritsch keinen
Gedanken daran, jemals zu einem politischen Gipfelsturm anzusetzen.
Denn Christen waren für die herrschenden Kommunisten unbeschulbare
Relikte eines überwundenen Mittelalters, Exoten, denen man sich
hüten würde, eine politische Verantwortung im sozialistischen
Gesellschaftsgefüge anzuvertrauen. Zumal Fritsch nach seinem Abitur
nicht einmal bereit war, den Aufbau und die Errungenschaften des Sozialismus
gegen den ewig dräuenden Klassenfeind mit der Waffe in der Hand
zu verteidigen. Als Wehrdienstverweigerer wurde er Spatensoldat. Noch
während der Dienstzeit in der NVA weigerte er sich zusammen mit
einigen Kameraden am Bau eines Schießplatzes mitzuarbeiten. Dafür
gab es ein halbes Jahr Militärgefängnis. „Na ja, die
haben uns in Ruhe gelassen…“ konstatiert Fritsch. „Für
die waren wir ein paar komische Paradiesvögel. Die wussten nichts
mit uns anzufangen.“ Keine Verbitterung ist in seiner Stimme,
kein Hass, nicht einmal Verachtung den einstigen Autokraten gegenüber,
die meinten, die tiefsten Geheimnisse der Demokratie in der Diktatur
des Proletariats entdeckt zu haben und nach dem Motto: „Wer nicht
für uns ist, ist gegen uns!“ die Biografien vieler guter
und fähiger Menschen mit Repressalien überzogen. Doch auch
hier zeigt sich Fritsch versöhnlich. „Ich habe in der DDR
den Beruf eines KFZ-Mechanikers gelernt. In Kofferraum meines Trabants
lag immer eine Ersatzkurbelwelle. Bei einer Panne hätte ich sie
jederzeit tauschen können. Ja, so waren wir Ossis…“
Er lacht. Das tut er übrigens oft und gerne. Kein bisschen affektiert,
keine Spur von Überheblichkeit im Gebaren des Inhabers des protokollarisch
höchsten Amtes im Land Brandenburg. Dieses Unkomplizierte, diese
Herzlichkeit, die warme, tiefe Stimme, diese von innen kommende Freundlichkeit
– er hat viel gemeinsam mit seiner verstorbenen Parteigenossin
und brandenburgischen Ministerkollegin Regine Hildebrand. Denn mittlerweile
konnte sich der passionierte Bergsteiger auch in politische Gipfelbücher
eintragen. Doch dazu später. Noch war er der DDR-Bürger Gunter
Fritsch, der zwischen 1967 bis 1990 als Labormechaniker und später
als Entwicklungsingenieur am Zentralinstitut für Optik und Spektroskopie
der Akademie der Wissenschaften der DDR arbeitete. Nebenher ließ
man ihn trotz Bausoldatenvergangenheit und christlichem Bekenntnis von
1967 bis 1974 ein Fernstudium an der Dresdner Technischen Universität
absolvieren. Diplom-Ingenieur für Hochfrequenztechnik war er nach
erfolgreicher Beendigung dieses Studiums. Aber „Leitungskader“
– das kam noch immer nicht in Frage. Dann aber kollabierte die
DDR im Jahre 1989. Politische Parteien begannen sich neu zu formieren
und zu gründen. In seinem Wohnort Müncheberg gehörte
Fritsch zu den Gründungsmitgliedern der Sozialdemokratischen Partei,
die dann auch prompt in den ersten freien Kommunalwahlen 1990 stärkste
Fraktion im Kreistag wurde. Nun brauchte man auch einen Landrat für
den Kreis Strausberg und so sagte man zum SPD-Kreisvorsitzenden Fritsch:
„Na, dann mach mal!“ Was ein Landrat ist, davon hatte niemand
eine Ahnung. Aber was soll’s! Ärmel hoch! Wozu gibt’s
runde Tische. Wenn es Probleme in seinem Kreis gab, holte der frischgebackene
Landrat die Beteiligten an einen solchen im Landratsamt. Dann wurde
vorgetragen, überlegt, nach einem verträglichen Mittelweg
gesucht, mit dem dann alle leben konnten. Handschlag. „Ja, so
machen wir es also!“ Das galt dann. Keiner rannte hinterher zu
einem Verwaltungsgericht mit der Ambition stur und steif sein verbrieftes
Recht zu erstreiten. Man glaubt es kaum, aber es gab im Osten Deutschlands
der unmittelbaren Nachwendezeit wirklich einmal solche Tendenzen des
politischen Miteinanders. Und genau das entsprach dem Politikverständnis
des Gunter Fritsch. Politik, das darf nicht der Kampf um die Macht sein.
„Macht“, das ist so ein Begriff, dem er sehr, sehr skeptisch
gegenüber steht. „Konsens“, „Miteinander“,
das hört sich schon besser an. Ein Gerangel um Macht aber ist letztendlich
oft unproduktiv und verschleißt auf Dauer nur alle Kräfte.
Politik, das bedeutet für Gunter Fritsch argumentativer Kampf um
tragfähige Mehrheiten, um Interessenausgleich, um Interessenkonvergenz.
Politik – das ist die Kunst des Zuhörens. „Der andere
auch!“ lehrte Tucholsky. Den anderen achten, akzeptieren, nach
Möglichkeit immer mit ihm, nicht gegen ihn. Diese Grundüberzeugung
trug der mittlerweile nach der Kreisreform zum Landrat des Großkreises
Märkisch Oderland aufgestiegene Fritsch so überzeugend vor,
dass ihn Ministerpräsident Stolpe bat, der brandenburgischen Landesregierung
als Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beizutreten.
Fritsch wurde Minister – und es machte ihm Freude. Man kommt herum
im Land. Man lernt die Bevölkerung und ihre Probleme kennen, beteiligt
sich an der Suche nach Lösungen, kann was bewegen. Das entsprach
so ganz seinem Wesen. 1999 gab er dann das Ministerium an Wolfgang Birthler
ab und zog in den Brandenburgischen Landtag ein. Parlamentarische Erfahrung
hatte er bis dahin reichlich gesammelt, denn von1990 bis 1993 war er
Stadtverordneter von Müncheberg und von 1993 bis 1997 Mitglied
des Kreistages Märkisch-Oderland. Die Fraktion kürte ihn denn
auch umgehend zum Fraktionsvorsitzenden, was er bis 2004 blieb. Das
Plenum wählte den als ehrlichen Makler bekannten Fritsch zum Präsidenten
des Brandenburgischen Landtages. Das ist er bis heute. Außerdem
ist er Mitglied des Finanzausschusses der Brandenburger SVV, Rotarier,
Mitglied des Dom-Fördervereins, Vorsitzender des Landestourismusverbandes
Brandenburg e. V. und, und, und... Gipfel über Gipfel. Auch Matterhorn,
Kilimandscharo und Mont Blanc gehören inzwischen dazu. „Aber,
“ sagt Gunter Fritsch „es ist wie dort: Wenn man ganz oben
ist, dann lernt man sich selbst als Person nicht zu wichtig zu nehmen.“
Das ist sein Markenzeichen als Politiker und als Mensch: Das Amt muss
den Menschen dienen und nicht dem Amtsinhaber. Diese Haltung gehört
zu den wertvollsten Traditionen Brandenburgs seit den Tagen seines zweiten
gekrönten Landesvaters, des Preußenkönigs Friedrich
Wilhelm I. und sie fand immer wieder ihre Bewahrer, bis hin zu dem Gipfelstürmer
Gunter Fritsch.