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Philosoph am Dirigentenpult
Michael Helmrath ist Chefdirigent der Brandenburger Symphoniker

Michael L. Hübner
Seit 1999 strahlt einer der hellsten Sterne am deutschen Dirigentenhimmel über Brandenburg an der Havel. Dabei plante der spätere Generalmusikdirektor Michael Helmrath, der 1954 in Wuppertal-Elberfeld geboren wurde, anfangs gar keine musikalische Laufbahn. Lehrer wollte er werden, für Deutsch und Philosophie. Diese Fächer lagen ihm. Das mit der Musik kam so eher zufällig. Wuppertal hatte ein wunderbares Sinfonieorchester. Wenn der junge Michael Helmrath dessen Aufführungen besuchte, dann tat sich vor seinen Augen und Ohren eine faszinierende Welt auf. Da saßen die Musiker im magischen Halbdunkel ihres Orchestergrabens und von dort hervor erschallten die Töne und Klangfarben, zu denen sich der Junge hingezogen fühlte. Was Wunder, in der Familie stand man der Musik schon seit einigen Generationen sehr nahe. Der Großvater war Bassist an der Oper der schlesischen Metropole Breslau, die Mutter hatte dort ebenfalls ein Engagement. Das hieß aber nicht notwendigerweise, dass man den jüngsten Spross der Sippe gleichfalls zur Musik verpflichtete. Das tat man erst im obligatorischen Schulorchester, in dem man Michael eine Oboe in die Hand drückte. Auch deren Zauber konnte sich Jung-Helmrath nicht entziehen. Dieses Holzblasinstrument mit dem weichen, sanft quakenden Ton wurde fortan sein ständiger Begleiter. „Wussten Sie, dass ein Oboist seine Mundstücke, oder wie der Fachmann sagt: sein „Rohr“, selbst fertig?“ fragt Helmrath schelmisch lächelnd. Wie bitte? Der Musiker ein Drechsler, Tischler, Schnitzer? „Bevor man ordentlich Oboe spielt, hat man bereits einen Wäschekorb voller Rohre hergestellt. Das meiste davon ist Murks. Ein Rohr schnitzen ist so eine filigrane Feinarbeit. Mit dem Rohr nämlich bringt man das Instrument zum Klingen oder zum Schweigen.“ Leider kann er seine Oboe nicht mehr zeigen, nicht mehr auf ihr vorspielen. „Die ist jetzt in Japan.“ Dem japanischen Käufer hatte der eingravierte Name des späteren Dirigenten sehr imponiert. Nun, Helmrath hätte jetzt auch keine Verwendung mehr für das gute Stück, denn seit langem schon hat er das Instrument mit dem Dirigentenstab vertauscht.
Als man ihn jedoch damals zur Bundeswehr einzog, in das Stabs-Musikkorps in Siegburg nämlich, da stattete man ihn mit einer Lyra aus. Diese entsprach nun nicht der saitenbespannten Erfindung des Götterboten Hermes, welche dieser seinem Bruder Apollon verehrte. Vielmehr zählt dieses Instrument im Militär zu den Vertretern der Glockenspiele. Während der Soldat Helmrath also fleißig seine Klangplatten anschlug, musste ein Auge immer der marschierenden Truppe gehören. Sonst konnte es geschehen, dass der Lyra-Spieler plötzlich ganz woanders hin lief als der Rest der Kompanie. Eine gute Übung für kommende Zeiten, denn obwohl noch mit seiner Oboe verbandelt, sah ihn doch die Vorsehung bereits am Dirigentenpulte stehen, einem Platze also, von dem aus er neben der Partitur auch gleich noch das gesamte Orchester im Blicke haben musste. Noch aber studierte er in Köln sein Fach Oboe und sah nur ab und an bei der Dirigentenklasse vorbei. Helmrath wollte nun mal Orchestermusiker werden. Bezüglich seines späteren Werdeganges war das haargenau die richtige Entscheidung. Denn ein Dirigent, der frisch von der Schule kommt und ein Orchester nicht von innen heraus kennt, steht schon mit einem Bein auf verlorenem Posten. Das Studium neigte sich seinem Ende zu, da erblickte Helmrath in einer Fachzeitschrift ein Inserat, mit der das Orchester Gelsenkirchen einen Solo-Oboisten suchte. „Na ja, schau dir mal an, wie so ein Vorspielen abläuft. Kannst du später mal gebrauchen“, dachte sich Helmrath und fuhr hin. Er spielte vor – und hatte den Job. Veni, Praeludi, Vici – die ganze gut vorbereitete und teilweise auch exquisite Konkurrenz hinter sich lassend. Ein Wesenszug dieses Michael Helmrath – ein unverkrampfter Könner, hoch gebildet, voller Witz Geschmack und Esprit und doch in sich ruhend. Ein echter Renaissance-Mensch eben.
Nun hatte er also seinen ersten Vertrag. Abschluss hin oder her! Den macht man sowieso nur um sich auf eine Stelle bewerben zu können. Und die hatte er ja jetzt inne. Es dauerte gar nicht lange, da wurde die Stelle des Solo-Oboisten bei den Münchner Philharmonikern ausgeschrieben. Sergiu Celibidache stand dem Klangkörper vor. Und wieder: „Fährst mal hin. Tust du es nicht, ärgerst du dich später…“ Helmrath fuhr, spielte vor und war frisch gebackener Philharmoniker. Der weltberühmte Celibidache wurde bald auf den jungen Holzbläser aufmerksam, diesen Mann, der Musik nicht einfach nur spielt, sondern mit philosophischem Respekt erschließt. Aber da war noch mehr. Der blitzgescheite Helmrath hatte Führungsqualitäten und das Zeug zum Dirigenten. Auch das erkannte Celibidache. Viele von Celibidaches Anschauungen gingen auf seinen Schüler Helmrath über, so die Auffassung, Musik sei eine Sache, die „im Augenblick der Entstehung“ lebe und sich nur bedingt zum Konservieren eigne. Auch die Liebe zur japanischen Hochkultur teilten die beiden. Celibidache förderte Helmrath, der alsbald Einladungen zu Orchestern mit großen und weltläufigen Namen erhielt. Der Nachwuchsdirigent assistierte Männern wie Yehudi Menuhin und Leonard Bernstein. Diese Aktivitäten wirkten sich multiplikatorisch auf den weiteren Werdegang des aufgehenden Musikersterns Helmrath aus. Als 43jähriger übernahm er die Leitung der Dresdner Sinfoniker, mit denen er seither vorwiegend zeitgenössische Musik zur Aufführung bringt. Zwei Jahre später dann kam er als Chefdirigent nach Brandenburg an der Havel. Ein brillantes Orchester und ein hervorragender Dirigent trafen aufeinander. Für die Brandenburger Musiker ein Glücksfall, denn ihr Chefdirigent sieht in jedem einzelnen Orchestermitglied eine starke Persönlichkeit und einen selbständigen Charakter mit eigenen Vorstellungen von Interpretation und Gestaltung eines Werkes. Er, der seit 2006 selbst das Fach „Dirigieren“ an der Berliner Musikhochschule „Hanns Eisler“ lehrt, begreift sich als Primus inter pares, führt durchdacht und überlegt und spielt nicht den zweiten Karajan. Sein Konzept hat Erfolg, denn schon 2002 nominierte die Zeitschrift „Opernwelt“ den Brandenburger Klangkörper zum „Orchester des Jahres“. Mittlerweile dürfte kein Zweifel mehr daran bestehen, dass dieses Gespann, die Brandenburger Symphoniker und ihr Dirigent, der Kulturexportschlager Nummer eins der Chur- und Hauptstadt ist. Beide zusammen bilden ein international bekanntes und geschätztes Ensemble, mit dem die Stadt Brandenburg sich zu Recht schmücken kann.

13. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2008
28.12.2008