SMS
Scholcher
M. Druckepennig
Mir gegenüber im Zugabteil sitzt eine junge Dame und simst!
Moment mal, was macht sie? (Übrigens – das fragt
mich mein Rechner auch gerade und streicht das Wort rot an…)
Na, sie simst halt! Ihr knöchriger kleiner Daumen flitzt
über die Tastatur ihres Mobiltelephons, in ihren Kreisen
auch „Handy“ genannt. Es wird eine Nachricht an
einen anderen Funktelephonbesitzer erstellt und dann versandt.
Eben diese Nachricht nennt man SMS. Allgemeinposten, was? Tja,
so allgemein, daß es schon niemand mehr für nötig
hält darüber nachzudenken, was da für merkwürdige
Neuschöpfungen Einzug in das große Gebäude der
deutschen Sprache halten.
Sehen wir mal was eine SMS ist. Bezüglich der Übersetzung
wird es bei den meisten Handy-Usern schon hapern. Es ist eine
Nachricht, die vom Mobilfunkbetreiber-Dienst „Short-Message-Service“
übermittelt wird. Wir haben es also mit einem Kurz-Mitteilungs-Dienst
zu tun, könnten das Ganze auch KMD nennen. Tun wir aber
nicht. Wir haben ja so sehr mit unserer hirnschelligen Anglomanie
zu kämpfen, daß da regelmäßige tiefe Fronteinbrüche
nicht ausbleiben.
Nun gut, diese Abkürzung hat sich mit Erfolg in die Gruppe
der deutschen Hauptwörter hineingeschummelt und wird seither
mit den Artikeln „die“ oder „eine“ geadelt.
God save the German Sovereign! Sowenig aber ein wahrer Rittersmann
kein wahrer Rittersmann ist, so ihm kein männiglich Schwert
von der gewappneten Seite baumelt, so schamvoll muß sich
auch ein Substantivum verstecken, wenn es nicht mindestens ein
Zeitwort im Schlepptau hat. Ein Verb muß her. Gebt mir
ein Verb! Eine anständige Sprache für ein Verb!
Was machen wir, wenn wir eine SMS versenden? Schauen wir zu,
was wir aus den drei englischen Buchstaben basteln können.
Hm!
Zunächst einmal müssen wir die Leeräume zwischen
den Konsonanten mit Vokalen füllen. Alles andere sieht
zu blöd aus. Oder? Nun, die alten Hebräer verzichteten
großzügig auf Vokale und konnten trotzdem prima lesen.
Aber das waren eben auch kluge Köpfe und keine dußligen
Nachäffer. Deswegen haben sie trotz brutalster Verfolgung
durch die Jahrtausende heute noch eine Identität. Die Unsrige
ist dagegen schon lange über den Jordan. Und also brauchen
wir stramme Nationalsozialisten, damit uns einer daran erinnert,
wer wir sind…
Was soll’s! Zurück zu unserer Verbensuche! Die Vokale,
wo sind die Vokale?
Wir Deutschen haben fünfe an der Zahl, beinahe achte. Die
letzten drei sind zusammengesetzte Selbst- oder Umlaute: A,E,I,O,U
und Ä, Ö, Ü.
Die Position des letzten Vokals in unserem zu kreierenden Zeitwort
ist eigentlich festgelegt: Ein „e“ muß es
sein, denn deutsche Verben enden für gewöhnlich auf
„e“.
Wunderbar! Das macht uns die Sache schon einfacher: Zwischen
„m“ und dem zweiten „s“ brauchen wir
keinen Vokal – die „Amsel“ kommt auch ohne
einen solchen aus, und wer da meint, der sprachfaule Michel
erwärmte sich für lange Worte, der kennt ihn schlecht!
Besetzen wir die Stelle zwischen dem Eingans-„s“
und dem „m“: Da hätten wir „samsen“,
„semsen“, „simsen“, „somsen“,
„sumsen“, „sämsen“, „sömsen“
und „sümsen“. Letztere drei fallen sofort aus.
Kämen wir auf die Idee, Umlaute zu verwenden, würde
selbst dem dümmsten „Handyisten“ ein Seifensieder
über die Sinnlosigkeit aufgehen, die dem Ganzen zugrunde
liegt. Das muß verhindert werden. Keine Macht dem Verstand!
Was bleibt? „Samsen“. Na ja. Die deutsche Filmindustrie
erschuf ein „Sams“. Genauso dußlig, aber eben
schon belegt. Wir würden mit „samsen“ etwas
assoziieren, was ein „Sams“ treibt. Was treibt ein
„Sams“?
„Semsen“? Klingt gewöhnungsbedürftig.
Aber an was mußten wir uns nicht alles schon gewöhnen?
Doch halt! In der phonetischen Nähe liegt eventuell „sähen“,
oder „mähen“. Vorsicht! Das hat etwas mit schaffender
Arbeit zu tun. Puh! Bloß weg. Nee, so was will der Michel
nicht.
Gehen wir mal von hinten ran: „Sumsen“. Das machen
die Bienen, wenn sie nicht gerade summen oder Honig sammeln.
Hat auch etwas mit Vernunft und Fleiß zu tun und beim
SMS- versenden geht es nun mal selten mit solchen Dingen zu.
Lehnen wir ab. „Somsen“ klingt irgendwie blöd
– also passend. Aus irgendwelchen Gründen hat sich
der doofe Michel nun aber für „simsen“ entschieden.
Wahrscheinlich weil das „m“ „em“ gesprochen
wird und „i“ am „e“ nun mal am nächsten
dran ist. „Semsen“ ging nicht, wissen wir schon.
So, das war eine schwere Geburt. Aber wir werden mit einem neuen
Schwarzen Loch am Sternenhimmel der deutschen Sprache belohnt
– dem „Simsen“.
Ich simse, du simst, er/ sie/ es simst, wir simsen, ihr simst,
sie simsen.
Simste, habe gesimst, werde simsen, werde gesimst haben, hatte
gesimst, habe gesimst gehabt, hatte gesimst gehabt, hatte gesimst
getun gemacht gehabt. Das ist die Hölle der Germanisten.
Wer hier eintritt, der laß alle Hoffnung fahren!
Da gibt es ja noch einige, die behaupten, das Simsen brächte
die legasthenische Jugend der Tugend des Schreibens wieder näher.
Ach, die heillosen Narren! Glauben sie wirklich, daß die
Tippelei aus Stotterern Lyriker macht? Nein, das Gestammel setzt
sich unter krudesten grammatischen und orthographischen Verrenkungen
auf den Handydisplays fort. Das ist so sicher wie das Amen in
der Kirche.
Und meine zarte, überschminkte Gegenüber? Sie hatte
gesimst gehabt, daß es rauchte. Die Landschaft flog am
fahrenden Zuge vorüber. Sie bekam es nicht mit. Der See
glitzerte und warf das zarte Blau des Himmels zurück. Sie
merkte nichts davon. Eine altrosa Kuh in hellblauem Tüllkleidchen
drehte auf einer einsamen Eisscholle auf Schlittschuhen die
zierlichsten Pirouetten – die simsende Maid war blind
für diese Sensation.
Traurig fuhr der Zug in den Bahnhof – die E-Lok schnaufte
enttäuscht. Die buntgetünchte Jungfer simste noch
immer. Die doofe Jenny mußte nun mal wissen, was sie für
eine blöde Tusse ist, der süße Randy sollte
um 17:00 Uhr vor dem Kino stehen, ihre Schwester soll noch an
den Lipgloss und die Gummifuffziger denken.
Eine Zeit lang überlegte die Bahnhofslaterne noch ob sie
ausweichen sollte. Sie entschied sich fürs Stehenbleiben.
Es gab ein dumpfes „Klong“, als die Simsebraut mit
dem gußeisernen Kandelaber kollidierte. Ihre Augen hatten
etwas zulange auf dem Display ihres Handys geruht. Ich weiß
nicht, was sie dachte, als die Sterne um ihr blondiertes Haupt
rotierten. Aber ich bin mir sicher, daß sich ihr degeneriertes
Hirn nicht im Mindesten mit der etymologischen Herkunft des
Wortes „Simsen“ befaßte. Ihr Fluch jedenfalls
ließ diesen Schluß nicht zu.