Wiedergeburt
eines Wunders –
die Dresdner Frauenkirche
S.
M. Druckepennig
Wurde je ein Gotteshaus mit mehr Herzblut wieder aufgebaut
als diese Kathedrale des sächsischen Protestantismus?
Das ist kaum denkbar. Gleichwohl der schwülstige, überladende
Stil des Barock weder besonders mit unserem von der schlichten
Romanik vereinnahmten Kunstempfinden noch mit der Grundaussage
des von ihm repräsentierten Christentums in Übereinstimmung
zu bringen ist – dieses Bauwerk und das es umgebenden
Ensemble der Dresdner Altstadt bilden eine grandiose Ausnahme:
Die Frauenkirche ist schlicht überwältigend. Die
schiere Größe, die in sich ruhende und weiche
Gestaltung, die absolut harmonische Ausformung des Innenraums,
dieser Bau, der trotz seiner enormen Wucht zu schweben scheint
– hier ist etwas Wunderbares von Menschenhand geschaffen
worden.
Auch wenn der Besucher dem paulinisch-lutherischen Christentum
in kritischer Distanz begegnet, an diesem Gotteshaus kommt
er nicht vorbei. Wer sich ihm nähert, bemerkt sehr
schnell, in welchem Maße George Bährs Werk Liebe,
Respekt und Bewunderung erheischt. Der große Sohn
Sachsens muß zu den unsterblichen Namen des Reiches
gezählt werden.
An dieser Ehrung aber sollen auch diejenigen teilhaben,
die mit ungeheurem Engagement im Nachwende-Deutschland das
Wunder von Dresden vollbrachten. Eindrucksvoll stellten
die vom Wiederaufbau beseelten Frauen und Männer unter
Beweis, was menschlicher Wille vermag, wenn er sich gerade
mal nicht dem Bösen verschrieben hat.
Aus tausenderlei Gründen versahen nämlich viele
das Wiedererstehen dieses einzigartigen Bauwerks mit dem
Attribut „Unmöglich“. Als unrettbar verloren
wurde sie abgeschrieben – der traurige, von den Nazis
heraufbeschworene und von Bomber-Harris geschaffene Trümmerberg
sollte Mahnmal bleiben. Doch dieses Mahnmal hatte schon
vom Tage seiner furchtbaren Geburt am 13.April 1945 jeden
Sinn verloren. Weder vermochte es den kalten Krieg und das
Wettrüsten zu verhindern, noch irgendeinen anderen
bewaffneten Konflikt irgendwo auf der Welt. Niemand sagte:
„Laßt uns einen Blick auf die zerstörte
Frauenkirche werfen und dann überlegen, wie wir ohne
Gewalt unsere Differenzen ausgleichen können.“
Niemand, wirklich niemand!
Der Schutthaufen bot nur Anlaß zu Depression und stiller
Verzweiflung. Man begriff in seiner Gegenwart die Unbelehrbarkeit
des Nackten Affen und sein ganzes Potential an zerstörerischer,
dummer Bosheit. Resignation – mehr war diesem Platz
nicht abzuringen!
Der Wiederaufbau aber spricht eine ganz andere Sprache –
die Botschaft heißt unmißverständlich:
Au Contraire! Es gibt Hoffnung. Es gibt Menschen, die anders
sind und anders denken. Die Unsterbliches zu leisten imstande
sind! Und derer sind eben nicht Wenige. Denn Wenige hätten
das kaum zu leisten vermocht. Die Tausende Tonnen Sandstein
ruhen auf Millionen Schultern! Das ist der größte
Triumph.
Und was, werden Sie eventuell fragen, ist mit dem Argument,
wir hätten es hier keineswegs mit der Frauenkirche
zu tun, sondern lediglich mit einer Replik? Wischen Sie
es vom Tisch! Es ist der Beachtung nicht wert! Wahrschau
und Danzig Repliken? Lächerlich! Schloß Charlottenburg
eine Replik? Absurd! Das Brandenburger Paulikloster Strass?
Kommen Sie! Was soll der Unfug? Es sind samt und sonders
Kunstwerke. Die Wahrschauer Altstadt, die Rechtstadt von
Danzig, das Paulikloster... es ist egal, welches Jahrhundert
sie erschuf.
Sollen die Russen wirklich auf die Nachbildung des Bernsteinzimmers
verzichten, weil es nicht mehr DAS Bernsteinzimmer wäre?
Was wäre denn am zweiten Bersteinzimmer weniger wertvoll
als am Ersten? Was?
Die ingenieurtechnische Leistung, die künstlerische
Hingabe, die Beseeltheit der Bauschaffenden – das
gibt einem Kunstwerk die Authentizität – nicht
die Ursprünglichkeit um der Ursprünglichkeit willen.
Die Dinge so zu sehen ist Onanie! Die Dinge müssen
dem Herzen, der Seele und den Augen Freude bereiten –
das alleine zählt.
Der Canaletto- oder Schischkinblick ist wieder vollständig.
Wer käme, wenn er es nicht besser wüßte,
vom anderen Ufer der Elbe her auf den Gedanken, daß
dort, wo vor kurzer Zeit noch ein Loch in der Silhouette
schrie, eine „Replik“ der Hauptstadt Sachsens
ihre Anmut und Würde zurückgibt? Wir wollen diesem
Schwachsinn keine weitere Zeile mehr widmen.
Nein, das Gefasel um den Sinngehalt einer solchen Rekonstruktion
ist Narrengeschwätz. Und es ist ein schlimmes Zeichen
für Preußen, daß gerade unser sachlich-nüchternes
Land mit derlei Blödsinn kostbare Zeit vertut, während
zu Dresden bereits eine wiedergeborene Schönheit den
Platz um das Luther-Denkmal in ein babylonisches Stimmgewirr
und in ein internationales Blitzlichtgewitter taucht. Die
Sachsen babbeln nicht – sie klotzen. Was für
Nachbarn!
Am meisten aber bewundern wir ihre Heimatliebe und -verbundenheit.
„Unser Dresden...!“ Ach, diese Einstellung ist
wohl das Einzige, was den Wert der Frauenkirche noch übertrifft.
Die Dresdner haben richtig entschieden! Ihr Lohn ist der
großen Tat würdig: Das goldene, das vielgeliebte,
das nonchalante Dresden, daß nach dem Kriege zerbombt
und verflucht war, zu einem bedeutungslosen Provinznest
hinter dem Eisernen Vorhang degeneriert zu werden, zu einer
grauen Maus im tristen Kleid der ostdeutschen 50er Aufbaujahre,
dieses Dresden ist zurückgekehrt in die Spitzenliga
der europäischen Metropolen. Wer wollte fernerhin der
sächsischen Residenz die Nennung in einem Atemzug mit
Paris, Venedig, Florenz oder Wahrschau verwehren? Als das
englische Kuppelkreuz der Frauenkirche krönend aufgesetzt
wurde, da begann das Herz Sachsens wieder zu schlagen –
kräftig, mächtig, stolz und frei.
Die neuzeitlichen Sachsen waren nie große Krieger
– dafür waren sie seit jeher Helden friedlichen
Schaffens. Unser preußisch-kriegerischer Ruhm, erfochten
unter Strömen von Blut und Tränen, Not und Entbehrung
verging wie ein Waadi in der Wüste. Wofür haben
die gelitten, die ihn erfochten? George Bährs Frauenkirche
aber steht und verkündet uns eine andere Weltsicht:
friedlich erworbener Ruhm übersteht selbst die Glut
von tausend Bomben! Vivat Saxonia!