Sigma
– ein Idee, wie man Geld macht
S.
M. Druckepennig
Die Zeiten werden zusehends härter, die Geldkatzen dünner,
man muß sehen, wo man bleibt!
Das wissen wir alle. Wie also in solchen Fällen den Leuten
für beinahe dasselbe Produkt fast doppelt soviel Geld aus
der Tasche locken? Ein gordischer Knoten, so scheint es.
Die Firma Sigma Fahrradcomputer hat ihn aufgelöst, ohne ihn,
wie weiland Alexander der Große, erst mit dem Schwerte zerhauen
zu müssen.
Genial! Und jetzt sind Sie neugierig, wie das geht, was?
Der Landbote wäre nicht der Landbote, wenn wir Sie auf dem
Trockenen sitzen ließen.
Also aufgemerkt! Es ist gar nicht so schwer:
Der Kollege Bajun besitzt ein Sportrad und zwei Rennräder.
Seit jeher bekommt er seinen Inneren Schweinehund, welcher ihm
permanent zur Bewegungsträgheit rät, nur mit Hilfe eines
Fahrradrechners (früher sagte man einfach „Drahteseltachometer“)
in den Griff. Die gefahrenen Kilometer lassen seine Russenbrust
stolz anschwellen, die Zeitfunktionen spornen ihn zu stetem Training
an. Ohne den Tacho besteigt er seine Velozipede nie!
Und der Herr stellvertretende Chefredakteur schwört seit
vielen Jahren auf die Tachobude „Sigma“. „Feine
Geräte sind das“, pflegt er zu sagen, „teuer
aber zuverlässig, von großem Funktionsumfang, dabei
leicht zu bedienen und von ausgezeichneter Qualität.“
So fing er also mit einem Sigma 800 an, tauschte dies später
gegen ein 1200er. Selbst der Frau Lektorin Katzentraum schenkte
er ein solches Sigma 1200, so begeistert war er von dem Gerät.
Dabei legte man schon damals für diesen Bordcomputer locker
40 DM auf den Tisch.
Doch was machte das schon? Der Clou war, daß Herr Bajun
seinen Straßenesel auf dem Modus „I“ laufen
lassen konnte und seine beiden Rennesel über den Modus „II“.
Das war insofern wichtig, weil das Sportrad weitaus größere
Raddurchmesser besaß als die Rennräder mit ihren „Trennscheiben“.
Ein nicht umschaltbares Gerät hätte also beim Wechsel
vom einen auf den anderen Fahrradtyp ganz verfälschte Werte
angezeigt. Man brauchte nur einen Kugelschreiber dabei zu haben,
piekste beim Wechsel von „I“ auf „II“
auf der Rückseite des abnehmbaren Computers in eine kleine,
gummierte Vertiefung – und fertig war die Laube! Der Betriebsmodus
war umgeschaltet. Die Fahrradtour konnte beginnen.
Nach einigen Jahren aber begab es sich, daß Herrn Bajuns
Sigma 1200 während eines ekligen Nieselregens Wasser zog
und seither kaum noch zu gebrauchen war.
Na ja, ärgerlich, aber nicht zu ändern. Muß man
halt ein neues Gerät kaufen. 1200er gab’s nicht mehr.
Schade!
Die nächst größere Klasse, aber immerhin vergleichbar
und mit einigen, diesmal wirklich überflüssigen Mehrfunktionen
ausgestattet, war das 1606L. Der Preis pendelte wiederum um die
20 Euro. Herr Bajun schluckte – und kaufte den Tacho.
Eine der Verbesserungen, so machte es zunächst den Eindruck,
bestand darin, daß man offensichtlich auf den obligaten
Kugelschreiber zum Umschalten verzichten konnte. Statt vorher
zwei, besaß das gute Stück nun vier Tasten zum Einstellen.
Mann konnte per Tastendruck die römische „II“
aufs Display zaubern.
„Zu irgendwas Nützlichem muß der technische Fortschritt
ja mal führen“, so dachte der Russe. Groß aber
war seine Verwunderung, als er ein Rennrad aufsattelte und mit
dem Modus „II“ losfahren wollte: Mit dem ersten Kontakt
des Speichensensors schaltete das Gerät auf „I“
zurück und fuhr mit den Werten des Straßenrades. Herr
Bajun war verblüfft und dachte zunächst an einen technischen
Defekt. Selbst der Radhändler wußte nicht viel mehr
darüber zu sagen und rief den technischen Dienst der Firma
Sigma an.
Und die lüftete ihr Geheimnis:
Statt zwei Kontakten auf der Rückseite des 1200ers besaß
das 1606L nun derer fünfe. Wollte man es auf einem zweiten
Rad betreiben, so war der Kauf eines zusätzlichen, speziellen
Sensorschuhs erforderlich, in welchen das Gerät während
der Fahrt eingeklickt wird. Dieser Sensorschuh kostete hinwiederum
weitere stolze € 10,-, also, nota bene: Die Hälfte des
Anschaffungspreises des Fahrradcomputers. Herr Bajun saß
bereits auf dem Leim. Da kam er nicht mehr raus. Das Gerät
selbst war fehlerfrei, eine Rückgabe unmöglich.
Wollte er also mit seinen beiden Rennrädern weiterradeln,
so mußte er wohl oder übel zwei zusätzliche Steckschuhe
für den „II“er-Modus dazukaufen. Summa summarum
€ 20,- plus den Anschaffungspreis des Basisteils € 20,-:
Da war er schon bei € 40,-.
Jetzt begann er zu kochen.
Aber, aber! Herr Bajun! Wer wird denn gleich…? Dafür
braucht’s doch den Kugelschreiber nicht mehr. Der Fahrradcomputer
erkennt nunmehr selbstständig, ob er im „I“er-
oder im „II“er-Betrieb laufen soll. Viel Arbeit gespart!
Hurra!
Und die Firma Sigma ist glücklich.
Bilanzieren wir noch einmal:
Früher: ein Gerät zu € 20,- und ein billiger Kugelschreiber
zu ein paar Cent (zur Not tat’s auch ein Nagel oder ein
Bleistift).
Heute: fast dasselbe Gerät zu € 20,- und noch mal €
20,- drauf, macht nach Adam Riese: € 40,-! Im Gegenzug wurde
das Mitführen eines Kugelschreibers entbehrlich, was aber
nur bei denen Analphabeten merklichen Effekt machen dürfte.
Ein Journalist ohne Kugelschreiber – undenkbar! Also Einsparung:
Null
Sie müssen nicht glauben, daß man vor dem Kauf des
Sigma 1606L irgendwie auf diesen Umstand hingewiesen hätte.
Selbst der Fahrradhändler „Radhaus“ in der Berliner
Franklinstraße war ahnungslos, obwohl er den „II“er-Sensorschuh
im Sortiment führte, wie sich später herausstellte.
Und nun wissen Sie, wie’s geht. Tauschen Sie die Variablen
in der Gleichung Ihren Bedingungen entsprechend aus und werfen
Sie sie an, die Gelddruckmaschine!
Warum wir das nicht tun, fragen Sie? Weil wir Preußen sind!
Wir wollen reell bleiben, das ist unsere Ehre! Diese Auffassung
ist unser Credo und daher weder verkäuflich noch verhandelbar.
Das unterscheidet uns von der ansonsten von uns sehr geschätzten
Firma Sigma.
Wir bedauern diese harte Kritik von Herzen, sehen es aber als
unsere unbedingte Pflicht, unsere verehrte Leserschaft vor unseren
bitteren Erfahrungen zu schützen. Sie sollen etwas davon
haben, wenn Sie den Preußischen Landboten lesen!
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