Von Brandenburg nach Guantanamo
                 Zu einem Vortrag Dr. Hans-Georg Kohnkes 
                vor dem Brandenburger Verein für Stadtgeschichte
                 B. 
                  St. Fjøllfross
                  „Die Welt ist ein Dorf…!“ Kaum gesagt, sehe 
                  ich Sie mit den Augen rollen: „Was er nur wieder will? 
                  Was kommt jetzt? Eine Vorlesung über das Informationszeitalter 
                  und dessen Parole vom „globalen Dorf“? Nein, es 
                  ist viel spannender: Es geht um die Verquickung einer relativ 
                  unbedeutenden Stadt in die ganz große Weltpolitik. Wie 
                  das? Nun, ich kann Ihnen versprechen – auf wundersamen 
                  Pfaden. Doch beginnen wir – wie es sich gehört – 
                  am Anfang:
                  Am 15. März 2006 hielt der Chef des Brandenburger Museum, 
                  Herr Dr. Hans-Georg Kohnke auf Einladung des Brandenburger Vereins 
                  für Stadtgeschichte einen Vortrag zur Geschichte der sogenannten 
                  „Operation Pastorius“. Dazu müssen Sie wissen, 
                  daß die Stadt Brandenburg, traditionelle Garnisonsstadt, 
                  im Zweiten Weltkrieg auch eine Sondereinheit beherbergte, die 
                  unter dem Namen „Division Brandenburg“ oder auch 
                  „Die Brandenburger“ in die Militärgeschichte 
                  einging. Diese Truppe unterstand nicht der Wehrmacht, sondern 
                  der Abwehr des Admirals Canaris. Ihre Hauptaufgabe bestand in 
                  der Durchführung von Diversionsakten hinter den feindlichen 
                  Linien. Da sollten Brücken, Fabriken, Transportwege gesprengt 
                  und mit allerlei anderem Terror dem Feinde das Leben schwer 
                  gemacht werden. Dazu wurde Männer rekrutiert und ausgebildet, 
                  die meist einen entsprechenden ethnischen Hintergrund vorweisen 
                  konnten – die man also bedenkenlos in eine feindliche 
                  Uniform stecken konnte, ohne befürchten zu müssen, 
                  daß sie bei nächster Gelegenheit im Feindesland auffielen. 
                  Eine dieser Truppen war die sogenannte „z.b.V. 800“, 
                  wobei „z.b.V.“ für „zur besonderen Verwendung“ 
                  steht. Was es mit der 800 auf sich hat, entzieht sich unserer 
                  Kenntnis. Vielleicht das Krönungsjahr Karls des Großen, 
                  oder die Kubikzahl des Truppenmotorrades. Keine Ahnung. Es ist 
                  nicht mal gewiß, ob es auch eine „799“ oder 
                  eine „801“ gab. Möglicherweise hatten die Nazis 
                  einfach nur einen infantilen Gefallen an dieser Zahl. 
                  Diese „800er“ aber waren ein merkwürdiger Haufen. 
                  Die deutsche Abwehr stellte diese Truppe aus jungen Männern 
                  zusammen, die aus ihrem krisengeschüttelten Heimatland 
                  U.S.A. ins aufbrechende Tausendjährige Reich getürmt 
                  waren. Da sich dieses gerade im Kriege mit dem Rest der Welt 
                  befand, sich mithin auch die Vereinigten Staaten von Amerika 
                  zum Feind gemacht hatte – beschloß man in der Reichsführung, 
                  den Amis auf dem eigenen Grund und Boden ein paar Hammerschläge 
                  reinzuwürgen. Ein finsterer Traum, der erst neunundfünfzig 
                  Jahre später von Osamas irrer Kamikazetruppe umgesetzt 
                  wurde… 
                  Wie dem auch sei: Die in Amerika aufgewachsenen Burschen gaben 
                  das ideal scheinende Menschenmaterial für die auf den Namen 
                  „Pastorius“ getaufte Operation. 
                  Auf die geplanten Sabotageakte wurde das Höllenfahrtskommando 
                  in einem vierzehntägigen Crashkurs auf dem Quenzgut zu 
                  Brandenburg an der Havel ausgebildet und dann mit U-Boten an 
                  die amerikanische Ostküste übergesetzt. Am 13. Juno 
                  1942 kamen die Diversanten in ihrer Heimat an, buchstäblich 
                  wie die Diebe in der Nacht. 
                  Folgte man den Ausführungen Dr. Kohnkes, so standen Einem 
                  trotz mangelnder Sympathie für die Sache der Nazis die 
                  Haare zu Berge: Was da an Dilettantismus und absoluter Unprofessionalität 
                  geboten wurde, ist für jeden Anhänger des Mythos vom 
                  deutschen Perfektionismus schier unfaßbar. Schon früher 
                  fiel der Haufe durch undiszipliniertes Verhalten auf. Sie soffen, 
                  spielten und krakeelten sich durch die Gegend. Die sonst so 
                  brillanten Menschenkenner bei der Abwehr erkoren einen persönlichkeitsgestörten, 
                  labilen und äußerst unzuverlässigen Hampelmann 
                  zum Quarterback der Mannschaft. Der Rest der Truppe war auch 
                  nicht viel besser. Anscheinend faßten diese den Windeln 
                  kaum entwachsenen Knaben das Ganze als eine Art Abenteuerspielchen 
                  für Auserwählte auf, bei denen nichts als Ruhm und 
                  Ehre zu gewinnen war. Blöderweise betraten sie auch noch 
                  in Zivil das amerikanische Festland, womit sie sich der Möglichkeit 
                  begaben, als PWs (Prisoners of War = Kriegsgefangene) ein Recht 
                  auf körperliche Unversehrtheit im Sinne der Genfer Konventionen 
                  zu reklamieren. Nachdem sie wie eine dumme Jungenbande dem FBI 
                  in die Hände liefen, wurde jene körperliche Unversehrtheit 
                  auf dem Elektrischen Stuhl nachhaltig zerstört. Nur zwei 
                  kamen mit dem Leben davon – ausgerechnet die beiden „Köpfe“ 
                  der Truppe. Denn diese verrieten alles an den Feind, bevor es 
                  noch richtig losgegangen war. 
                  Und so bekam jeder zum Abschluß noch eine Gelegenheit: 
                  Adolf Hitler auf seinem Teppich herumzubeißen, Canaris 
                  ein paar Juden mit unbeabsichtigter Führerdeckung zu retten, 
                  die Diversanten ihre bereits heimgegangenen Ahnen zu treffen 
                  und J.Edgar Hoover – der verkommene Boß des FBI 
                  – sein verbogenes Ego zu tätscheln. 
                  Nun werden Sie sagen: das ist ja alles ganz gut und schön 
                  – aber was hat das mit Guantanamo zu tun, wo die Amis 
                  gerade ein ziemlich illegales und berüchtigtes Konzentrationslager 
                  für Taliban & Consorten betreiben? 
                  Da ich Sie lange genug mit den ollen Kamellen gepeinigt habe, 
                  will ich Sie nicht länger auf die Folter spannen. (Beachten 
                  Sie den makaberen Beigeschmack des Wortes „Folter“ 
                  im Zusammenhang mit jenem exterritorialen KZ bei der kubanischen 
                  Schweinebucht. Daß die Vertreter des Imperium Quartum, 
                  des Vierten Roms, Folter beschönigend mit dem Euphemismus 
                  „Informationsgewinnung“ umschreiben, macht die Sache 
                  nicht besser.)
                  Nachdem nun in der ganzen Welt die Frage der Rechtmäßigkeit 
                  dieses KZs gestellt wurde und die Vereinigten Staaten zumindest 
                  noch den Anschein eines demokratischen und unabhängigen 
                  Rechtswesens aufrecht erhalten müssen, versuchten amerikanische 
                  Juristen und Intellektuelle das Problem im Sinne der amerikanischen 
                  Jurisdiktion zu bewerten. Nun müssen Sie wissen, daß 
                  die angloamerikanische Rechtsprechung mehr zum sogenannten „Case-Law“ 
                  tendiert – also mehrheitlich auf Präzedenzen fußt. 
                  
                  Man zieht also frühere Gerichtsentscheidungen zu einer 
                  ähnlich gelagerten Sache heran. 
                  In unserem Falle lag die ganze Geschichte nicht eben einfach: 
                  Immerhin gab der Heilige George Washington, Vater der noch heiligeren 
                  amerikanischen Nation, einstmals den sehr unrühmlichen 
                  Befehl, einen gegnerischen Zivilisten, der im Unabhängigkeitskrieg 
                  die Fronten überschritten hatte, umgehend zu erschießen. 
                  Daraufhin wurde er vom Obersten Gericht dahingehend abgemahnt, 
                  daß inskünftig ein solcher Fall dem nächsten 
                  zuständigen Zivilgericht zu übergeben sei. Genau über 
                  diese Weisung aber setzte sich der sonst so moderate und überlegte 
                  Präsident Roosevelt aus politischen und persönlichen 
                  Motiven hinweg und brachte die aufgegriffenen Dynamit-Bubis 
                  im Dienste des Hakenkreuzes vor ein Militärgericht, welches 
                  dann auch erwartungsgemäß sechs der acht Bösewichter 
                  zu Old Sparky (Elektrischer Stuhl) schickte.
                  Einer der unter Starkstrom Gesetzten hieß mit Nachnamen 
                  Quirin und es fügte sich, daß der Pflichtverteidiger 
                  jenes Quirin auf die erwähnte Abmahnung des Supreme Court 
                  reflektierte, wonach sein Mandant einem Zivilgericht zu überstellen 
                  sei. Herrn Quirin nutzte das wenig. Er gab sein Leben für 
                  eine verbrecherische Sache und seinen Namen einem Präzedenzfall 
                  für inakzeptable Rechtsbeugung. 
                  Und just bei der Verhandlung der Rechtmäßigkeit dieses 
                  Konzentrationslagers auf Guantanamo wurde der Casus Quirin und 
                  der Name der Stadt Brandenburg, in welcher Mr Q. einst ausgebildet 
                  wurde, in den Kreisen der amerikanischen Debattanten wieder 
                  aktuell. 
                  So schließt sich der Kreis: Brandenburg – Division 
                  Brandenburg – z.B.V. 800 – Quirin – Guantanamo 
                  – Quirin – Brandenburg. 
                  Nolens volens pokert also unsere arme Chur- und Hauptstadt für 
                  eine Lidschlag der Weltgeschichte am Ersten Tische mit. Im Angesicht 
                  des zweifelhaften Humors, mit dem die Geschichte ihre Treppenwitze 
                  zu erzählen pflegt, neige man andächtig das bescheidene 
                  Haupt!
                  Wie die Sache nun ins Rollen kam, fragen Sie? Da will ich Ihnen 
                  die Antwort nicht schuldig bleiben! Eines schönen Tages 
                  klingelte eine amerikanische Reporterin bei Herrn Dr. Kohnke 
                  an, dem sie ihren Internetrecherchen zufolge die Rolle des Hüters 
                  über die Geschichte der Stadt Brandenburg zuwies. Sie präparierte 
                  ihn auf den Besuch eines Top-Journalisten der Washington Post 
                  für den kommenden Tag. Nun ist dieses Blatt seit der Aufdeckung 
                  des Watergate-Skandals nicht ganz so einfach zu ignorieren, 
                  wie etwa der Preußische Landbote. (Aber wartet ab, bis 
                  wir ein Woodward-Bernstein-Gespann unter Vertrag nehmen… 
                  Wartet ab!)
                  So also mußte alles für den Empfang des Journalisten-Fürsten 
                  Mr Michael Dodd vorbereitet werden, der sich anschickte, vor 
                  dem Hintergrund der Guantanamo-Frage den Quellen des Casus’ 
                  Quirin nachzuspüren. Man besah sich die ehemalige Füsilierkaserne, 
                  welche die „Brandenburger“ beherbergte, und das 
                  Quenzgut, welches von einer jüdischen Familie gestohlen, 
                  den Nazis als Ausbildungsstätte für ihre Sondereinheit 
                  diente. 
                  Der jetzige Grundstückseigentümer – das RIVA 
                  –Stahlwerk, zeigte sich ungewöhnlich aufgeschlossen. 
                  (Wir werden die Probe aufs Exempel machen, ob die Stahlkocher 
                  dem Preußischen Landboten eine ähnliche Wertschätzung 
                  wie der Washington Post entgegenbringen.) 
                  So rührte man aus aktuellem Anlaß im großen 
                  Topf der Weltgeschichte herum und heraufgespült wurde die 
                  Stadt Brandenburg an der Havel – allerdings mit etwas 
                  zweifelhaftem Beigeschmack.
                  Für einen Augenblick tauchte unsere geliebte Heimatstadt 
                  an der Oberfläche, auf der Bühne des Großen 
                  Welttheaters auf. Wir wollen es gelassen sehen. Seit den Kampagnen 
                  der United Colours of Benetton wissen wir – nicht nur 
                  Positiv-Werbung ist eine gute Werbung. Die Hauptsache ist alleweil 
                  – man bleibt im Gespräch!