Baaks

zurück zum Landboten

 

Der Erzfeind und die Vogelseuche
von Don Miquele Barbagrigia

Nun ist es soweit: Der heimtückische Feind hat die Grenzen des Reiches überschritten. Die für alle weithin und an jedem Kiosk sichtbare Gazette mit den vier roten Lettern, deren Namen nicht genannt sein soll, jault mit wohl initiierter Panik auf! Gleichzeitig werden in Hamburg wie auch im gesamten Hause Springer die Sektkorken knallen und die strippenziehenden „Redakteurs“ jenes Blattes werden sich vor lauter Glückseligkeit sinnlos besaufen.
Was ist denn eigentlich passiert? Auf Rügen fallen einige Vögel vom Himmel. Ein Virus namens H5N1 hat sich ihrer Vogelleiber bemächtigt. Es scheint ein sehr virulentes Virus zu sein – umtriebiger und letaler vielleicht als so ein hanseatischer Schmierenredakteur – und zudem: Mit der Grippe ist ja im Allgemeinen nicht zu spaßen. Den Historikern gut in Erinnerung ist noch jene legendäre, pandemische Influenza von 1918, von denen einige behaupten, sie habe maßgeblich geholfen, den Ersten Weltkrieg zu beenden. Also wird eine Wiederholung dieses traumatischen Ereignisses beschworen und ein großer, böser, schwarzer Grippeteufel an die Bild-Wand gepinselt.
Der Stoff ist nicht übel. Man kann mit Aufmerksamkeit rechnen. Immerhin haben die den Kontinent zu zwei Dritteln entvölkernden Epidemien des vierzehnten Jahrhunderts noch dumpfe Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterlassen. Daß sich solche Spuren nicht zu schnell verwischen, dafür sorgen schon von Zeit zu Zeit ein paar Katastrophenschinken aus dem Hause Hollywood.
Normalerweise heißt es „Sex sales!“, also „Sex verkauft!“. Doch wir sind die blühenden Weiberleiber mittlerweile leid. Wir können sie nicht mehr sehen, wie sie sich da lasziv und verlogen und prostituiert rekeln und Illusionen wie Seifenblasen in die Welt hinauspusten. Sie öden uns an. Sie locken keinen Hund mehr hinter dem Ofen vor. Wir gähnen…
Da muß also ’was anderes her. Woher eine Sensation nehmen, wenn gerade keine Besenkammer einem ehemaligen Tennisprofi über den Weg stolpert?
Und da kommt – gottgesandt – das auflagenrettende Virus. Diese bösartigen kleinen, von einer schlichten Eiweißhülle umgebenen, vagabundierenden Aminosäuren mit ihrem verdammten, autonomen Erbgut!
Es kann schlimm werden! Keine Frage! Der Sensenmann wird, wenn es dem Virus gelingt auf den Nackten Affen überzuspringen, wieder eine pandemische Ernte einbringen. Vielleicht hunderttausend Deutsche werden ihm zum Opfer fallen. Gemessen an der alltäglichen Beute der kaum an genetisches Material gebundenen Mikrobe der menschlichen Dummheit ist das herzlich wenig. Nahezu belächelnswert.
Wo aber wird ein für dieses letztgenannte Supervirus vermehrungsfreundliches Milieu jeden Tag aufs Neue unter großen Anstrengungen produziert? Na?
Just in dem Hause, in dem man nun so lautstark lamentiert, daß die mörderische Grippe über das schutzlose deutsche Volk herfällt wie seinerzeit die Hunnen und Mongolen.
Dabei dürften doch hunderttausend dahingeschiedene Leser, Verzeihung, – Betrachter(!) des Massenblattes gar kein ernsthaftes Problem darstellen.
Wir kennen doch alle die Misere des Dummentöters: Für einen eingesackten Deppen wachsen zehn neue nach – schneller als die Köpfe der klassischen Hydra.
Einen Aspekt aber sollten wir doch noch einmal näherer Betrachtung unterziehen – sozusagen aus der Vogelschau: Die alten Römer lehrten uns, jede menschliche Handlung mit der Frage „Qui bono?“ zu beleuchten. Das ist verdeutscht: Wer zieht letztendlich Nutzen aus einer Sache?
Ja, wer profitiert denn nun, wenn Hunderttausende Hühnchen und Gänschen, Enten und anderes Nutzgeflügel, die auf Bauerngehöften leben, weggesperrt werden. Die an das Gakeln und Nakeln unter freiem Himmel gewöhnten Tiere brauchen oft nicht einmal vorzeitig geschlachtet werden. Sie gehen in den Ställen ein, die sie nicht mehr verlassen dürfen. Es ist ein elendes Verrecken. Abgemergelt, zerzaust, leidend. Die Hühnchen legen keine Eier mehr. Und wer reibt sich die Hände? Natürlich: Die vom Tierschutz lange und vehement angefeindeten Großtierquäler mit ihren Legebatterien und Tierfarmen, in denen Gottes Geschöpfe unter unsäglichen Bedingungen gehalten werden. Diese Strolche, denen man in langwierigen Kämpfen und zähen Bemühungen peu a peu das Wasser abgrub, die haben jetzt wieder frischen Wind in den Segeln. Denn die Menschen, die vormals in den eigenen Stall gingen, um sich mit Frischfleisch oder Eiern zu versorgen – die müssen jetzt einkaufen gehen. Was aber in den Regalen der Kaufhallen und Geschäfte liegt, mag sich jeder an fünf Fingern abzählen! Das Gesindel, was sich bislang mit sadistischen Methoden an den Qualen der Geschöpfe bereicherte, wird sich nunmehr über rapide wachsende Umsatzzahlen freuen dürfen.
Weiter! Alle, die bislang die touristische Renaissance der vorpommerschen Küste mit Neid und Argwohn verfolgten, dürfen nunmehr jubeln. Denn, wo der Tod wütet, will niemand Urlaub machen. Gottes Segen über die Vogelgrippe! Und Dank sei IHM dafür, daß ER das verfluchte Ossivolk damit geschlagen hat. Wieder einmal ist der Beweis erbracht – der HERR rückt früher oder später alle Dinge wieder ins rechte Lot. Wie wär’s mit Dankgottesdiensten im Dom zu Speyer und der Dorfkirche von Sylt? Das Hamburger Massenblatt spendet Weihrauch und Kerzen? Meßdiener, Pfarrer und Bischof tragen die bekannten vier Buchstaben zu Werbezwecken auf ihren liturgischen Gewändern! Und selbst die obligatorisch Nackte auf der Titelseite darf sich diesmal mit einem winzigen Stück Bedeckung schmücken: ein silbernes Kreuzchen zur Feier des Tages!
Das Virus H5N1 ist ein widerlicher Zeitgenosse – das steht außer Frage. Es ist ein Drama um jede Kreatur, die ihm zum Opfer fällt. Doch sehe man uns nach: Uns geht ein verendeter Schwan, ein gequältes Hühnchen, eine leidende Ente weit mehr zu Herzen, als ein mit demselben Schicksal geschlagener Nackter Affe, der diese Geißel Gottes instrumentalisierte um sich auf Kosten seiner Mitgeschöpfe zu bereichern. Darin würden wir dann die ausgleichende Hand Gottes erkennen.

7.Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2006