Unternehmen
B. St. Fjøllfross
Am 25. Oktober 2002 habe ich folgenden
Tagebucheintrag gemacht: „Man kann nur an Reichtümern, Gütern
und Macht gewinnen, was andere verlieren. Eine Ausnahme bildet das geistige
Kapital: Wissen und Erfahrungen.“
Wir werden im Verlauf dieses Kapitels sehen, warum ich dieses Epigramm
ausgewählt habe, dem 23. Abschnitt meines Buches zu präsidieren.
Zunächst einmal – was ist denn überhaupt ein Unternehmen?
Die Frage scheint banal, aber sie ist es keineswegs. Ein Unternehmen
ist eine Gruppe von Menschen, die ganz verschiedene Biographien, Erfahrungshorizonte,
Interessen und Motivationen mitbringen, um einer Sache zu dienen, die
aufs Geld verdienen ausgerichtet ist. Und das an verschiedenen Stellen
des Unternehmens. Da gibt es den Chef und die verschiedenen Mitglieder
der Führungsgremien, Sekretärinnen, Außendienstmitarbeiter,
Sachbearbeiter, Produktionspersonal, Reinigungs- und Wachpersonal und
dergleichen mehr. All diese Leute stellen verschiedenste Qualifikationen
in den Dienst eines Zieles: Der Prosperität ihres Unternehmens.
Bis auf die Chefetage werden die wenigsten der anderen Mitarbeiter den
Namen ihres Brötchengebers auf ihr Kopfkissen sticken. Dennoch
wird es den meisten bewußt sein, daß das Wohl und Wehe des
Unternehmens auch ihr ureigenstes ist. Zumindest wenn sie im Laufe der
Jahre ihre eigenen Lebensumstände und -verhältnisse auf ihren
Arbeitsplatz abgestimmt haben. Das heißt, die meisten Mitarbeiter
werden einen klaren Trennstrich ziehen zwischen der Arbeits- und der
Freizeit. In der Arbeitszeit jedoch werden sie normalerweise bemüht
sein, die ihnen übertragenen Aufgaben in einer solchen Art und
Weise zu erfüllen, daß sie keinen größeren Anlaß
zu Beanstandungen geben.
Ziel eines Unternehmens ist es in jedem Falle, Dinge zu produzieren
oder zur Verfügung zu stellen – sei es materieller oder geistiger
Natur oder auch Dienstleistungen – die auf dem Markt nachgefragt
werden.
Dieses Geschäft muß auf Dauer profitabel sein, sonst geht
der Laden nach Adam Riese früher oder später den Bach hinunter.
Also müssen die Angebote einen Preis erzielen, der in der Gesamtheit
gesehen den Aufwand ihrer Entstehung übertrifft.
Nun gibt es da ganz verschiedene Wege, sich diesem Ziel zu nähern:
Man kann die Produktion intensivieren, den Personalstand verringern,
die Leute qualifizieren, oder sie motivieren. Der letztgenannte Punkt
erscheint mir als der Wesentlichste. Denn ich bin der festen Überzeugung:
Das wahre Kapital eines jeden Unternehmens besteht nicht in seinem Fuhr-
oder Maschinenpark, seinen Grundstückswerten oder Geldreserven.
Nicht das Know-how ist letztendlich entscheidend und auch nicht der
Standort. Selbst der Kundenstamm spielt im Vergleich zu dem wichtigsten
Kapital eines Unternehmens nur eine untergeordnete Rolle: Dieses Kapital
sind die Mitarbeiter. Alle! Bis hin zum Lehrling, Wachmann oder Putzfrau.
Wenn ein Entrepreneur auf Dauer bestehen will, muß er zwingend
diesen Grundsatz begriffen haben. Das Schicksal seines Betriebes ruht
nicht fester auf seinen Schultern, als auf denen eines Feldherren, dem
in der Schlacht seine Armee davon läuft. Steht er alleine da, kann
er die weiße Fahne aufziehen – mag er noch so talentiert
und erfahren sein. Kein Kapitän könnte einen Windjammer alleine
segeln.
Leider werden viele Manager von dem Bewußtsein ihres Arbeitspensums
und ihrer daraus resultierenden Leistung verführt zu glauben, sie
seien die unabdingbaren und unersetzlichen Gestalten im Unternehmen
und alle anderen seien nur nützliche und austauschbare Idioten.
Allein in dieser fatalen Haltung, der eine handfeste Verkennung des
wahren Sachverhaltes zugrunde liegt, liegt sehr häufig schon die
Wurzel des späteren Scheiterns. Hochmut, Selbstüberschätzung,
Arroganz, gepaart mit einem soliden Können und Verstand, weitreichenden
Beziehungen und entsprechenden Geldmitteln mochten diese Manager vielleicht
auf die Positionen gehievt haben, von denen aus sie nun agieren. Aber
die Stellung ist mit den ersten drei genannten Attributen nicht lange
zu halten. Das geht früher oder später schief.
Daher sollte sich jeder Macher fragen: Was hat die Menschen zu mir und
in mein Unternehmen geführt? Was sind ihre wahren und hauptsächlichen
Gründe, daß sie bei mir arbeiten wollen?
Wenn es einem dann gelungen ist, im Laufe der Zeit einen soliden Kader
zusammenzuschmieden, und das ist eine wahrhaft unternehmerische Leistung,
dann muß man alles daran setzen, diesen Kader im Kern zu halten.
Hegen und Pflegen! Ihnen zeigen, daß sie unentbehrlich sind. Denn
das sind sie!
Man findet tausendmal eher wieder einen Manager, der den Laden am Laufen
hält, als ein eingespieltes und eingeschworenes Team. Über
all die Hierarchie-Grenzen hinweg sind dies nämlich die Leute,
die das Produkt des Unternehmens herstellen und an den Mann bringen.
Der Unternehmer selbst kann vielleicht die Firmenpolitik bestimmen,
große Kontakte anleiern und knüpfen, den Betrieb koordinieren
und Grundsatzentscheidungen treffen – die Basis- und Feinarbeit
leisten die anderen. Die Subalternen, die Leute vorm Mast.
Fängt sich an dieser Stelle das Personalkarussell an zu drehen,
steckt der Wurm drin. Üblicherweise spüren die Spitzenkräfte
die Tendenz zum Negativen als Erste und sehen zu, daß sie Land
gewinnen. Gute Leute schaffen es immer wieder, woanders unterzukommen.
Den Ruf des Ladens „nehmen sie mit“. Man läßt
selten ein gutes Haar an jemandem, von dem man in Unfrieden geschieden
ist. Die Konkurrenz wird’s freuen.
Und irgendwann zieht der Personalchef nur noch Schwund nach. Leute ohne
inneres Engagement und ohne Lust auf ihre Tätigkeit, die ihren
Arbeitsplatz nur noch aus der Notwendigkeit des Geld-Verdienens heraus
besetzen.
Das ist tödlich!
Unternehmen, die viel mit einer Stammkundschaft zu tun haben, beschäftigen
oftmals sogenannte Außendienstmitarbeiter. Seien das Handelsvertreter,
Versicherungsagenten, Postboten, Lebensmittelverkäufer, Friseure
oder Krankenfahrer. Diese Leute sind die wahren, weil ständigen
Repräsentanten der Firma. Gerade in diesem Bereich ist der Einsatz
eines Stammkaders als essentiell zu bezeichnen. Ich habe oft die Erfahrung
gemacht, daß sich während der relativ kurzen Kontaktzeiten,
wenn sie denn aber regelmäßig und über Jahre hinweg
stattfinden, im Laufe der Zeit quasifamiliäre Beziehungen zwischen
Vertreter und Kunden herausbilden. Es sind diese Bindungen, die in aller
erster Linie den Kitt bilden, der gegebenenfalls dem Unternehmen auch
mal über schwerere Tage hinweghilft. Da mögen neue Gesichter
in Erscheinung treten, die eventuell sogar bessere Produkte vorstellen
– Loyalität einer liebgewordenen und vertrauten Person gegenüber
ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Die Kunden wollen nämlich
dann oftmals primär „ihren“ Vertreter wieder sehen
und denken erst an zweiter Stelle an den Firmennamen, der dahinter steht.
Ein zutiefst menschliches Geschehen, was es andererseits sogenannten
Newcomern auf dem Markt, den sie zu erobern trachten, recht schwer macht.
Sie müssen dann schon oftmals mit besonders innovativen Ideen auftrumpfen.
Wenn sich nun aber das etablierte Unternehmen den Luxus leistet, das
Personalkarussell drehen zu lassen, weil sie sich von dubiosen Beratern
haben einflüstern lassen, daß eventuell ein paar naßforsche
Kerlchen besser ins moderne Bild des Repräsentanten passen würden,
oder aber die Alten zu teuer werden, dann steht dem einen oder dem anderen
so manches mal eine unangenehme Überraschung ins Haus. Dergestalt,
daß ihnen ihre Kunden mitteilen, wenn sie denn schon mit neuen
Gesichtern konfrontiert würden, dann spräche ja auch nichts
dagegen, mal diejenigen von der Konkurrenz kennenzulernen. Man sei in
letzter Zeit mit den Produkten des Hauses sowieso nicht mehr zufrieden
gewesen, aber dem Herrn Müller zuliebe, der immer so nett gewesen
sei und mit dem man sich prima verstand, habe man den alten Kontakt
aufrechterhalten.
Neues ängstigt die meisten Menschen und die Mehrheit benötigt
ein gerütteltes Maß an Zeit, sich an die veränderten
Verhältnisse zu gewöhnen und anzupassen. Daher ist ihnen ein
neues Gesicht zumeist suspekt, sie begegnen ihm in aller Regel erst
einmal mit unterkühlter Distanz, professioneller Höflichkeit
und lassen die Ablehnung manchmal sogar recht deutlich spüren.
Man gewinnt beim Beobachten dieser Vorgänge mitunter den Eindruck,
nicht der Firmenvertreter, sondern ein Ehepartner wäre gewechselt
worden. Und so wird der Neue taxiert, gemessen und die Latte hoch gelegt.
Die Schuhgröße des Vorgängers zeigt man ihm deutlich
auf dem Teppich.
Zurück aber zu unseren „Etablierten“. Wer glaubt, bei
den oben erwähnten Kundenkontakten werde nur geschäftliches
besprochen, sowohl verbal als auch nonverbal, der träume selig
weiter! Der Repräsentant müßte schon ein Schauspieler
vom Format eines Gustav Gründgens sein, wenn er sein zur Schau
gestelltes Verhalten jederzeit perfekt seinen Geschäftsinteressen
anzupassen verstünde. Und so erfaßt der besuchte Kunde die
Stimmung eines solchen Mitarbeiters in Sekundenbruchteilen und es öffnet
sich, vielleicht auch manchmal ungewollt, ein Fenster, das den Blick
auf die innerbetriebliche Situation der Firma des Vertreters preisgibt.
Natürlich gibt es auch andere Ursachen, die ein negatives Stimmungsbild
hervorrufen können: familiäre Probleme, finanzielle Schieflagen
oder ein Autounfall zum Beispiel.
Aber das herrschende Betriebsklima zählt ohne Frage zu den Punkten,
die einen Angestellten am nachhaltigsten prägen. Verbringen doch
die meisten Menschen einen erklecklichen Teil des Tages mit der Ausübung
ihres Berufes.
Und jetzt Hand aufs Herz, lieber erfolgreicher Unternehmer! Würden
Sie gerne ihre Zeit mit einem notorischen Verlierer verbringen, einem
Menschen der Sorgen und Querelen nahezu magnetisch anzuziehen scheint?
So in etwa verhält es sich auch mit Unternehmen. Man meidet Unglücksmenschen,
Unglücksschiffe und Unglücksfirmen wie der Teufel das Weihwasser,
weil man einfach die Nähe des Unglücks fürchtet, und
das es auf einen überspringen könnte.
Wie viele Traditionsunternehmen wird es schon auf diese Weise dahingerafft
haben? Erstickt an gewachsener innerbetrieblicher Dekadenz, Zänkereien,
mangelnde oder gar Mißachtung alter und bewährter Kollegen
seitens der Vorgesetzten, deren Gier oder Maßlosigkeit –
die Reihe der hier aufgezählten Faktoren, die einem einst prosperierenden
Unternehmen den Garaus machen können, ließe sich fast beliebig
fortsetzen.
Daher kann es nur heißen: Unternehmer, achte und ehre dein gutes
Personal und laß es sie wissen und spüren, daß du es
tust – auf daß es deinem Laden lange gut ergehe. Denn sie
sind das wahre Logo deiner Firma, der Scharfrichter quasi, ob deine
Versprechungen am Verhandlungstisch nur Worthülsen waren oder dem
wirklichen Credo deines Unternehmens entsprechen. Jeder verkauft sich
bei solchen Gesprächen so gut er kann. Ob dieses Werbelächeln
dann aber Bestand hat, das stellen deine Mitarbeiter in den Monaten
und Jahren danach unter Beweis.
Begeistere sie und halte sie bei Laune! Mach, daß sie stolz sind
auf dich und ihren Arbeitsplatz, daß sie sich mit ihrem Brötchengeber
von Herzen identifizieren. Und du wirst sehen, wie sich der Krankenstand
minimieren wird, wie das Personalkarussell zum Stillstand kommt, obwohl
die Bewerber auf der Straße Schlange stehen und wie dir die Kundschaft
die Bude einrennt. Denn glaub mir, so etwas spricht sich herum. Und
die Leute suchen die Nähe zu den Inseln der Seligen. Es liegt in
deiner Hand, sie mit nicht allzu großem Aufwand zu schaffen. Übe
nur ein wenig Verzicht an dem, was du meinst, daß es dir zusteht
und gib es deinen Leuten, so daß sie ein wenig mehr haben als
ihre Kollegen bei der Konkurrenz – sie werden’s dir mit
Zinseszins zurückzahlen. Sei also weitsichtig und nicht blöde!
Sei eine Autorität aber niemals eitel, klein und ungerecht –
eine Witzfigur, und zu einer solchen wirst du sonst unweigerlich, wirst
bestenfalls gefürchtet, niemals aber geachtet oder ernstgenommen.
Mach, daß deine Leute gerne morgens zur Arbeit gehen, der Rest
findet sich; es müßte denn mit dem Teufel zugehen.