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Fernsehhelden

K. K. Bajun
Es ist selten geworden, daß ich mir vom Fernsehapparat von meiner Lebenszeit nehmen lasse, seit ich mitbekommen habe, wie beschränkt diese ist. Ich denke, das ist kein unvernünftiger Entschluß, zumal die Masse der ausgestrahlten Sendungen in dem Maße zunimmt, wie deren Qualität im Allgemeinen abnimmt. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Die Television gedenkt der frühverstorbenen Helga Hahnemann. Ich sehe ihr bei ihren vielfältigen Aufführungen zu und muß anerkennend bemerken: sie war ein rechtes Multitalent, ein Tausendsassa – und was sie machte, das machte sie sehr gut. Das alleine vermag jedoch wohl bei näherer Betrachtung nicht ihren immensen Erfolg zu erklären. Man sehe sich nur die Gesichter ihres Publikums etwas genauer an! Sie strahlen verklärt. (Ich sehe jetzt und an dieser Stelle von der näheren Betrachtung des stumpfsinnigen Stimmviehs ab, die einen guten Teil einer jeden Zuschauerfraktion stellt.) Sie verbinden mehr mit „Henne“, als dieser in ihrer Bühnendarbietung zum besten gibt. Sie projizieren etwas in diese Frau. Und am Beispiel Frau Hahnemanns läßt sich besonders einfach ablesen, was genau das ist. Frau Hahnemann verkörpert „eine von ihnen“. Nicht, wie sie wirklich sind. Vielmehr eine, wie sie sich wünschen, daß das so wäre. Eine, ohne die Querelen des Alltags. Eine Illusion! Eine Mütterliche. Eine nette „Henne“ von nebenan. Eine, die ihnen nichts wegnehmen will von dem Ihren. Eine, die keine Forderungen stellt und trotzdem beseligend wirkt. Eine, die sie nicht gängelt und ihnen sagt: „Du mußt!“ Eine – und das ist sehr wichtig und darf keinesfalls bei einer solchen Analyse unter den Tisch fallen – die keine Probleme abstrahlt. Nur so läßt sich das Gefühl vermitteln, was die Leute wohlig erschaudern läßt, was die Traumfabrik in ihren Hirnen ingang gesetzt. Die meisten Menschen, ausgenommen diejenigen, die an einem Jesus-Syndrom leiden, mögen keinen Umgang und keine Konfrontation mit Problemen. Und Mitmenschen, die Probleme haben, sind wie infizierte Personen zu meiden. Abstand einhalten! Ganz das Gegenteil: Kompetent, weil selbst beleibt, tröstet sie in einer perfekten Form ihre an ihrer Fettleibigkeit unglücklichen Zuschauer – „Dicke sind gemütlich, tralalalala.“ Sie ringt dem Leiden einen positiven Effekt massenwirksam ab – die betroffene Klientel dankt es ihr mit großem Zuspruch. Dazu machte sie ein Charakterbild salonfähig, daß die breite Masse ihrem Wesen nach begeistert aufnehmen mußte. Einmal zum Idol erhoben, konnte nichts mehr schiefgehen: Die Masse weiß von sich, daß sie strohdoof ist. Da das so ist und eine Änderung dieses Zustandes nur unter einem erheblichen Aufwand an Energie zu erreichen wäre, beharrt sie seit ewigen Zeiten auf diesem Privileg. Sie läßt sich davon nicht abbringen. Was aber neu ist – dieses Übel, was früher verschämt kaschiert oder doch mit einem Anstrich von Bildung versehen wurde – man legte sich Konversationslexika zu – wird seit jüngstem ins Gegenteil verkehrt: Doof ist chic! „Die Doofen“ und Stefan Raab beweisen es. Man pranzt mit seiner Blödheit – unzählige Quizshows geben das Auditorium dafür her. Keine Lächerlichkeit ist peinlich genug. Und jetzt kommt „Henne“ und spricht die Zunge dieses Geistesproletariats. Jeder weiß, die Frau hat mehr im Kopf, sie schauspielert nur. Aber schon dafür ist man ihr von Herzen dankbar. Selig sind, die da arm sind im Geiste.... Das ist ihre Botschaft und Seligkeit erntet sie in den Gesichter derer, die es wirklich sind und ihre Grenzen täglich spüren und dann die dicke, kluge Fee aus dem Parnaß zu ihnen herabsteigen sehen. Zu ihnen! Sie tröstend! In ihrer Sprache! Ja, selig sind sie, wie der Herr es gesagt hat.  Das ist ein guter Teil des Zaubers, den Helga H. zu vermitteln wußte. Wenn es denn wirklich Schwierigkeiten gab, wie beispielsweise eine sehr schmerzhafte Verletzung bei einer ihrer akrobatischen Übungen auf der Bühne, und sie diese meisterhaft überspielte, die Zähne zusammenbiß und weitermachte – the show must go on – dann war eine solche Episode eher dazu angetan, ihren Mythos zu verstärken denn ihn zu schmälern. Sicherlich zu recht. Nun jährte sich zum ersten Mal das furchtbare Assassinat auf die beiden Türme des WTC und des Pentagon. Hier wiederum werden oftmals tragische Helden vorgestellt. Natürlich bekommen sie eine mehr anonyme Resonanz. Es gibt kaum Großveranstaltungen, auf denen diese Charaktere großartig gefeiert werden. Diese Leute bedienen andere Projektionsflächen in den Hirnen der Konsumenten. Sie verkörpern die Kämpfer gegen die Unerbittlichkeit des Schicksals, als die sich wohl fast jeder von uns gern sähe. ( Wenn jedoch einen dieser Sterblichen die Gelegenheit am Tage des Geschehens unvermittelt fordern sollte, merkt der Außenstehende recht bald, warum diese ein Sehnsuchtsbild sind und bleiben – die wenigsten halten der Prüfung in dem Maße stand, wie sie es sich wünschen würden.    Sie wissen also im Innersten, daß sie versagen werden und retten sich in die Wahnvorstellung, sie könnten sich mit dem Beobachten dieser Artgenossen zu einem Teil derer Stärke machen; ähnlich wie manche Naturvölker der Vorstellung anhängen, durch das Verzehren des Hirns und Herzens eines besiegten Feindes würde dessen Kraft und Geist auf sie übergehen und fürderhin zu Gebote stehen. Aus welchem Grunde aber finden dann die Bilder aus Vietnam keinen Anklang? Die Bilder, die die Geschundenen zeigen, die einstmals von denen so hart geprüft wurden, die jetzt als Opfer vor der Welt stehen. Ganz einfach: Die Vietnamesen waren schon immer arme Schweine. Das sind die Problembehafteten, die Infektiösen, die Paria, mit der keiner was zu tun haben will. All dies zeigt uns in einem Maße, wie es zu sehen und beschreiben nicht einmal dem Großen Gracian möglich war, wie sehr die Menschen dem Prinzip der Selbsttäuschung erlegen sind, ja wie sie nachgerade abhängig sind von Illusionen und Mummenschanz. Die ursächlichste Triebfeder all dessen ist offenbar der Umstand, daß die Menschen in den allerseltensten Fällen mit ihrem jeweiligen Los zufrieden sind oder auch nur im Entferntesten in der Lage wären, sich mit ihm aufrichtig zu arrangieren. Und können sie die Dinge, die sie für sich wünschen, nicht in corpore ergattern, so fordern sie das Zeug doch zumindest in spiritu ein. Es soll ihre Hirne ausfüllen, damit sie sich nicht so sehr den als lästig empfundenen Anforderungen des Alltags ergeben müssen. In dieses Raster paßt denn auch vorzüglich die amerikanische Soap „Paradise Island“. Der rote Faden dieses einsamen Gipfels an faschistoidem Schwachsinn, bestand darin, daß ein paar problembehaftete Canaillen mit einem Dampfer während einer Kreuzfahrt auf einer imaginären Insel der Seligen anlanden, wo sie von einem ewig grinsenden, in einen weißen Smoking gekleideten Zwerg und dessen Crew empfangen werden. Nach ewig dem selben Strickmuster werden die Problembehafteten geläutert bzw. zu einem Selbstläuterungsprozeß angehalten, den sie dann auch bilderbuchmäßig absolvieren. Wenn sie dann nach einer halben Stunde wieder dem Luxusliner entgegenstreben, dann sind die Tränen, die sie vergießen, ausschließlich solche des Abschieds und des Glücks. Der Zwerg lächelt milde, weise und überlegen. In der überwiegenden Zahl der Fälle geht es selbstredend um Partnerkonflikte, so daß dem Rindvieh vor der Mattscheibe alles geboten wird, was es begehrt: Es kann bei den Konflikten anderer unbeobachtet spannen (auch wenn diese Konflikte nur von Schauspielern prätendiert werden), es kann seine eigenen Sehnsüchte mit dem virtuellen Geschehen verknüpfen und sich nach Art der märchenlauschenden Kinder wünschen, ein solches Eiland gäbe es wirklich. Ein Ort, an dem reale Probleme völlig uneigennützig von anderen gelöst werden – sozusagen ein Ort der Erfüllung infantiler Freud’scher Projektionen. Wünsche, die eine verklärte, von allen Negativa bereinigte Kindheit zum Ziel haben. Vorzugsweise Frauen, denen noch eine genetisch prädisponierte „Höhlenmentalität“ anhaftet, daß heißt ein Urbedürfnis nach Schutz, Geborgenheit und Konfliktfreiheit, werden von solchem geballten Schwachsinn geradezu magnetisch angezogen. Bloß keine Eigenaktivität entfalten – wozu gibt’s Schutzengel? Und die Bosse dieser Schmierenkomödien in Hollywood lachen sich ins Fäustchen. Sie wollen nur eines – mittels der Blödheit dieser stumpfen Träumer abkassieren. Und die Träumer wollen beseligt weiterträumen. Die Zeit bis zu ihrem Ableben möglichst unter Vermeidung von Initiative und Anstrengung, Kampf und Neugier absitzen. (Der Knall kommt meistens erst in der Stunde ihres Todes, wenn ihnen zu dämmern beginnt, daß das ihr Leben war, welches gerade unwiederbringlich dem Ende zustrebt. Das es danach keine zweit Chance mehr gibt und ein Paradise Island schon gleich gar nicht.) Dieser Zweck heiligt so ziemlich jedes Mittel. Selbst der Preis der kompletten Verblödung wird bedenkenlos gezahlt, solange der Weg dahin nur recht breit und bequem und sachte abwärts geht. ...und erlöse uns von dem Übel! Amen!  

1.Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,1998