Demut und Frömmigkeit
S. M. Druckepennig
Irgendwann habe ich den Namen
Gottes erfahren: Er heißt CHAOS. Das ist die allmächtige
Mutter, die sich in all ihrer Unendlichkeit den Spaß einer kurzfristigen
Entgleisung leistet. Sie läßt es für ein paar Augenblicke
zu ihrem Ergötzen zu, daß die Entropie etwas abnimmt. Demut
ist nun, zu begreifen, daß die Ordnung der Dinge, die Organisation
der Materie den unnatürlichen Zustand darstellt und alles, alles
einst in den Schoß des allgewaltigen Nichts zurückfällt.
Insofern ist alles Organisierte, Strukturierte Illusion und eine Laune
des Nichts. Unser persönlicher Tod wird unser Dasein, unsere Seelen
diesem Nichts zuführen. Alles andere ist verträumter Mumpitz.
Wenn man das wirklich bis in die tiefste Faser seines Herzens begriffen
hat, ist die nächste logische Erkenntnis, daß unsere geliehene
Zeit bis auf die letzte Sekunde abgezählt ist. Wer immer mit ihr
herumaast, hat keinen Begriff davon, daß er gerade dabei ist,
den Sinn seines Lebens komplett in Frage zu stellen. „Nur der
verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß.“
Das bedeutet, daß Langeweile der Sport der Dummen ist.
Natürlich lehrt uns die Regel, die Mutter Chaos für ihr kleines
Spiel aufgestellt hat, daß alles eine Frage der Balance und der
Ausgewogenheit ist. Die maximale Balance findet man dort, wo sich das
Nichts und die größte Unordnung treffen. Dorthin strebt alles
– und wenn es ein paar Trilliarden Jahre dauert. Auch diese uns
undenkbar erscheinende Zeitspanne stellt einen Witz, ein Nichts gegen
die Zeitspanne von einigen, sagen wir Pentiliarden Jahren dar. Wir,
die wir leben, haben diese Äonen bereits im Zustand des Nichts
hinter uns gebracht, den Rest der Ewigkeit schaffen wir auch –
mit links und Augen zu! (Kleiner Kalauer am Rande...) Nur – mitkriegen
werden wir nichts davon. Das ist der entscheidende Punkt. Deshalb müssen
wir zusehen, daß wir diesen einen Augenblick, der uns mit Bewußtsein
ausgestattet zu erleben gegönnt wurde, nutzen. Und das kann nicht
"vertrödeln" bedeuten. Natürlich kann das Leben
nicht nur aus Plackerei bestehen – Zeit zum Genießen muß
bleiben. Natürlich ist es besser, diese kurze Lebensspanne vor
einem geheizten Kamin in einem schönen, warmen Zimmer mit einer
Aussicht auf einen See und einen Wald zu verbringen, während es
draußen schneit, als die selbe Zeit unter einer Brücke frierend
und krank zu hocken. Und auch dazu soll die Arbeit dienen, uns diesen
Komfort zu ermöglichen.
Wer jedoch nur arbeitet, wie so mancher Manager oder „workoholic“
, der hat hinwiderum keine Zeit mehr, die Schönheit des Lebens
zu bemerken und sich zu eigen zu machen. Wofür arbeitet dieser?
Weil er nicht anders kann? Dann ist er nicht besser dran als der Brückenpenner
– die Qualität seiner Strapazen ist lediglich eine andere.
Für die Erben? Schön blöd! Dann hat er den Sinn des Lebens
ebenfalls nicht erfaßt und lebt nur dem Diktat seiner Gene. Ich
gebe zu, daß diese Menschen im Allgemeinen die Träger des
Fortschritts waren.
Also sollte der clevere Mann von solchen Typen profitieren. Das macht
mich vielleicht zum Epikuräer. Andere werden mich einen Parasiten
nennen, gleichwohl ich kein Boheme bin und jede freie Minute nutze und
arbeite. Natürlich ist meine Arbeit nicht im entferntesten so effektiv,
daß sie auch nur annähernd zum Erhalt des gesellschaftlichen
Wohlstandsniveaus beiträgt. Das spricht für den „Parasiten“.
Aber ich gammle nicht rum und versuche, nach meinen Möglichkeiten
produktiv zu sein. Das ist mein Credo. Ich versuche auch nicht, Brötchen
zu backen, die mir einfach zu groß sind. Ein Geheimnis persönlichen
Glückes ist, mit dem zufrieden zu sein, was man vorfindet und sich
ohne Zähneknirschen zu arrangieren.