Baaks

 

 

Oberflächlichkeit, Pfusch und Verflachung

B. St. Fjøllfross
Da titelt also der Berliner Kurier am 26. Januar 2003, daß Experten fordern, der Meisterbrief solle in seiner Bedeutung beschnitten werden. "Laßt Gesellen Chefs werden! Das schafft Arbeitsplätze und wird für die Kunden billiger."
Was ist ein Gesellen- und was ein Meisterbrief? Warum wurde über Jahrhunderte nur Meistern gestattet, eine Werkstatt eigenverantwortlich zu führen? Weil es einen qualitativen Unterschied gibt. Weil man der verehrten Kundschaft nur die Arbeit mit dem höchsten Qualitätsgehalt garantieren wollte. Weil die Lehrlinge - 'tschuldigung - auf Neudeutsch: Azubis (zur Hölle mit dem Schöpfer dieses Unwortes!) - die bestmögliche und solideste Ausbildung genießen sollten.
Warum dann jetzt eine Abkehr von diesen bewährten Prinzipien? Weil die Meister in ihren Entlohnungsforderungen zu unverschämt geworden sind?
Blödsinn! Es gibt keine vorherrschende Moral mehr, keinen alles durchdringenden Ehrgeiz die beste Arbeit abzuliefern. Das schnelle Geld ist an die Stelle dieser Werte getreten. Ja, Pfusch ist sogar die Forderung der Stunde. Sie glauben mir nicht? Ja, meinen Sie denn, man hätte aus dem Verfall einer einstmals weltberühmten Fahrradfirma, deren Name hier nichts zur Sache tut, nicht gelernt? Diese Werke wurden durch Fahrräder weltberühmt, die man einmal im Leben kaufte und dann brauchte man keinen zweiten Drahtesel mehr. Das Brennabor hielt fürs ganze Leben. Wozu Ersatzteile produzieren? Man konnte darauf so gut wie völlig verzichten. Diese Räder gingen eben nicht kaputt. Einen ähnlichen Ruf hatte sich auch eine namhafte deutsche Automobil-Firma erworben. Der oben erwähnten Fahrradfirma aber wurde ihre Deutsche Wertarbeit zum Verhängnis: Wie gesagt, man brauchte nur eines ihrer Räder im Leben und auch das ließ sich noch vererben. Irgendwann war der Markt gesättigt. Und mit Ersatzteilen ließ sich eben auch nichts verdienen. Und dann kam der Zeitpunkt, an dem man begann auf Halde zu produzieren.
Aus und vorbei!
Nun ja, wie gesagt, man hat daraus gelernt. Jetzt werden beispielsweise Mobiltelephone in rauhen Mengen auf den Markt geworfen, die pünktlich nach zwei Jahren funktionsuntüchtig werden, was den Benutzer zwingt, das nächste Modell zu kaufen. Und das ist gewiß kein Einzelfall. Jeder wird genügend Beispiele aus seinem Erfahrungsschatz zitieren können.
Und eben das hat System! Diese Haltung hat sehr rasch Einzug in die Köpfe der Menschen gefunden. Weil es ihrem natürlichen Drang zu geistiger Trägheit und Rasenlatscherei entgegenkommt. Oberflächlichkeit in den Gedanken und in den Produkten. Hauptsache, man kann dem Nächsten dessen mehr oder weniger sauer verdiente Groschen aus der Tasche ziehen. Wie gesagt, der Ehrgeiz eine gleichwertige Leistung dafür zu offerieren, ist irgendwo auf der Strecke geblieben. Es ist doch scheißegal, ob der Kunde zufrieden ist, laß ihn meckern - Hauptsache er kommt wieder und bringt Kohle mit. Zur Konkurrenz wechseln lohnt eh' nicht, dort geht es genau so zu.
Und denken wir an die Große Rechtschreibreform. Man kann sie schönreden wie man will. Unter dem Strich bleibt, daß sie eine gigantische Konzession an die chic werdende Massenverblödung ist, die grassierende Unlust gründlich zu lernen und gründlich und solide zu arbeiten. Heute sagt man: "Ich bin eher praktisch veranlagt, das Theoretische liegt mir nicht so." In diesem Satz liegt doch nichts anderes verborgen, als die tiefe Abneigung, sich mit dem Wesen der Dinge vorher gedanklich auseinanderzusetzen. Und das gerade ist doch eine der entschiedensten Eigenschaften, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Auf dieses Vorrecht wird also freiwillig verzichtet.
Überall auf der Welt? Oder nur in den eher überfressenden, dekadent werdenden Gesellschaften? Die geistige Auseinadersetzung als Volkssport nicht mehr nötig zu haben glauben. Das erscheint mir ein interessanter Aspekt, den zu hinterfragen in jedem Falle lohnen dürfte. Warum sind die Aufklärer so kläglich gescheitert, die der Illusion verfallen waren, der Zugang zu geistigen Werten würde den Menschen veredeln, die Beschäftigung mit dem Wissenszuwachs wäre der Mehrheit ein Anliegen und inneres Bedürfnis?
Wie konnte die Bild-Zeitung so mächtig werden?

1.Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003