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K. K. Bajun. Plaue/Havel.
Wo immer lebendige Wesen aufeinander
treffen, tauschen sie bewußt oder unbewußt Informationen aus.
Und diese Informationen können verschiedensten Inhaltes sein bzw.
auf die mannigfaltigste Art und Weise zum Ausdruck gebracht werden. Da
gibt es Geruchs- oder visuelle Signale, Farbveränderungen oder solche
des elektromagnetischen Feldes und unendlich viel anderes mehr. Für
viele Lebewesen spielt der akustische Austausch, die Informationsübertragung,
die sich des Schalls bedient, eine wichtige Rolle. Sie haben Organe entwickelt,
die Schwingungen der Luft erzeugen können, und andere, die solche
Vibrationen mit bestimmten Frequenzen zu empfangen und umzusetzen in der
Lage sind. Man kann eben nicht "nicht-kommunizieren".
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Der Nackte Affe hat diese Kunst irgendwann einmal in seiner Stammesgeschichte
derart sublimiert, daß daraus die uns geläufige Sprache geworden
ist. Man kann sagen, je komplexer und komplizierter die gesellschaftlichen
Verhältnisse wurden, die der Mensch zu organisieren und in denen
er sich einzurichten hatte, desto umfangreicher wurden Wortschatz, Syntax,
Grammatik und andere Bestandteile der menschlichen Sprache.
Vor etwa vier bis viereinhalb tausend Jahren kam dann sogar die Idee auf,
sprachlich abgefaßte Informationen zu konservieren, um sie zu einem
späteren Zeitpunkt wieder originalgetreu verfügbar machen zu
können. Die Schriftsprache wurde erfunden. Das Auge, von der Evolution
zur Dekodierung visueller Reize geschaffen, wurde Bestandteil der Sprachübermittlung.
Dieser ganze Prozess erfuhr eine permanente Entwicklung hin zu immer ausgedehnteren
und dabei im Detail immer filigraneren Strukturen des Sprachgebäudes.
Bei den „hochentwickelten“ Gesellschaften hingegen scheint
sich dieser Vorgang mittlerweile umzukehren.
Nehmen wir beispielsweise das Latein aus der Gruppe der indoeuropäischen
Sprachen. Diese antike Sprache bietet eine enorme Anzahl von sinnvollen
Kombinationsmöglichkeiten, die es ermöglichen, Sachverhalte
in den drei Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft präzise
und unmißverständlich auszudrücken. Allerdings werden
dazu Substantive, Verben und Objekte, Adjektive und Adverbien und weiß
der Himmel was noch für Wortformen auf eine streng geregelte Art
und Weise gebeugt und konjugiert, mit Präfixen und Suffixen und anderen
Endungen versehen und in einer festgelegten Reihenfolge miteinander in
Beziehung gesetzt. Das alles ist eine mühsam zu erlernende Angelegenheit,
zumal, wenn man kein lateinischer Muttersprachler ist und sich dieser
Kunst des Ausdruckes erst in späteren Lebensjahren nähert.
Dennoch übte das Latein eine große Faszination auf Millionen
und Abermillionen von Menschen aus und trug sicher nicht unwesentlich
zum Aufstieg des weltbeherrschenden Imperium Romanum bei. Wer sich präzise
auszudrücken vermag, kann auch besser organisieren – sei es
einen Feldzug, einen Angriff oder logistische Fragen, wie Staatsaufbau
oder wirtschaftliche Belange und Verteilungsvorgänge. Mißverständnisse
kosten!
Sie kosten Zeit, Geld, Ressourcen. Sie erzeugen negative Emotionen, die
wiederum zur Verschwendung und Vernichtung von Zeit, Geld und Ressourcen
führen.
Solange sich die Menschen dieser Tatsache bewußt waren, solange
wurde Sprache gepflegt und auf einen korrekten und eindeutigen Ausdruck
Wert gelegt. Einwandfreier und geschulter Gebrauch der Sprache wurde gar
zu einem Statussymbol. Stammler und Sprachverhunzer drückten sich
selbst das Siegel der Unterprivilegierten auf und wurden entsprechend
verlacht oder gesellschaftlich geschnitten.
Wie oben schon erwähnt, scheint sich dieser Vorgang nun auf breitester
Ebene zu relativieren und – eben umzukehren.
Schon Friedrich Bodmer, der bekannte Sprachforscher und Philologe bemerkte,
daß Sprachstrukturen je simpler werden, je „moderner“
die Sprache ist, je mehr sie einem durch Verbreitung bedingtem Austausch
unterworfen ist. Zählt beispielsweise das Finnische noch 14 Casi,
greift das Russische noch auf immerhin 6 Fälle zurück, während
doch das Lateinische mit „nur“ 5 Beugungsformen auskommen
mußte, so sind es im Deutschen nur noch vier – Tendenz rückläufig.
Das Englische muß sogar mit zwei Fällen auskommen, wobei ebenfalls
deutlich zu Tage tritt, daß der englische Genitiv im Schwinden begriffen
ist. Bald wird das Englische keine Beugung der Substantive mehr kennen.
Die Sprache verflacht.
Und genau dieser Umstand scheint weltweit ungeheuer viel zur Attraktivität
dieser Sprache beizutragen, die unbestritten als Weltsprache gehandelt
wird.
Wie paßt das zusammen mit den Überlegungen, die vorhin zum
Latein angestellt wurden?
Ich denke, daß das mit dem Hang des Menschen zur Faulheit und Trägheit,
also geistiger Rasenlatscherei einerseits und der Schnellebigkeit unserer
Gesellschaft andererseits zu tun hat.
Alles soll schneller gehen und keiner fragt mehr, was mit der eingesparten
Zeit sinnvoll anzufangen wäre. Die Erbauer der romanischen und gotischen
Kathedralen dachten da anders. Daher konnten sie sich auch beim Sprechen
Zeit lassen. Sie konnten sich Zeit lassen beim Fassen und Formulieren
ihrer Gedanken, beim Einkleiden dieser Gedanken in ein sprachliches Gewand.
Sie konnten es sich leisten, eine Sprachkultur zu entwickeln. Irdische
Zeit spielte keineswegs dieselbe Rolle, die wir ihr heute im Allgemeinen
zumessen.
Im übrigen mußte das niedergelegte, das konservierte Gedankengut
wertbeständig sein und größere Zeiträume überdauern.
Die Aufzeichnungsressourcen, wie Stein, Pergament, Papier oder Tinte waren
nur schwer zu bearbeiten oder nur begrenzt verfügbar. Auch dieser
Umstand erforderte ein genaues Überlegen, was und in welcher Form
aufgezeichnet zu werden verdiente. All das inflationierte mit der Zeit.
Warum? Weil mehr gesprochen wird und die Sprecher glauben, sie stünden
unter dem Druck, viel mehr Information in immer kürzere Zeitintervalle
verpacken zu müssen. Die Sorgfalt dem Worte gegenüber muß
abnehmen, weil auch das gesprochene Wort kein Einzelstück mehr ist,
sondern Massenfertigung. So auch die Sprache, die sich ja aus Worten bildet.
Man ist „hip“, wenn man die Worte nicht mehr wählt, sondern
rasend schnell daherplappert. Amerikanische Radiomoderatoren haben es
vorgemacht. Der Tsunami des verbalen Schwachsinns schwappte in Jetgeschwindigkeit
über den Großen Teich und verwüstete gewaltige geistige
Landschaften. Über den Äther ergoß sich eine Logorrhoe
von unerahntem Ausmaß, die keinerlei Kunst und Stil mehr benötigte.
Waren Radio und Printmedien vor einigen Jahren noch Erzieher und Gralshüter
des Sprachschatzes, so findet man immer öfter Beiträge von Journalisten,
denen der von ihnen verzapfte Unfug kaum mehr bewußt wird. Ihre
Eltern haben als Drittkläßler bessere schriftliche Arbeiten
zuwege gebracht.
Was ist dann erst von den Halbgewalkten zu erwarten, die in jeder Gesellschaft
die Mehrheit des blöden Stimmviehs stellen und für die Dauer
ihres erbärmlichen Daseins keine anderen als die biologischen Grundbedürfnisse
kennen? Was einst als Sprache ein komplexes und dennoch filigranes, intellektuelles
Gesamtwerk vieler Generationen glänzte, kommt aus den Schlünden
dieser Zeitgenossen nur noch als sinnentleertes, kakophones Gestammel,
Gegrunze und Geächze. Selbst bei größter Mühe wären
diese Strategen nicht mehr in der Lage, ihre Gedanken oder Belange in
gehaltvolle, nachvollziehbare und dem Ohr wohlgefällige Worte zu
kleiden. Ideale Konsumenten, solange sie noch ein Pfennig Geld in der
Tasche haben. Ist auch der nicht mehr bei ihnen zu holen, werden ihre
jämmerlichen Existenzen für die Produzenten und Händler
– also die Macher einer Gesellschaft – uninteressant. Biomüll!
Und können jene
„Trendsetter“ ein Interesse an einer hochwertigen Sprachkultur
haben? Nie und nimmer. Denn wer seine Worte mit Bedacht wählt, bringt
damit zum Ausdruck, daß er nachdenkt, seinen Geist schult, sein
intellektuelles Vermögen pflegt und erweitert, die Dinge nachfragt.
Denkende Menschen, suchende und fragende Menschen erkennen die Lächerlichkeit
der Botschaften, die dem Markt- und Werbegeschrei immanent ist. Das sind
ganz lausige Konsumenten. Unbrauchbar. Geschäftsschädigend.
Verblödung und damit
verbunden sprachlicher Verfall sind kurzfristig verkaufsfördernder.
Und was schert uns die Krise in einem Jahrzehnt, wenn heute die Kasse
klingelt? So kurzsichtig sind die Menschen seit archaischen Zeiten. Und
sie werden sich auch nicht ändern. Tucholsky sei’s geklagt.
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