Die vernichteten Kulturschätze von Bagdad,
ein Verbrechen am Erbe der Menschheit
K. K. Bajun
Wie wir hören, hat nach der
erfolgreichen Einnahme Bagdads durch die alliierten Streitkräfte
ein rasender irakischer Mob das Nationalmuseum der Metropole erstürmt,
geplündert und verwüstet. Schätze aus den Anfangszeiten
unserer „Zivilisation“, teilweise zehn Jahrtausende alt,
wurden unwiederbringlich zerstört.
Die amerikanischen Truppen, zu deren vornehmlichsten Pflichten es gehörte,
sich schützend vor diese Artefakte zu stellen, schickten auf ein
Hilfeersuchen der Museumsleute gerade mal fünf GIs, die ein bißchen
Patrouille liefen, um dann wieder ihrer Wege zu ziehen und dem Mob das
Feld zu überlassen.
Nicht so beim Ölministerium. Dort fanden keine Plünderungen
oder Verwüstungen statt. Es soll dem Vernehmen nach eines der bestgeschützten
Gebäude Bagdads gewesen sein.
Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich noch wenigstens teilweise einen hehren
Hintergrund hinter der amerikanischen Invasion zu sehen geglaubt. Hussein
ist ein persönlichkeitsgestörtes Monstrum, eine Plage seines
und anderer Völker. Der Mann mußte weg!
Dieser Anlaß jedoch desillusioniert vollständig. Der lakonische
Kommentar der amerikanischen Streitkräfte weist eindeutig die Richtung:
Man müsse Prioritäten setzen, heißt es da. Man könne
sich nicht um alles kümmern.
Jawohl, Prioritäten! Und Amerika ließ keinen Zweifel daran,
wo diese Prioritäten zu setzen seien. Schutz des Ölministeriums:
ja! Schutz des Nationalmuseums und seiner Kunstschätze: nein! Mehr
braucht man nicht zu sagen.
Daß dort ein großer, schwerbewaffneter Lümmel sich
nach Wild-West-Manier holt, was er zum Leben braucht – na gut!
Drei Milliarden Jahre Evolution geben ihm recht. Alles was lebt, macht
es nicht anders – bis hinunter zum Einzeller. Und Moral –
mein Gott, was für eine kurzlebige und prinzipiell verlogene Erfindung
einer aus der Art geschlagenen Affen-Spezies!
Aber, zum Teufel! Dann sollen die Amerikaner doch die Dinge beim Namen
nennen und dem unerträglichen bigotten Gewäsch ein Ende bereiten,
mit dem sie sich selbst schon seit Kindesbeinen einlullen. Reicht es
nicht, daß sie sich selbst zum Narren halten mit ihren ewigen
Heldensagas von um Freiheit und Menschenwürde kämpfenden Heroen
– angefangen bei der Bostoner Teaparty und niemals endend in Hollywood?
Müssen sie denn nun schon den Rest der denkenden Welt mit ihrer
Logorrhoe langweilen? Sollen sie doch sagen: Wir sind stark. Wir wollen
das auch bleiben. Dazu brauchen wir eure Rohstoffe. Ihr könnt sie
uns geben, oder wir holen sie uns – wie ihr wollt. Punkt! Das
wäre einmal ehrlich und würde dieser Leuchte der Zivilisation
einen Rest Glaubwürdigkeit bescheren.
Auf den Stelen und Reliefs, die dem randalierenden irakischen Pöbel
zum Opfer gefallen sind, war bestimmt die ein oder andere Darstellung
eines frühen Herrschers des Zweistromlandes zu finden, auf dem
mit Abbildung versehen geschrieben stand: Ich, Gilgamesch, König
von Uruk im Irak, zog mit meinem Freund Enkidu in die Berge des Libanon,
weil da so schöne Zedern wuchsen. Die wollte ich haben. Chuwawa,
der von den Göttern eingesetzte Hüter der Zedern wollte sie
nicht rausrücken, also brachten wir ihn um, nahmen uns die Zedern
und verschwanden....
Keine verlogenen Statements von wegen: Chuwawa aus seinem Sklavendienst
befreien, Kultur, Zivilisation und Demokratie in den Zedernwald bringen
und dergleichen Mumpitz. Nüchtern, sachlich, der Wahrheit entsprechend.
Waren die Amerikaner deshalb so desinteressiert an der Erhaltung dieser
Kulturgüter, weil sie die Parallelen und den Kontrast fürchteten?
Oder hatten sie überhaupt eine Ahnung, was da vernichtet wurde?
Man sagt vielen Amerikanern wohl nicht zu Unrecht nach, daß sie
weltfremde Ignoranten seien, die, wenn dann sehr erstaunt zur Kenntnis
nehmen, daß es außerhalb von Amerika noch etwas anderes
gibt.
Der Chefarchäologe des Bagdader Nationalmuseums ist ein gebrochener
Mann. Mit Tränen in den Augen nannte er die Invasoren Versager.
Für einen waschechten Amerikaner soll das wohl das schlimmste Schimpfwort
schlechthin sein. Verständlich: In einer Gesellschaft, in der nur
der Gewinner, der Erste zählt und sonst keiner...