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Propaganda und andere Sichtwinkel

B. St. Fjøllfross
Alles kommt immer auf die Frage des Standpunktes an, pflegte mein Vater zu sagen. Und Antoine de Saint-Exupery ergänzte: „Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung!“ Wir wollen dies hier einmal näher untersuchen.
Ein Dieb ist doch ein verwerflicher Halunke. Man verachtet ihn, grenzt ihn aus, straft ihn mehr oder weniger aus, wenn man ihn denn zu fassen kriegt. Den Bestohlenen bringt man in der Regel Mitleid und Hilfsangebote dar.
Nun stellen wir uns doch mal ein Seminar an der Filmhochschule vor, in dem der Seminarleiter den Studenten die dramaturgische Aufgabe erteilt, eine Szene zu entwickeln, in der die oben beschriebenen Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden. Das ist gar nicht so schwer. Ich beispielsweise würde folgenden Vorschlag einbringen: Ort der Handlung: Flughafen von Rio de Janeiro. Dieb: vierjähriger, offensichtlich von Hunger geplagter Junge aus den Favelas, der versucht, einen schicken Samsonite® zu klauen, der für einen Moment unbeobachtet scheint. Ein perverser, reicher Knopp hat den alleinstehenden Koffer zu seinem und dem Jokus seiner umstehenden Freunde arrangiert, um genau solche hungrige Klientel anzulocken. Natürlich ist der Koffer präpariert. Er teilt kräftige Stromschläge aus, wenn man ihn berührt. Einschalten kann man diesen Mechanismus mit einer Fernbedienung. Der Koffer also steht scheinbar verlassen und unbeobachtet da, der junge Dieb aus Elend nährt sich, schaut sich noch einmal prüfend um – eine solche Gelegenheit bietet sich selten - und greift zu. Im selben Augenblick fliegt er ein Stückchen zurück. Es ist, als wäre ihm eine große, schwere Bowlingkugel den Arm hoch gelaufen und hätte mit einem Krachen gegen das Schultergelenk geschlagen. Von Schmerz und Überraschung überwältigt, brüllt der junge Dieb auf und sucht rennend, flennend das Weite, begleitet vom dröhnenden Gelächter der feisten Tagediebe. Unglücklicherweise rennt er noch einem Flughafenpolizisten direkt in die Arme, der den eingefangenen Streuner im festen Griff mit auf die Wachstation der Miliz bringt. Was dort mit ihm geschieht bedarf keiner näheren Erläuterung. Nun wird jedes Beobachterherz auf Seiten des eigentlichen Missetäters schlagen, weil man die Notlage anerkennt, in der sich der Dieb befindet. Das „Opfer“ hingegen wird wohl mit einem deftigen Fluch bedacht werden.
Also gilt wohl dem Dieb das Mitgefühl und dem Beklauten der Abscheu. So schnell lassen sich Standpunkte verändern.
Wollen wir ihn variieren? Auch das geht relativ einfach: Machen wir doch aus dem kleinen Hungerleider einfach einen 16 jährigen Nichtsnutz, Sohn eines reichen Architekten und einer Stadtschönheit, der gerade die Schule schwänzt. Aus dem reichen Schnösel machen wir einen harmlosen Fluggast, der sich klug auf die Fährnisse des Reisens vorbereitet hat. Jetzt sieht die ganze Sache schon anders aus. Wir gönnen dem jugendlichen Taugenichts die brutale Abreibung. Vielleicht erinnern wir uns der eigenen Tasche, die uns schon einmal in der Vorhalle des Bahnhofs gestohlen wurde und wir stellen uns vor, es hätte den gemeinen Dieb von damals ebenso erwischt.
Aus solchen Attributen, mit denen feststehende Sachverhalte geschickt gewürzt werden, wird Propaganda gestrickt und Geschichte geschrieben.
Man rückt etwas ins „rechte Licht“, wobei es dem Erzähler überlassen ist zu entscheiden, was Recht ist. Tatsachen, die dieses Bild in irgendeiner Weise zu dessen Ungunsten verändern könnten, werden einfach übergangen, ignoriert oder abgefälscht. Das eben ist das grundlegende Prinzip der Propaganda. Diese wirkt um so intensiver, je primitiver ihr Adressat strukturiert ist. Also bei den allermeisten Menschen. Das ist der Punkt, der sie lenkbar macht, untertänig einem überlegenen Geist und Willen.

1.Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2003