Schwerverbrecher auf
der Flucht
Justiz und Psychiatrie machen sich
mitschuldig
Don M. Barbagrigia
Wieder einmal sind die deutsche Justiz und die deutsche Psychiatrie
zu Tätern, zu Komplizen eines Schwerverbrechers geworden. Der Sexualstraftäter
Schneeberger wird aus der sicheren Haft entlassen. Das geschieht aufgrund
von positiven psychologischen Gutachten der Universität Erlangen,
die ihm Ungefährlichkeit bescheinigten. Einmal mehr unterstreicht
das Versagen der Psychiatrie die metaphysische und damit nicht mehr
länger ernst zu nehmende Charakteristik dieses zweifelhaftesten
aller medizinischen Teilgebiete. Kaum losgelassen, überfällt
das kranke Monster wieder Frauen, vergewaltigt, erpresst, beraubt und
entführt sie auf seinem Irrweg durch Deutschland. Nachdem er endlich
zu Gotha wieder eingefangen wurde, hub eine öffentliche Pressekonferenz
der Staatsanwaltschaft und Polizei an, die an jämmerlichem Gestammel
nicht mehr zu überbieten war. Was das Volk dort zu hören bekommt,
ist geeignet, Hass zu gebären. Hass auf eine überregulierte,
weltfremde und schon nicht mehr zurechnungsfähige Justiz, die einfache
Sachverhalte in einem Dschungel von Verfahrensweisen, Vorschriften und
Formalismen erstickt. Müssen dann aber völlig unbeteiligte
Frauen dieses vollständige Versagen der deutschen Justiz mit ihrer
Gesundheit und Unversehrtheit bezahlen, dann berufen sich die Justizangestellten
und Polizisten auf genau diesen Wahnsinn, den sie im Laufe der Jahrhunderte
selbst ausheckten.
Eine Gesellschaft ist ein hochkomplexes Gebilde, keine Frage. Das Bestreben,
es jedem so recht wie möglich zu machen, ist ein steter Kampf mit
Zeitgenossen, die aus dieser Suche nach Gerechtigkeit immer ihren Vorteil
zu ziehen vermögen. Sie finden die Lücke, die dann durch eine
Sublimierung des Gesetzestextes, einen Kommentar, eine Spezifizierung
und so weiter, und so weiter geschlossen wird. Die Justiz selbst macht
sich aus ihrem lobenswerten demokratischen Verständnis heraus angreifbar,
legt sich selbst unsinnige Fesseln an, wenn sie nicht gerade dabei ist,
ein anhängiges Einspruchsverfahren zur Makulatur verkommen zu lassen,
wie das sooft bei vorgeworfenen Verkehrsregelverstößen der
Fall ist. Erschwerend hinzu kommt, dass die humanistisch angehauchte
Gefühlsduselei dem effektiven Schutz der Gesellschaft vor Schwerverbrechern
einen wirksamen Riegel vorschiebt. Es währt lange, ehe sich die
deutsche Justiz von dem Gedanken verabschiedet, dass ein bestimmtes
straffälliges Individuum nicht mehr zu korrigieren und schon gar
nicht mehr zu resozialisieren ist. Problematisch empfinden jedoch mittlerweile
immer größere Teile der Bevölkerung, dass in aller Regel
nicht die Verantwortlichen, die Richter, Gutachter und Anwälte
für ihren Irrsinn haften. Das tun dann nämlich völlig
unbeteiligte Kinder, Frauen und Männer. Das rechtfertigende Gestammel
der Täter in Kittel und Talar wirkt im Nachhinein wie ein zusätzlicher
blutiger Hohn auf das Elend der Opfer.
Von Amoklauf zu Amoklauf verschärft Deutschland sein Waffengesetz.
Erwischt man dann jemanden, der fahrlässig mit einer Pistole im
Park herumschießt, wird man ihn festnehmen und wegsperren. Wenn
aber Gutachter und Richter mit scharfen menschlichen Waffen herumspielen
– auch wenn sie jetzt gequält aufheulen und sich gegen diese
Formulierung verwahren wollen – dann passiert – nichts!
Gar nichts. Man kann sich ja mal irren. Aus Maus! Die Opfer bleiben
mit ihren Traumata ein Leben lang allein. Gutachter und Richter können
sich getrost der nächsten Waffe zuwenden. Diese Leute spielen russisches
Roulette mit den Menschen auf der Straße. Niemand hat gegen russisches
Roulette etwas einzuwenden – aber dann sollen sie sich gottverdammt
noch mal die Kanonen selbst an die Schläfe halten und nicht wehr-
und ahnungslosen Menschen, die noch dazu dem Schutze jener unseligen
Justiz anbefohlen sind. Wenn sich die Juristen und Gutachter durch ihre
Fehleinschätzungen und -urteile mitschuldig gemacht haben, dann
sollen sie dazu stehen! Jeder Statiker haftet mit Leib und Leben dafür,
wenn er eine Brücke falsch berechnet und diese, Menschen in den
Tod reißend, in sich zusammenstürzt. Dann sollen auch Menschen
haften, die mit weitaus gefährlicherem Material hantieren! Die
Seele eines Verbrechers wäre nicht so berechenbar, wie die Konstruktion
einer Brücke? In der Technik baut man immer einen großen
Sicherheitsbereich ein. Das heißt, eine für zehn Tonnen ausgelegte
Brücke kann noch mit 15 Tonnen belastet werden, ohne gleich zusammenzubrechen.
Im Umgang mit Kriminellen gilt das nicht? Eine Frau, die von einem Kriminellen
getötet wurde, zählt gleich viel wie eine Frau, die von einer
schlampig berechneten oder gebauten Brücke in den Tod gerissen
wurde - sie hat ihr einziges Leben verloren und viele andere Unbeteiligte
ihre Mutter, Tochter, Schwester, Nichte, Freundin... Mit ihrem Vermögen,
mit ihrer Berufszulassung, mit ihrer Reputation sollen also die Verantwortlichen
zahlen - wie es auch sonst in der freien Wirtschaft üblich ist.
Die Ausrede, man könne keinen Gutachter oder Richter so einfach
in die Wüste schicken, dazu sei deren Ausbildung zu teuer gewesen,
lassen wir nicht gelten. Zum Ersten kommen die Folgeschäden der
insuffizienten Entscheidungen dieser Leute die Gesellschaft auf Dauer
weitaus teurer zu stehen und zum Zweiten würde sich ein einziger
Präzedenzfall in rasender Eile durch alle Behörden des Landes
verbreiten. Es gäbe danach sicher nicht mehr allzuviele dergestalte
Fälle zu verhandeln. Dass dieser längst überfällige
Paradigmenwechsel zu Lasten der Straftäter ginge – wer wollte
das bestreiten? So mancher Schandbube, der sich in der Haft gefangen
hat und nun das Potential aufweist, wieder ein ordentliches Mitglied
der Gesellschaft zu werden, wird ungleich schwerer wieder auf freien
Fuß gelangen. Sie, die Straftäter, die sich an Mitmenschen
vergangen haben, würden den Preis bezahlen. Aber das sollte uns
nun wirklich nicht übermäßig melancholisch machen.