AKW und Stuttgart 21
          Michel bläst zum Widerstand
        Don Miquele Barbagrigia
          “Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten 
          Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen”, verordnete 
          der Große Kurfürst einst seinem räsonnierenden Volke. 
          Unserem Landesvater gebührt unsere Hochachtung – seinen Ukas 
          aber müssen wir hinterfragen. Und zwar verdammt kritisch! Da soll 
          die Schwabenmetropole für nunmehr sieben Milliarden Euro (angedacht 
          waren mal vier...) einen neuen unterirdischen Bahnhof bekommen. Ein 
          Prestigeobjekt – gar keine Frage. Irgendwann in der Zukunft wird 
          es sich vielleicht auch einmal rechnen, obgleich es als sicher gilt, 
          dass das Projekt mindestens anderthalb mal so teuer wird, wie momentan 
          noch deklariert. Der derzeitige Nutzen wird, am Aufwand gemessen, ebenfalls 
          in Frage gestellt. Aber der Bau ist beschlossen, die Verträge mit 
          den Abrissunternehmen, den Tiefbauern und den vielen anderen Gewerken 
          sind unter Dach und Fach, Land wurde bereits verkauft, ein Ausstieg 
          würde allein anderthalb Milliarden kosten für nichts und wieder 
          nichts und überhaupt – was will das Volk? Die Planungsunterlagen 
          haben doch fristgemäß ausgelegen, die Widerspruchsmöglichkeiten 
          waren ordnungsgemäß eingeräumt worden – hat doch 
          keiner das Maul aufgemacht. Dabei übersieht die Obrigkeit geflissentlich, 
          dass nicht jeder, der über normalen Bürgerverstand verfügt, 
          qualifiziert genug ist, einen Widerspruch zu formulieren, der Mindestanforderungen 
          erfüllend überhaupt zur Kenntnis genommen wird. Außerdem 
          ist es ein geringer Aufwand 10.000 Einsprüche in einer Ablage abzuheften, 
          ohne sich mit ihnen dezidiert und ernsthaft auseinanderzusetzen. Die 
          Obrigkeit übersieht weiterhin, dass sich Politik und Administration 
          bereits so weit von denen entfernt haben, die zu vertreten sie vorgeben, 
          dass man mit Fug und Recht von einer Eigendynamik reden kann, die mit 
          der Wahrnehmung der legitimen Interessen des Souveräns nichts mehr 
          gemein haben. Nun nimmt sie erstaunt den Protestzug Zehntausender zur 
          Kenntnis. Deren Gebläke, Sitzblockaden und Herummarschieren fällt 
          ja sicher nicht weiter ins Gewicht – aber, Moment mal: Das ist 
          ja das gottverdammte Stimmvieh, das man schon am nächsten Wahltage 
          im März 2011 dringend braucht, um wieder in die weichen Sessel 
          des Rathauses zu plumpsen, von denen aus man dann während der Legislaturperiode 
          mit den wahren Machthabern der Republik verhandelt: den Wirtschaftsbossen. 
          So kommt es denn schon mal zu solch merkwürdigen Situationen, dass 
          die alte Arbeiterverrätertante SPD erst den Bau des neuen Bahnhofs 
          in Stuttgart befürwortet und sich dann, als der Schreihälse 
          auf Stuttgarts Straßen immer mehr werden, der Protestbewegung 
          zaghaft anschließt, ein Referendum fordert, dessen Ergebnis feststehen 
          dürfte, und damit den eigenen Beschluss konterkariert. Na sowas, 
          sowas, sowas... Doch auch in der fernen Reichshauptstadt dürfte 
          man das Geschehen mit großen Augen verfolgen. Der schmutzige Hinterhof-Deal 
          mit der Atomlobby tangiert die Interessen des Souveräns nicht minder 
          – eher mehr. Denn der fortlaufende Betrieb der alten Meiler stellt 
          dem Volke möglicherweise zukünftig noch weitaus höhere 
          Rechnungen in Aussicht als die dato avisierten 12 Milliarden für 
          Stuttgart 21. Die strahlenden Gesichter der Atomlobby dürften sich 
          dann von den strahlenden Teilen der Bevölkerung grundsätzlich 
          unterscheiden und spätestens dann klatscht es – aber keinen 
          Beifall! Doch was hilft das Gejaule? Hat sich der westdeutsche Michel 
          in seiner schier endlosen Nachkriegsdanbkbarkeit dafür, dass der 
          Ami ihn im letzten Augenblick vor Hammer und Sichel gerettet hat, nicht 
          bis zum Stehkragen in dessen Hintern verkrochen und alles, aber auch 
          alles unter Aufgabe eigener Kulturgüter importiert, was unseliges 
          aus dem Lande der Yankees zu importieren war? Unter anderem den unsäglichen 
          Politikstil, der vierhundert Jahre europäischer Aufklärung 
          zugunsten eines gnadenlosen Raubtierkapitalismus in die Gosse trat? 
          Die Bolschewisten – ja, ja, wir wissen es: die hatten es gerade 
          nötig! - nannten die westdeutsche Demokratie eine Scheindemokratie. 
          Schon die Präsidentschaft des George Busch jr. unterstrich die 
          rote Kritik eindrucksvoll. Sie hatten recht: Man hätte auch einen 
          dressierten Affen in Washington inthronisieren können. Nun, da 
          wir der deutschen Regierung bei ihrem unwürdigen Kotau vor der 
          Atomlobby zusehen müssen, scheint sich dieser Amerika-Import auch 
          hier endgültig etabliert zu haben. Eine Demonstrantin in Stuttgart 
          kommentierte kurz und knapp, hier werde nicht nur ein Bahnhof sondern 
          eine ganze Demokratie demontiert. Dem deutschen Michel fehlt einfach 
          der Arsch in der Hose, seine eigenen Interessenvertreter an der kurzen 
          Leine zu halten, wie es beispielsweise seine westfränkischen Vettern 
          seit Jahrhunderten tun. Gegen Stuttgart 21 und gegen die Betriebsfortführung 
          der Atomkraftwerke geht Michel Montags nun wieder auf die Straße 
          und beweist eine bemerkenswerte Sturheit. Das lässt hoffen. Vor 
          allem für Deutschland.