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Die Amseln sind frei!
Den Haag klopft Separatisten in aller Welt auf die Schulter

J. - F. S. Lemarcou
So ist das mit den Urteilen: Die einen freut's, die anderen halt nicht, oder wie der Niederdeutsche sagt: Watt dem eenen sin Uul, is dem annern sin Nachtijall! Der jüngste Spruch des Haager Internationalen Gerichtshofes zur Unabhängigkeitserklärung des Kosovo ließ alle kleinen Davids dieser Welt jubeln, während die Goliaths wieder einmal geschlossen und gequält aufstöhnten, nur um sofort zu verkünden, das alles interessiere sie nicht die Bohne. Das wiederum unterstreicht eindrucksvoll den Stellenwert dieses Gerichts. Es wird von jedermann nur benutzt, wenn es in seinem Sinne urteilt. Fällt der Spruch anders aus als erwartet, dann giftet der Benachteiligte ein wenig, verkündet in gekränktem Stolz, das alles wäre unerheblich und verkehrt und überhaupt, der bisherige Stiefel wird weiter gefahren – ohne wenn und aber. Dem Gericht folgt keine handlungsfähige Exekutive – das ist das Problem. Es kann seine Entscheidung auch dem Papierkorb mitteilen. Nur eben, dass sich die Begünstigten ein wenig gebauchstreichelt fühlen dürfen. Das ist alles.
Bitter war es am 22. Julei 2010 vor allem für die serbischen Kläger, die sich ein sattes Eigentor geschossen haben: Die Serben riefen nämlich die Haager Richter an, um den mehrheitlich albanischen Kosovaren und der EU ins Stammbuch zu schreiben, das sich nicht jeder kraft einer Unabhängigkeitserklärung separieren könne, wie es ihm gerade passt. Je nun, die Richter befanden, es gebe dazu keine eindeutige internationale Regelung und somit gelte dann wohl oder übel der Grundsatz, was nicht verboten sei, müsse ja dann wohl folgerichtig erlaubt sein. Die Chinesen wurden angesichts solcher Töne aus Holland wohl noch ein wenig gelblicher um die Nase und dachten an das ewig rebellische Tibet, das sie mit nationalbewussten Han-Chinesen vollstopfen können wie sie wollen und doch nicht auf Dauer werden halten können. Die Tibeter hingegen haben vor Freude in die Hände geklatscht und da weder sie noch die Historiographen zu Peking schwachsinnig sind, dämmert ihnen wohl allen, dass schon so manches Reich der Geschichte an einem Happen erstickt ist, der eindeutig zu groß für den Invasoren war. Im Kreml über der Moskwa wälzt man im Hinblick auf die abtrünnigen Kaukasusrepubliken ähnliche Gedanken und zu Tiflis in Georgien weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll: In Hinblick auf Moskau schlägt man sich auf die Schenkel, was aber Abchasien betrifft – Heulen und Zähneklappern. Es ist eben alles auf der Welt eine Frage des Standpunktes und der jeweiligen Blickrichtung.
Sollen wir in Deutschland jubeln oder jaulen? Nun, das ist eine sehr schwierige Frage, die wie so vieles einer detaillierten Einzelprüfung bedarf. Die Franken wollen frei von Bayern sein, die Bayern frei vom Reich und wir würden beide zusammen gerne gegen Ostpreußen eintauschen: Franken an Polen und Bayern an Russland. Die Sorben sind zu schwach, um in der Domowina auch nur „Pieps“ zu sagen– oder wir das auf Wendisch heißen mag. Wenn sie im rbb einmal sonntäglich ein eigenes Format haben und in Dresden einen Ministerpräsidenten stellen, dann sind sie schon glücklich – noch. Lass sie mal Gold, Diamanten und Erdöl finden im Spreewald – dann weht gleich ein ganz anderer Wind nach Berlin, wetten? Die deutschen Dänen sind friedlich und werden es auch hoffentlich bleiben.
Menschliche Gesellschaften lassen sich eben dauerhaft nur bis zu einer gewissen Größe von Territorium und Bevölkerungsanzahl verwalten. Jedes Imperium der Geschichte lehrt uns dies. Hinter diesem Punkt bringen die wachsenden Inhomogenitäten eine solche Unwucht ins Getriebe, dass der Kram früher oder später ex- manchmal auch implodiert. Denn Unterschiede in der Wohlstandsverteilung werden immer dazu führen, dass die Reichen nach Mitteln und Wegen suchen, die Armen ihres Volkes vom Tisch zu drängen. Mitarbeiten dürfen die Bettler, das ja, sie dürfen auch ganz alleine malochen – aber mitfressen? Da hört der Spaß aber auf! Man besehe sich unseren südlichen Nachbarn Italien. Viel von der Basis des heutigen italienischen Wohlstands ist gelegt worden, als Sizilien noch die schwerreiche Kornkammer Europas und das mediterrane Handelsdrehkreuz schlechthin gewesen ist. Nun aber ist die Insel versteppt und verarmt und kann bestenfalls hohe Produktionsziffern in der Mafia-Branche vorweisen. Das passt dem Norden nicht. Die lombardischen Pfeffersäcke wollen ihr Geld, das sie auch und gerade auf dem Rücken der Sizilianer gescheffelt haben, für sich behalten und nicht laufend den couragierten Mafia-Jägern gepanzerte Limousinen bezahlen müssen. Also schreit die Lega Nord nach einem unabhängigen „Padanien“ - ach Du lieber Gott! Noch nimmt diese Spinner niemand so recht für voll. Der Spruch der Haager Robenträger jedoch dürfte kräftig in die „padanischen“ Segel blasen, so dass also auch die Regierung in Rom nicht allzu glücklich sein dürfte, was gerade am anderen Ufer der Adria passiert. Ähnliches hört man auch aus Ottawa. Wenn Québec seinen frankophonen Starrkopf durchsetzen und gehen sollte, ist der Riesenstaat in Nordamerika faktisch erledigt und dann macht jeder Indianerstamm in der Folge mit Sicherheit seine eigene Wirtschaft auf. Das ist ja das Fatale. Der Abwärtssog, den so ein Separations-Malstrom mit sich reißt, gewinnt eine Eigendynamik, die am Ende so ganz andere Ergebnisse zeitigt, als die Unabhängigkeitsträumer das ahnten. Was bringt denn den Kosovaren nun ihre Unabhängigkeit? Wie wollen sie sich einbringen in die Welt-Staatengemeinschaft? Was haben sie zu bieten, welche Ressourcen haben sie, welche Kraft können die 1,8 Millionen Hanseln aufbringen, ihr bisschen Erz, Kohle, Blei und Zink gegen ausländische „Investoren“ zu schützen? Sie müssen sich über kurz oder lang wieder mit irgendeinem starken Partner assoziieren, der dann im Gegenzuge bestimmt, was innerhalb ihrer Grenzen geschieht, was hin wiederum also notgedrungen eine schleichende Aufweichung der hart erkämpften Unabhängigkeit nach sich zieht.
Interessant ist übrigens, dass sich die Europäische Union nicht dazu verstehen konnte, mit einer Stimme zu sprechen. Dass Madrid bockig ist, das verstehen wir: Jetzt werden in Bilbao wieder die Fetzen fliegen, nachdem die Batasuna und die E.T.A. Morgenluft wittern. Was allerdings die Verantwortlichen in Preßburg treibt, den Kosovaren die Anerkennung zu verweigern, ist uns ein Rätsel. Was hatte man nicht vor zwanzig Jahren in Bewegung gesetzt, um Prag eine Nase zu drehen und wieder allein auf dem kleinen slowakischen Misthaufen krähen zu dürfen! Und die seinerzeit erfochtene Unabhängigkeit von K.u.K. erst! Na ja, sei's drum.
Das alles wird derzeit in Belgrad sicher sekundär auf der Agenda stehen. Für die Serben, die, was ihre Bevölkerung betrifft, übrigens vernünftigerweise zu 60% von der Haltung ihrer Regierung abgerückt sind, steht etwas anderes viel weiter oben auf der Skala der Schmerzen. Das Amselfeld ist ihnen so heilig wie dem Juden Jerusalem. Gleich zweimal, 1389 und 1915 wurde den Serben auf diesem Feld die nationale Fresse gründlich poliert: einmal von den Muselmännern aus Konstantinopel und einmal von K.u.K. Zwischenzeitlich, 1402, haben sie sich selbst noch untereinander zur Ader gelassen – es geht also um serbisches Blut, das in diesen Boden gesickert ist. Blut und Boden – wir kennen das und uns wird übel. Wenn also schon kein serbischer Sieg zu verzeichnen ist, so muss eine Kette von Niederlagen den heroischen Anstrich liefern. Märtyrertum eines kleinen um seine (sic!) Unabhängigkeit ringenden Balkanvolkes; Zeugnis eines ungebändigten (sic!) Freiheitswillens gegenüber den Krummsäbeln vom Bosporus. Zu blöd, dass ausgerechnet dieser Acker nun selbst staatliche Souveränität für sich beansprucht. Das und genau das trifft die Tschetniks bis ins Mark. Wir sehen also, wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Quod licet Jovi, non licet bovi! Wobei jeder Jupiters Thron für sich beansprucht – die Rindviecher sind immer die anderen!
Es ist, wie Gottfried Keller einst einem Landsknecht in seiner Novelle „Ursula“ in den Mund legte: So eine Gesellschaft ist wie ein Paar von Brautleuten. Man kann sie nicht erfolgreich gegen ihren Willen ins Ehebett zwingen und wenn einer von beiden partout die Scheidung will, dann gibt es auf Dauer dagegen kein Mittel.
Was also tun? Wir schlagen vor, dass als nächstes die serbische Minderheit des Kosovo ihre Unabhängig von Prishtina erklärt. Es würde uns nämlich interessieren, ob die albanischen Kosovaren das Haager Urteil dann immer noch so euphorisch als „weise“ bezeichnen. Der europäischen Rüstungsindustrie wäre dann sicher auch geholfen. Immerhin ist es auf dem Balkan seit einigen Jahren ruhig geworden. Viel zu ruhig. Und wo soll denn die Bundeswehr hin, wenn sie aus Afghanistan raus muss, wem sollen die holländischen Kontingente beim nächsten Massaker auf dem Balkan zuschauen? Nein, da muss wieder ein bisschen Dynamik rein! So eine Unabhängigkeitserklärung bietet da schon eine Menge Potential.

17. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
23.07.2010