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Zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit

Die Knüppel raus, die Reihen fest geschlossen
Die westdeutsche Nachkriegsdemokratie wirft wieder einmal die Maske ab

Don M. Barbagrigia
“Wir fürchten nicht, ja nicht (sic!) den Donner der Kanonen, wir fürchten nicht, ja nicht, die Noske-Polizei...” trällerte einst die revolutionäre deutsche Arbeiterjugend je lauter, desto näher sie sich im Einzugsbereich des nächsten Rot-Front-Stammlokals herum trieb. In den wilden Fünfzigern und Sechzigern des letzten Jahrhunderts war es die StuPo, die Stumm-Polizei, die sich laut östlicher Interpretation vehement gegen das Volk wandte und beim Auftritt der Prügel-Perser unseligen Angedenkens augenscheinlich das Klischee vom Erfüllungsgehilfen des reaktionären Klassenfeindes offenbarte, obgleich der stumme Ober-Johannes seinen Chef-Dienst bei der Westberliner Polizei zu diesem Zeitpunkt ja schon vier Jahre lang an den Nagel gehängt hatte. So richtig stumm wurde er aber erst 1978. Nun ja. De Mortuis nihil nisi bene. Noch mal elf Jahre später brüllten sich die Leipziger und ihre Gäste aus der ganzen Deutschen Demokratischen Republik, insofern sie von VoPo, Stasi und TraPo in die Messestadt hinein gelassen wurden, ums Runde Eck, in dem hinter der Verdunkelung die finsteren Genossen hockten, die sich als Schwert und Schild der Garanten einer lichten Zukunft begriffen. Die da draußen reklamierten lautstark für sich das Volk, also der designierte Träger dieser lichten Zukunft zu sein, welch letztere einstweilen ihren Ausgang in den morbiden Straßenzügen einer in sich zusammenfallenden sozialistischen Städtelandschaft nehmen sollte. Was für eine absurde Konstellation! Denn die schwerbewaffneten Volksschützer, deren gewaltsamen Schutz vor sich selbst das Volk so lautstark ablehnte, sahen die da draußen allesamt als vom Klassenfeind gesteuerte Marionetten der Konterrevolution. Noch mal 20 Jahre später sind wir auf unserer kleinen Zeitreise im Deutschland der Gegenwart angekommen. „Schduegert Hauptbahnhöfle, Schduegert Hauptbahnhöfle – eingefahre isch der Schnellzug aus Leipzschg zur Weiterfahrt ins Chaos. Reisende bitte zurücktreten von der Bahnsteigkante und überhaupt aus dem ganzen Bahnhofsgebäude, denn das wolle wa jetzt platt mache!“ Aber warte Se! Een Zuch musch noch rei! Da hocke nämlisch die Bulle ausch Bayern drin, mit den Schilden und Sozialistischem Wegweisern, pardon, Schlagstöcken am Leib. In der Hauptstadt feiert man derweil die Zivilcourage der DDR-Bevölkerung, jenes Volkes, wir erinnern uns, das seinerzeit die Genossen aus dem Runden Eck und die in Wandlitz so verängstigt hat. Man preist die Güte des Herrn, welche die Schergen des Kommunismus beizeiten zur unchinesischen Vernunft kommen ließ und bellt gleichzeitig in den Nachthimmel über der Schwabenmetropole: „Knüppel aus dem Sack und haut se, was das Zeug hält!“ Alle Tage Montags kommt die Erinnerung...tralalalala, la, la, ... Nur hier, wo man sich der alten Leipziger Parolen erinnert, während man das Tränengas aus den Augen wischt, die sowieso gleich zu sind, sobald sie vom Knüppel liebkost wurden, lobt kaum jemand von den Berliner Festrednern die Zivilcourage derer, die brüllen, sie seien das Volk. Au contraire! Der Mob, der Pöbel baut Barrikaden gegen einen rechtmäßigen Beschluss seiner rechtmäßig gewählten und hochdotierten Volksvertreter, die den ganzen lieben langen Tag nichts anderes zu tun haben, als des Volkes Willen umzusetzen. Und Diäten zu erhöhen... Da das Volk aber bekanntermaßen ein bisschen blöde ist, muss man ihm schon sagen was es will. Und es hat gefälligst das zu wollen, was die Großen des Reiches in der Wirtschaft wollen, denn sie repräsentieren ja wohl schließlich ebenfalls das Volk und sind es nicht gerade sie, die so manchem Abgeordneten und Lokalpolitiker ein Zubrot schmieren? So generös und vor allem zahlungskräftig ist der meuternde Plebs da unten in der Gosse gewiss nicht! Wer aber die Musik bezahlt, soll auch sagen dürfen, was gespielt wird – so war das schon immer, und so soll das auch bleiben!
Wenn dich dein Feind lobt, haste irgendetwas falsch gemacht, sagte einmal ein alter Bolschewist aus der untergegangenen DDR, der seinerzeit seinem Ersten Sekretär der SED-Kreisleitung das Parteibuch auf den Tisch legte, als noch keiner etwas mit dem Begriff „Wende“ anzufangen wusste. Das Parteibuch-auf-den-Tisch-legen hatte auch noch nicht den Status eines Volkssports und wurde nur von wenigen ganz Mutigen betrieben. Der mutige Alt-Bolschewist lief dann auch folgerichtig mit den anderen Protestierern zu Leipzig im Herbst 1989 ums Runde Eck, weil er seine sozialistische Sache aus dem Ruder gelaufen sah. Nun werden er und viele andere aus dem Leipziger Tross von denen zu Berlin in wortmächtigen Reden gepriesen, dass die Schwarte kracht und das Fett nur so von der Decke trieft. Also: Vorsicht ist geboten und Umsicht ist die erste Bürgerpflicht! Das Volk zu Leipzig glorifizieren, während man zeitgleich schamlos auf das Volk zu Stuttgart eindrischt, erscheint doch sehr, sehr janusköpfig, nicht wahr, Herr Mappus? Hat das damit zu tun, dass die Mutigen von damals oftmals die Verlierer von heute und damit völlig ungefährlich sind, während die Mutigen von heute für noch einigen Ärger gut sein können? Übrigens: Der Bezirksfürst der SED zu Leipzig gab damals den Angriffsbefehl nicht heraus, Herr Mappus! Die DDR war sicherlich ein Unrechtsstaat – nicht dran zu deuteln. Das aber gibt der Deutschen Bundesrepublik noch lange nicht das Recht, das Maul so übermäßig weit aufzureißen, nur, weil die demokratische Fassade in Westdeutschland einen bunteren Anstrich hat. Schön vorsichtig in Berlin! Wenn Michel Straßenstunk macht, ohne autonom, nationalsozialistisch oder in hungerndem Zustand zu sein, dann sollte man langsam aber sicher anfangen darüber nachzudenken, ob die grünen und blauen Staats-Schläger-Garden wirklich die ultima ratio und somit geeignet sind, die anstehenden Probleme zu lösen. Sie wären historisch gesehen aber auch wirklich die ersten, die es schafften, wenn sie es schafften, eine politische Frage auf Dauer mit Gewalt zu beantworten – und diesen Beweis werden sie uns wohl schuldig bleiben. Wie alle Janitscharen, Opritschnikis und Prügel-Perser vor ihnen. Vielleicht würden Herrn Mappus, Herrn Rüdiger Grube von der Deutschen Bahn und einigen anderen Großkopferten ein paar Blicke in Helmolts mehrbändige Weltgeschichte die Augen öffnen, die sie gerade mit den Gummiknüppeln bei denen Demonstranten dicht kloppen lassen.

17. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
05.10.2010