Liebend in den Tod paradiert
Don M. Barbagrigia
Die Love-Parade zu Duisburg killt ihre Besucher, die Überlebenden
wollen dem Duisburger Oberbürgemeister Adolf Sauerland an den Kragen,
Veranstalter Rainer Schaller killt die Love-Parade und das Volk killt
das Renommee Duisburgs. Alles im Namen der Liebe. Wir sind begeistert.
Der Rest des Volkes nicht – das übt sich wieder in seiner
Lieblingsdisziplin: Betroffenheit! Über die eigene Blödheit
etwa? Nicht doch, nicht doch. Das wäre ja ein erster Schritt zu
Besserung. Das werden wir in Ewigkeit nicht erleben.
Der Nackte Affe konglomeriert sich zu 1,7 Millionen Exemplaren um sich
an einem exorbitanten Gedröhn zu goutieren – kein Vieh ist
so dämlich – und er trampelt sich dabei gegenseitig zu Tode.
So geschehen bei der hoffentlich letzten Love-Parade zu Duisburg am
Rhein. 20 Leute kamen dabei um, über 500 wurden verletzt. Make
love – not stupid things! Wir sind keine Freunde der Love-Parade.
Unser Berliner Herz blutete, wenn wir den geschundenen Tiergarten hinterher
sahen und wie lange er, die Berliner und wir brauchten, um uns zu erholen.
Wer fragte nach der geschundenen Kreatur, wenn sich der Nackte Raubaffe
auf deren Kosten austobte? Wen kümmerten die Karnickel und die
Enten und deren Leid, die doch keinen anderen Platz zum Leben hatten,
als eben diesen Tiergarten? Uns! Unser Verständnis für diesen
Wahnsinn hielt sich in sehr, sehr engen Grenzen und als die Hauptstadt
endlich auf den Trichter kam, die Love-Parade zu exmittieren, da waren
wir des Jubels voll.
So voll wie jener Regionalexpress, dessen Erste-Klasse-Abteil ebenfalls
von den Techno-Horden geentert worden war. Er gab uns damals das erste,
das entscheidende Bild dieser Veranstaltung. Auf einem Einzelsitz der
Ersten Klasse, „Wolke 7“ genannt: Ein junges, stockbesoffenes
Mädel sitzt auf dem Schoß eines jungen Bengels, der ihre
blanken Titten knetet, während sie gleichzeitig vor sich und gegen
die Rücklehne der nächsten Sitzreihe kotzt. Die Kotze schwappt
im Takt des fahrenden Zuges durch den Gang und verbreitet einen infernalischen
Gestank. So geschehen zwischen Potsdam und Wannsee. Genau diese Situation
stand für den Rest: einen Tiergarten, vollgepfropft mit Alkohol-
und Drogenkomatösen, die nicht selten ihrem Sexualtrieb ungehemmten
Lauf ließen. Es war eine Danteske Hölle. Nun hat diese Hölle
ihre ersten Opfer gefordert. Nun ja. Wir geben der Polizei selten so
ungeteilt recht wie in diesem Falle: Wer dort hingeht, muß damit
rechnen umzukommen. Basta! Interessant aber ist ebenfalls, was wir im
Nachgang dieses Spektakels erleben. Von blindem Raffke getrieben, wollte
Duisburg dieses Großereignis unbedingt für sich verbuchen.
Beamte und Politiker haben Kritikern und Warnern das Maul gestopft,
sie bedroht und erpresst. Jetzt will es keiner gewesen sein. Aber es
gibt ein paar Papiere von ein paar unvorsichtigen Dummköpfen. Mit
denen kann man sie jetzt bei der Nase fassen! Doch würde man für
die Zukunft etwas ändern? Mitnichten! Der Nackte Affe bleibt der,
der er seit Urzeiten ist. 100% Gewinnaussicht – und das Kapital
scheut kein Verbrechen, selbst auf die Gefahr des Galgens nicht, orakelte
Karl Marx seinerzeit. Hatte er Recht? Natürlich. Welche Margen
sich Duisburg ausrechnete, wissen wir nicht. Es muss aber gelangt haben
um den Leuten am Drücker das Hirn zu vernebeln. Erbärmlich
aber durchaus erfahrungskonform ist die Reaktion der durch die Ereignisse
ins Rutschen gekommenen Männer und Frauen, die ihre Stadt, das
heißt, sich selbst um jeden Preis profilieren wollten. Sie verkriechen
sich nun angeschlagen in ihre Löcher und hoffen, dass das Unwetter
über sie hinweg ziehen möge. Alles, was man von ihnen sieht,
ist der Finger, der auf den Nächsten zeigt, dem man die Verantwortung
gerne zur eigenen Entlastung in die Stulpenstiefel schieben möchte.
Der Volkszorn im Gegenzuge ist gewohnt indifferent. Jetzt kocht die
Wut im doofen Michel hoch. Jetzt möchte er ein Opfer vorgeworfen
haben, das er bespucken und mit Steinen bewerfen kann. Es ist das uralte
„Hosiannah!“ und das unvermeidlich nachfolgende „Cruzifige!“.
Natürlich ist jeder von denen, die nun den Stab über die beim
Straucheln Ertappten brechen, ein vollendeter und moralisch gefestigter
Ehrenmann, eine integere und persönlich unangreifbare Dame von
Format! Nie würde einem von ihnen Ähnliches widerfahren und
wenn doch, so würden sie sich selbstredend heldenmütig und
aufrecht dem wütenden Mob zum Sühneopfer darbieten. Na klar
doch. Sie sind ja alle so edel, wenn es gilt, einem Verbrecher das Fell
über die Ohren zu ziehen. Nur wenn man ihnen selbst auf die Schliche
kommt...
Auf dem Redaktionsschreibtisch liegt ein Billet für die Oper Artaserse
von Johann Adolph Hasse. Wenn die Sänger ihre Stimmen mitunter
auch zu beachtlicher Lautstärke entfalten, so ist uns doch nicht
bange, dass wir im Foyer des Opernhauses zu Tode getrampelt werden.
Es riecht angenehm, wir müssen niemandem beim Kopulieren zusehen
und die Musik ist ebenso zu Herzen gehend wie verständlich. Gott,
sind wir ein Haufen Spießer! Ja – aber wir leben! Unversehrt
sogar!
Im Foyer werden wir artig den Haufen gutgekleideter Kollegen, Psychologen,
Panikforscher und Aufarbeiter grüßen, die Dank der ewigwährenden
Dämlichkeit des johlenden Volkes wieder einmal Hochkonjunktur in
ihrem Geschäft verzeichnen können. Da fällt schon mal
eine Opernkarte fürs Parkett zu einem durchaus gediegenen Entree
ab...