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Handy am Ohr

Kotofeij K. Bajun
Die Szene ist gespenstisch. Auf einem kurzen Abschnitt einer Brandenburger Flaniermeile begegneten uns mehrere junge Frauen. An und für sich kein Drama. Eher das Gegenteil für Nachkommen attischer Faune, den Augen sogar angenehm, wenn... ja, wenn nicht jede einzelne dieser Frauen ein Mobiltelefon am Ohr gehabt hätte. Sie hasteten durch die Hauptstraße wie Getriebene durch einen bedrohlichen Tunnel, der nicht von ihrer Welt war. Das Handy war ihr Rettungsanker, ihre Verbindung zu der anscheinend einzigen Sphäre, die ihnen noch Halt und Sicherheit verspricht, dem Versprechen, dass sie nicht allein und verlassen sind in den unendlichen Tiefen des Alls. Die Frauen klammerten sich an ihre Ferngespräche, wie Verirrte in einem Labyrinth, die ihre letzte verbliebene Garantie des Noch-nicht-Verlorenseins in der Kommunikation mit „draußen“ ist. So huschten sie blass und farblos, fernab von der Realität wie kleine Mäuse mit gesenktem Blick und eifrig schwatzend durch die Innenstadt. Wie sie denen Kandelabern und Mitbürgern auswichen, blieb ihr Geheimnis. Ein multitaskingfähiges Geschlecht eben... Dennoch – ihr ganzes Wesen sagte: Schau mich nicht und quatsch mich erst recht nicht an, denn ich bin nicht von dieser Welt. Ich kommuniziere mit einem dir Unsichtbaren, einer Stimme aus dem Äther, dir unbekannt und unergründlich. Das hatte zugegebenermaßen schon beinahe etwas Priesterliches, wenn es nicht so sehr dazu angetan gewesen wäre, die offensichtliche Unsicherheit der kommunikationssüchtigen Venustöchter zu kaschieren. Aber auch das könnte uns herzlich egal sein. Was uns aber erschütterte, waren die kleinen Kinder, die an den jeweils freien Händen ihrer quatschenden Mütter hinterhergezogen wurden, oder sich in der Ecke des Wartehäuschens der Straßenbahn völlig unbeachtet herumdrückten. Diese Momentaufnahme erschüttert uns. Hier wird eine unselige Saat ausgebracht, die der Gesellschaft übel auf die Füße fallen wird. Mütter beschäftigen sich nicht mehr mit ihren Kindern, weil sie – selbst unsicher – nach einem Strohalm greifen, der ihnen die Gewissheit offeriert, nicht im gesellschaftlichen Abseits gelandet zu sein. Was bringen diese jungen Frauen ihren Kindern bei, denen sie ja in diesem Alter die wichtigsten Lehrerinnen überhaupt sein sollen? Vermitteln sie ihren neugierigen Sprösslinge die Wunder der Natur, wie sie ihnen im benachbarten Park entgegentreten? Sagen sie ihnen die Namen der Bäume, Blumen und Schmetterlinge? Beantworten sie die Fragen der ihre Umwelt neugierig betrachtenden Kinderaugen? „Mama, was isn das fürn Zeichen auf dem Haltestellenschild?“, oder „Mama, was issn das da hinten?“, oder „Mama, guck mal, der Hund da drüben...!“ „Sei mal still jetze, du siehst doch, dass Mama gerade spricht!“ Ja, Mama spricht, aber eben nicht mit ihrem Kinde. Nun wäre das ja nicht weiter tragisch, redeten wir hier von Ausnahmen. Aber es ist umgekehrt: Mamas intensive Auseinandersetzung mit ihrem Spross hat mittlerweile Seltenheitswert. Was lernen das Töchterchen, das Söhnchen? Wie sie mit ihrem Alleinsein umgehen? Sie, die Nähe und Geborgenheit und Aufmerksamkeit suchen, einfordern, abgeschmettert werden, zerschellen und abtropfen an einer aus purer Unreife und eklatantem Egoismus gemörtelten maternalen Mauer. Lernen sie, dass sie weniger wert sind, als die elektronisch übertragenen Stimme eines Menschen, den sie nicht einmal sehen können? Für diese untrügliche Logik haben Kinder eine Antenne. Was lernen sie noch? Verfestigen sich in ihnen die Antworten auf ihre Fragen, die sich nur unter Zuhilfenahme ihres kindlichen Erfahrungshorizontes geben können, und die den Erwachsenen oft so skurril vorkommen?
Das Recht auf Kinder ist ein Menschenrecht. Jede unreife Göre kann Kinder bekommen, soviel sie will. Ist sie nur erst 18 Jahre alt, darf sie diese sogar behalten. Will ein gestandenes Paar jedoch Kinder adoptieren, dann durchläuft es ein gnadenloses Durchleuchtungsverfahren, was absolut auch seine Berechtigung hat. Nur – die wenigsten Kinder wachsen adoptiert auf. Das Gros wird vom Zufall in Familien hineingeboren, denen sie ein Leben lang ausgeliefert sind. Da kommt ein Kind in einer Welt an, deren Mutter es mit den Worten: „I, bist du süüüüss“ begrüßt, und dann sofort zum „Handy“ greift, um ihren gesamten Bekanntenkreis von dieser Feststellung zu unterrichten. Danach verkommt der Nachwuchs zu einem mal mehr, mal weniger gelittenen Annex. Sicher, das Kind hebt den Status der jungen Frau als Mutter, was diese oftmals mehr als nötig haben. Denn womit sonst sollten sie aufwarten können? Wenn das aber doch nur dazu führte, dass die Mutter diese Aufwertung durch entsprechende Pflege und Zuwendung honorierte! Tun sie aber nicht. Wie sie überhaupt nur selten das Gefühl haben ihren Kindern etwas schuldig zu sein. Müssen sie vielleicht deshalb pausenlos mit leerem Gesichtsausdruck und dem „Handy“ am Ohr durch die Straßen hasten, ihren bedauernswerten Nachwuchs wie einen lästigen Koffer hinter sich her zottelnd, weil sie sich permanent erkundigen, wie sie ihre Kinder optimal erziehen? Weit gefehlt, es geht um die in die Moderne verlängerte Steinzeitfeuerstelle, an der die Frauen kommunikativ um ihre Position in der sozialen Gruppe ringen. Es geht um sie, um sie, um sie und danach – immer noch um sie! Es ist der schrankenlose Egoismus, der nicht einmal vor der eigenen Brut haltmacht. Was nicht selten dazu führt, dass der kleine Junge, das kleine Mädchen auf der Suche nach ihren eingeforderten Antworten sich weiter und weiter von der dauerquatschenden Mutter entfernen, was diese naturgemäß erst registriert, wenn die Straßenbahn kommt: „Sach mal, wo steckste denn? Biste varrückt jeworn? Du sollst bei Maman bleiben, hab ich dir jesacht, eh! Komm jetze, aber janz fix! Jibs doch njar nich, so was! Pass uff, du!“ Bravo, junger Mensch! Es ist dir gelungen, die Aufmerksamkeit deiner Mutter für zehn Sekunden auf dich zu ziehen. Was du zu hören bekamst, war nicht gerade angenehm, aber immerhin. Sie denkt noch an dich! Sie hat dich noch nicht völlig vergessen. Jetzt sitzt du in der Straßenbahn, am Fensterplatz. Das ist dein unangefochtenes Privileg – denn draußen zieht eine bunte Welt vorbei, wie im Fernsehapparat, vor dessen Mattscheibe dich deine hochkommunikative Mutter regelmäßig abparkt. So ist garantiert, dass deine neugierigen Kinderaugen beschäftigt sind und du so selten wie möglich in die Versuchung kommst, deine Mutter bei ihrer wichtigsten Beschäftigung zu stören: dem endlosen Quatschen am „Handy“. Und du, Töchterchen, bist Gott sei dank noch zu klein, um zu verstehen, welche sinnlosen Banalitäten dort gewechselt werden. Du würdest irre werden an dieser Welt, in die dich ein ungerechtes Schicksal hineingeboren hat. Denn leider oder Gott sei Dank bist du zu klein zu begreifen, dass die ach so wichtigen Gespräche Mamas, wegen der du laufend stille zu sein hast, völlig sinnentleert sind. Dass es in erster Linie überhaupt nicht darum geht, wann sich Mama mit ihrer Freundin, mit der sie gerade palavert, zur Disco trifft, oder darum, welcher Typ gerade wieder mit einer gemeinsamen „Freundin“ gesehen wurde und dass der gar nicht zu ihr passe und überhaupt – die blöde Kuh..., sondern darum, dass sich Mama auf diesem Wege rückversichert, dass sie eben noch „dazugehört“. „Ich geh noch bei Deichmann rein, nach welchen Pumps sollte ich noch mal gleich gucken?“ Siehst Du, kleine Prinzessin, deine Mama ist noch nicht isoliert und allein, etwa so wie du, die du noch keinen Freundes- und Bekanntenkreis besitzt und schon gar kein eigenes „Handy“, welches dich aus deiner Einsamkeit erlösen könnte. Und so lernst du diese menschenzerstörende Einsamkeit und dass es erstrebenswert ist, erwachsen zu werden, weil man sich dann unter Zuhilfenahme eines Mobiltelefons aus den Fesseln dieser fürchterlichen Drohung befreien kann. Und das gibst du dann an deine Kinder weiter. Nicht, indem du mit ihnen redest. Gott bewahre. Diese Kunst wurde dir ja von deiner Mutter auch nicht beigebracht. Du machst es ihnen einfach vor, so, wie du es gelernt hast.

17. Volumen
© B.St.Ff.Esq., Pr.B.&Co,2009
12.10.2010