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Jakobinische
Agenten in Berlin
Tom Wolf legt seinen neuesten Preußenkrimi
vor
J.-F. S. Lemarcou
Sie werden die Schlagbäume
aufgerissen haben, die Grenzwächter, als Preußens brillantester
Kriminalschriftsteller nach zwei hanseatischen Abenteuern endlich wieder
den sandigen Boden der Mark betrat. Die Rede ist von Dr. Tom Wolf, dem
Sohne Homburgs und geistigen Vater des Zweiten Hofküchenmeisters
und Chefdetektivs Friedrichs des Großen, Honoré Langustier.
Nun ist er also wieder da und im Gepäck hatte er einen neuen Preußenkrimi
und – was Zungen hat, das loben den Herrn – dieses Werk, „Der
rote Salon“ geheißen, knüpft wieder nahtlos an die überragende
Qualität der alten Langustiers an. Nein, das ist zu wenig, das beschreibt
es noch nicht: „Der rote Salon“ setzt noch einen drauf. Berlin
hat seinen Wolf wieder! Neu ist nur der Festeinband und der Verzicht auf
die Zitation des Farbenspektrums im Titel. „Zitation“, „Spektren“
– hier dem Begriffslexikon des Übersinnlichen entlehnt –
das sind die Platzhalter der running gags, der roten Fäden gewissermaßen,
die sich bislang wasserzeichenartig durch alle wirklich exquisiten Langustiers
gewunden haben. Wir schreiben das Jahr der französischen Revolution,
rsp. der Tage, da sie begann ihre eigenen Kinder zu fressen. Was von Adel
und blauem westfränkischem Blute, das flieht unter anderem in die
preußische Kapitale Berlin, um selbiges nicht dem Volke zur Belustigung
unter tätiger Mithilfe des Fallbeils auf de Place de la Greve zu
verspritzen. 100 Jahre nach denen Hugenotten, die zumeist als ehrsame
Handwerker auf Einladung des Großen Kurfürsten ins Land strömten,
sind es nunmehr meist Royalisten, die auf Ausladung der Jakobiner das
Weite und die Sicherheit Preußens suchen, leztere aber in Einzelfällen
just dort nicht finden. Der Guillotine entronnen, dafür mit dem Hals
in Drahtschlingen geraten und jämmerlich erdrosselt – und schon
hätten wir das Thema, ohne das ein echter Preußenkrimi kein
echter Preußenkrimi wäre. Die übrigen Emigranten treffen
auf das beginnende Zeitalter der Romantik, in der die Geisterbeschwörung
und Spökenkiekerei sehr en vogue waren, legitimiert gar durch den
amtierenden Herrscher auf dem Throne Preußens.
Das Verbrechen fand im Palais Venezobre statt, dem späteren Gestapo-
und SD-Hauptquartier und Sitz von Heydrich, das nach dem Kriege nun wirklich
niemand mehr aufgebaut wissen wollte. Die Ermittlungen übernimmt
die Ballonfahrerin Marquise Geraldine de Lalande, Urenkelin des besagten
Langustier – ja, ja, der betont frankophile Monsieur Le Docteur
Tomas Le Loupe achtet schon auf die stringente Linie der Verwandtschaft
und bleibt beim Erzählen energisch dem Familienkosmos des elsässischen
Küchenzauberers verpflichtet. Die Marquise, zunächst selbst
im Verdacht stehend, tritt die Flucht nach vorne an, ermittelt, hinterfragt
und entfaltet ganz nebenbei behilfst der Schreibfeder ihres Autors Wolf
das quirlige Leben des Berlin der Jahrhundertwende vom 18. hin zum 19.
Säkulum. Das eben ist es, was die Wolf'schen Werke für jeden
Leser, dessen IQ sich auch nur geringfügig von dem seines Pausenbrotes
abzuheben in der Lage ist, so unwiderstehlich macht: Während all
die Schmierfinken links und rechts neben Wolf ihren gähnend langweiligen
Kram mit dem Anstrich einer vergangenen Epoche versehen, die es so nie
gab und die nichts anderes ist, als das lächerliche Zerrbild einer
unbewältigten Gegenwart, präsentiert uns der akribische Rechercheur
Wolf eine Atmosphäre, welche die real geschehenen Ereignisse hinter
sich zurück treten lässt. Es ist alles so passiert, wie Wolf
das schildert – oder aber es war zu langweilig um es aufzuzeichnen.
Wolf ist ein Zauberer, ein Magier des Wortwitzes, ein so was von hoch
intelligenter Plauderer, der so ganz nebenbei jedesmal nicht nur im Anhang,
sondern während des gesamten Textes dem Leser eines Kriminalromans
ein enzyklopädisches Bildungsangebot bezüglich einer ganzen
Epoche unterbreitet, dezent, unaufdringlich und doch so was von fesselnd.
Zwei Tage – dann sind se hin, die 268 Seiten und man betet, dass
die Wolf'sche Muse kein Fett ansetzen möge. Der Kalender des Kritikers
wird um eine eigene fünfte Jahreszeit bereichert, die anbricht, wenn
der nächste Wolf erscheint.
Ein Jahrestag unserer Königin Luise nähert sich und die Laffen
und Heinis veranstalten ein ganz unpreußisches Brimborium –
Wolf aber setzt dem Mädchen auf seine Weise ein Denkmal, welches
in literarischer Hinsicht nicht weniger spektakulär ist als die Schadow'sche
Skulptur, die sie gemeinsam mit ihrer Schwester Friederike zeigt. Ungeniert
giftet der Autor über Louis Ferdinand, den preußischen Prinzen,
Pianisten, Herzensbrecher und sinnlosen Helden wider Napoleon –
und... man nimmt es ihm ab. Wolf könnte sogar über den Soldatenkönig
lästern oder unserer Kurfürstin Luise eine Pickel andichten,
seinem Charme täte das keinen Abbruch und wir würden ihm selbst
diese Blasphemie nachsehen. Dass das keine leeren Worte sind, das beweist
sich schon aus dem Umstand, dass wir über Wolfs sarkastische Idee,
unseren Oberst Friedrich den Großen aus dem Off der Geisterwelt
sprechen zu lassen, und das ausgerechnet zu einer aufgeklärten, revolutionophilen
eingeheirateten Landadligen mit deutsch-französischen Wurzeln, herzlich
lachen mussten. Und wir sind uns sicher: Auch ER hätte darüber
geschmunzelt.
Wolfs Werk, wiederum bei be.bra erschienen, dem kleinen, aber feinen Verlag
aus dem Herzen Berlins, mit dem Wolf eine unlösbare Haßliebe
verbindet und der in Wolf seinen mit Sicherheit begnadetsten Autor besitzt,
ist ohne Zweifel schon jetzt ein fester Bestandteil der literarischen
Schatzkammer Preußens. Der Landbote empfiehlt seinen Lesern, die
er jenseits des Königreichs der Tumbheit und geistigen Verflachung
angesiedelt weiß, dieses Buch aus der Feder Wolfs, man könnte
beinahe sagen – wie immer – wärmstens und weiß
gewiss, dass es denen Menschen mit Geist und preußischem Herzen
eine Freude ist, es zu lesen, es zu verschlingen, es aufzufressen. Auch
wenn das Vergnügen nur knappe achtundvierzig Stunden währt... |