In Staub mit allen Feinden Brandenburgs
Frisör Kleinekorte balbierte seine
Gäste
C. U. Wiesner und Bernd Keßler
auf der Studiobühne (v. l. n. r.) |
Photo:
Bajun |
Kotofeij K. Bajun
“Nehm' Se Platz, Herr Jeheimrat
– was jibsn neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht jehabt?“
Ist sich der Ostdeutsche nicht ganz sicher, ob vor ihm ein Landsmann
von diesseits oder jenseits der Elbe steht – diese Begrüßung
klärt die Situation in Sekunden. Wer sie versteht ist mit Sicherheit
ein gedienter Ossi. Denn so begrüßte Herrenfrisör Wilhelm
Kleinekorte, C. U. Wiesners wohl berühmteste Gestalt, Woche für
Woche seine Kunden und die Leser des legendären DDR-Satire-Magazins
„Eulenspiegel“. Was folgte, war ein im launigsten Berliner
Dialekt vorgetragener Monolog über Gott und die Welt – vor
allem diejenige der DDR. Verpackt in unschuldsvollstem Ausdruck und
scheinbar barbarischer Verwechslung aller möglichen und unmöglichen
Fremdwörter verbarg sich hinter Kleinekortes Frisör-philosophischen
Exkursen allzuoft eine messerscharfe, punktgenaue und brillant scharfzüngige
Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Seinen geistigen
Vater C. U. Wiesner aber qualifizierte diese Rubrik, seine Bücher,
Theaterstücke, Kabarett-Texte, Hörspiele und vor allem die
beim lesenden Volke so beliebten und bei unseligen Intendanten so gefürchteten
Theaterkritiken in der „Theater-Eule“ für die Erste
Garnitur der ostdeutschen schriftstellernden Zunft. „Der Mann
spielte in der Oberliga“, ließ sich ein glücklicher
Theater-Vize Bernd Keßler am Abend des letzten Apriltages vernehmen,
als Wiesner – der eigentlich dem Alter geschuldet die Podien fortan
meiden wollte – die Studiobühne an der Grabenpromenade beinahe
bis auf den letzten Platz füllte.
Diesem Heimspiel konnte und wollte der Mann sich nicht verschließen,
der mit dem geschriebenen Wort eine ebenso virtuose Sprachbeherrschung
bewies, wie Heinz Erhardt am anderen Elbufer. Ein Heimspiel war es,
denn Wiesner wurde in Brandenburg an der Havel geboren, mit Havelwasser
getauft und schon um seinetwillen dürfte man die Kneipe zum Schwarzen
Adler, Plauer Straße Ecke Huck, nicht verkommen lassen, denn in
diesem Hause erblickte Wiesner am 1. Januar 1933 das Licht der Chur-
und Hauptstadt. Noch neunundzwanzig Tage Demokratie der Weimarer Republik
waren ihm vergönnt, die er wohl gierig mit der Muttermilch einsog
– denn die diesem Zeitabschnitt der deutschen Geschichte immanente
satirische Ironie verließ ihn bis heute nicht. Sehr zur Freude
seines Publikums übrigens, das allerdings beinahe geschlossen Wiesners
Generation repräsentierte – die bereits erwähnten „gedienten
Ossis“ also, deren Antennen noch immer sensibel genug sind, um
den feingeistigen und spitzen, zwischenzeiligen Humor richtig deuten
zu können. Die erste dreiviertel Stunde Lesungen aus der Schulzeit
Wiesners weckte denn auch bei vielen Anwesenden Erinnerungen an Lehrerpersönlichkeiten
der Rochow- und der Goetheschule, deren Originalität sie „bequem
den Paukern der Feuerzangenbowle den Heidelbeerwein reichen ließ“,
so C. U. Wiesner. Der zweite Teil der Veranstaltung aber gestaltete
sich zu einem kleinen Podiumsgespräch zwischen Keßler und
Wiesner, in dem letzterer noch einmal Brandenburgs untergegangene Theraterlandschaft,
das Hinterhoftheater in der Blumenstraße beispielsweise, teils
anekdotenhaft verpackt aufleben ließ. Lachtränen kullerten,
als Wiesner, an dem ein exzellenter Schauspieler und Rezitator verloren
ging, die Szene aus Kabale und Liebe memorierte, in der sich Mime Mordhorst
als sterbender Ferdinand in das Kulturgedächtnis Brandenburgs spielte.
Für die Requisite der Sterbeszene brauchte man einen Regulator.
Woher nehmen und nicht stehlen – der Bäcker von gegenüber
besaß einen. Also los! In letzter Minute wurde das Ungetüm
von Standuhr auf die Bühne gewuchtet und meldete sich zu Mitternacht
mit einem der herrlichsten Abgesänge auf den hochdramatischen Tod
Ferdinands und Luisens: „Kuckuck, Kuckuck...“ Zu ähnlichem
Ruhm brachte es der Nachkriegsintendant am Brandenburger Theater, Kurt
Asmus Bach: Als dem Hünen einst von einer Nachwuchsschauspielerin
vorgesprochen wurde, schmachtete das Mädchen nach absolviertem
Text: „Nun steht's bei Ihnen...“ worauf Bach mit dröhnendem
Bass antwortete: „Irrtum, mein Kind, es hängt an mir!“
Intelligentere Kalauer vernahm man selten. Geschlagene 2 ½ Stunden
fesselte Wiesner seine Brandenburger unter dem vom Homburger Prinzen
geklauten Titel „In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“.
Nein, Feinde musste Wiesner an diesem Abend gewiss nicht in den Brandenburger
Staub senden, die Lacher hatte der einstige „böse Geist seiner
Klasse“, dem Professor Geißler eines ungelenken Streiches
willen ein „ungünstiges Prognostikum“ zu attestieren
androhte, geschlossen auf seiner Seite. Und was derlei Prognosen betrifft,
nach Wiesners fulminantem Lebensweg sollte wirklich niemand mehr eine
professorale Abwertung für das verbum ultimum halten müssen.